Die Zahlen der letzten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung sind Anlass zu berechtigter Sorge. Sie zeigen unter anderem auf, dass die vor vier Jahren prognostizierte Halbierung der Mitgliederzahl bis 2060 bereits in den 2040er Jahren erreicht sein dürfte.
Während also immer mehr Menschen der Institution Kirche den Rücken zukehren, steigen zeitgleich die Anmeldezahlen an Grundschulen in evangelischer Trägerschaft. Das belegt die "Statistik Evangelische Schulen in Deutschland" 2024, die seit Mitte Mai ausgewertet vorliegt.
Ein paradoxes Verhalten? Auch wenn die große Neugründungswelle, die Anfang der 2000er Jahre im Bereich der Schulen zu beobachten war, abgeflacht ist, hält das Interesse der Eltern an. So wurden 40,5 % aller Schulen erst nach dem Jahr 2000 gegründet, 73,3 Prozent der Neugründungen entfallen auf die Grundschulen. In Zahlen übersetzt heißt das, von den insgesamt 1.027 evangelischen Schulen in Deutschland, sind ein gutes Drittel Grundschulen.
Lieber evangelische Schul- als Kirchenbank?
Was macht evangelische Schulen also so attraktiv für Eltern? In der Statistik spiegeln sich erste Ansätze für Erklärungen: Evangelische Schulen sind für ihre hohe Bildungsqualität und die individuelle Förderung ihrer Schülerschaft bekannt. Ein besonderer Aspekt scheint dabei die individuelle Wahrnehmung und Förderung jedes einzelnen Kindes zu sein, die in staatlichen Schulen oft nicht in gleichem Maße möglich ist. Dazu Gerd Brinkmann vom Evangelischen Schulwerk der Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers: "Unsere Schulen haben einen sehr guten Ruf wegen ihrer innovativen Pädagogik. Die Eltern spüren, dass ihr Kind sehr gut wahrgenommen wird und die individuelle Entwicklung wichtig ist."
Katja Eifler volontierte nach ihrer Studienzeit im Lokalradio im Rhein-Kreis Neuss. Anschließend arbeitete sie als Radioredakteurin. Später als Redaktionsleiterin eines Wirtschaftsmagazins am Niederrhein. Heute ist sie freischaffende Journalistin, Online-Texterin, Coach und Moderatorin. Seit April 2023 ist sie als Redakteurin vom Dienst für evangelisch.de tätig.
Wahrgenommen werden, ein Wunsch, den sicherlich auch viele Erwachsene in sich verspüren und dem zahlreiche Pfarrrer:innen in ihren Gemeinden gerecht werden wollen und können, wenn es ihre Zeit zulässt.
Ein weiteres wesentliches Merkmal der Schulen ist eine hohe Bildungsqualität und ihre Ausrichtung auf christliche und soziale Werte. Respekt vor der Würde jedes Menschen, engagierte Nächstenliebe und Menschenrechte prägen nahezu immer das Profil von Schulen in evangelischer Trägerschaft, das bestätigt auch die jüngste Statistik. Die christlichen Werte sind zumeist fest in den Lehrplänen und im Schulalltag verankert. Frank Olie, Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Schulstiftung in der EKBO, erläutert es aus seiner Perspektive so: "Unsere Schulen sind Leuchttürme des Evangelischen Bildungsverständnisses. Gemeinsame Werte wie Vielfalt, Toleranz oder Mitmenschlichkeit bilden die Grundlage für eine Gemeinschaft, in der sich jeder und jede – unabhängig von kultureller, sozialer oder religiöser Herkunft – wohlfühlen und angenommen fühlen kann." Die Folge davon ist oft ein besonders positives Schulklima, welches Kinder, Lehrer:innen und auch Eltern anspricht. evangelisch.de hatte vor sechs Jahren selbst einen Blick in zahlreiche Schulen werfen können.
Positiver Spiegel der Gesellschaft
Evangelische Schulen sind offen für alle Kinder, unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit oder ihrem sozialen Status. Die Schülerschaft ist daher gut durchmischt und spiegelt relativ betrachtet, die Verhältnisse der modernen deutschen Gesellschaft. Die Möglichkeit, das Schulgeld zu ermäßigen oder zu erlassen, wenn Eltern es sich nicht leisten können, trägt ebenfalls zur sozialen Durchlässigkeit bei. Dies betont auch Frank Olie: "Eine evangelische Schule steht mitten in der Gesellschaft. Wir nehmen alle Kinder auf, unabhängig von Status und Geldbeutel. Wer sich das Schulgeld nicht leisten wird, kann einen Befreiungs- oder Ermäßigungsantrag stellen."
Interessant wäre zu hinterfragen, ob diese Durchmischung auch noch in den kirchlichen Gemeinden Realität ist oder ob sich hier nur noch spezielle Gruppen von Personen, wie beispielsweise ausschließlich ältere Menschen zusammenfinden und ob dies Auswirkungen auf das Gemeinschaftsgefühl haben kann.
