Noch ist der konfessionell gebundene Religionsunterricht in Deutschland weit