Gut lernen können und sicher betreut sein
Zusätzlich können die Grundschulen oft mit einer modern ausgestatteten Lernumgebung schon am Tag der offenen Tür, Eltern von einer Anmeldung überzeugen. Sich wohlfühlen ist eine Voraussetzung, damit Schüler:innen effektiv und mit Freude lernen können. Evangelische Grundschulen bieten zusätzlich besonders qualitative oder flexible Ganztagsbetreuungen an, womit sie bei berufstätigen Eltern, die Beruf und Familie vereinbaren möchten, punkten können. Dazu noch einmal ein kurzer Blick in die evangelische Schulstatistik: 67,1 % der genannten evangelischen Schulen bieten zusätzlich oder alternativ, andere Formen der Nachmittags- und Ganztagsbetreuung an, die nicht unter die offiziellen Ganztagsschulregelungen fallen. Hochgerechnet handelt es sich bei ca. der Hälfte der Schulen im Primarbereich sowie der Sekundarstufe I um Ganztagsschulen im weiteren Sinne (52,1 %). Damit liegen sie zwar unter dem Durchschnitt von staatlichen Schulen (72,2 % im Schuljahr 2021/202219); aber der Anteil der am Ganztag teilnehmenden Schüler:innen ist mit 56,4 % deutlich höher als in den staatlich erfassten Schulen (47,2 % im Schuljahr 2021/202220).
Schulerinnerung als Basis für Kirchenmitgliedschaft
Obwohl bisher nicht erforscht ist, welchen direkten Einfluss der Besuch einer evangelischen Schule auf die Kirchenmitgliedschaft hat, besteht die Hoffnung, dass der Schulbesuch prägt. "Wir gehen davon aus, dass der Besuch einer evangelischen Schule Spuren hinterlässt. Wir hoffen, dass Andachten, Gottesdienste, Seelsorge und die besondere pädagogische Arbeit der Lehrkräfte positiv in Erinnerung bleiben", sagt Gerd Brinkmann. Gerd Bürkle, Geschäftsführer des Evangelisches Schulwerks Baden und Württemberg, kann sich dieser Perspektive anschließen: "Evangelische Schulen erreichen viele Schülerinnen und Schüler und Eltern, welche keine Kirchenmitglieder sind. In der Schulgemeinschaft werden sie in einer Art Kirche auf Zeit regelmäßig erreicht. Ob sich das aber durch Kircheneintritte zeigt, ist für uns nicht nachvollziehbar."
Diese positiven Erlebnisse, ließe sich dennoch vermuten, könnten langfristig dazu beitragen, dass ehemalige Schüler:innen eine engere Bindung zur Kirche entwickeln, auch wenn dies bisher nicht durch statistische Daten belegt ist.
Evangelische Schulen werden grundsätzlich von einer Vielzahl von Trägern betrieben, die sich in ihrer Rechtsform und Größe unterscheiden. Die meisten Träger sind laut Statistik als eingetragene Vereine (40,1 %), gGmbHs (29,6 %) oder Stiftungen (17,4 %) organisiert.
Nur ein kleiner Teil der Träger gehört direkt zu Kirchengemeinden oder Landeskirchen. "Bei uns wurden in den letzten 25 Jahren einige Schulen gegründet. Die Motivation ist sehr unterschiedlich. So haben die Landeskirchen über ihre Schulstiftungen bewusst exemplarisch Akzente gesetzt und es wurden von der Schulstiftung der Evangelischen Landeskirche in Baden die Thadden Grundschule in Heidelberg und die inklusive Jakobus Grundschule nach Montessori in Karlsruhe gegründet. Die Schulstiftung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg hat mit der Jenaplanschule in Mössingen ebenso ein innovatives Konzept auf den Schild gehoben. Zugleich gibt immer wieder Elterninitiativen, welche eine Schulgründung betreiben. In neuerer Zeit öfters im Anschluss an eine Kita. Aber auch die "Rettung der Schule vor Ort", nachdem der Staat die Dorfgrundschule aufgegeben hat, kommt vor", sagt Gerd Bürkle.
Ein konkretes Beispiel für die Vielfalt und die Beliebheit ist die bilinguale evangelische Grundschule in Wolfsburg. Trotz einer Erweiterung kann die Schule nicht allen Bewerber:innen einen Platz anbieten. Gerd Brinkmann beschreibt es wie folgt: "Die Schule ist schon jetzt die größte Grundschule in freier Trägerschaft in Niedersachsen. Wir werden die Zügigkeit jetzt durchgängig auf 4-zügig erhöhen, weil die Anmeldezahlen so hoch sind. Trotzdem können wir bei Anmeldungen zum Schuljahr 2024/25 fast einem Drittel der Bewerber keinen Schulplatz mehr anbieten, weil wir keine Raumkapazität mehr haben."
Evangelische Schulen sind Kirche
Trotz der Herausforderungen durch begrenzte Ressourcen und sinkende Kirchensteuereinnahmen bleibt die Nachfrage nach evangelischen Schulen hoch, was auf ihren anhaltenden Erfolg hinweist. Was also könnte sich die Evangelische Kirche von der "evangelischen Schule" abschauen, um auch wieder zu wachsen? "Unsere Schulen sind vielfältig in ihren Profilen und Handlungsfeldern, verstehen sich aber als eine Stiftungsfamilie auf Grundlage evangelischer Werte. Partizipation und die Offenheit für Veränderungen spielen eine große Rolle. Dabei sind die Hierarchien und Wege flach und kurz. Das alles begünstigt, dass wir Veränderungen schnell einleiten und umsetzen können", sagt Frank Olie. Gerd Bürkle ergänzt: "Die Frage ist aus unserer Sicht falsch gestellt, Evangelische Schulen sind Kirche. Wenn sich die Evangelische Kirche bewusster werden würde, welche Chancen in neuen Gemeindeformen jenseits der Parochie liegen, könnten Evangelische Schulen eine dieser Formen sein, die bewusst unterstützt und gefördert werden sollten."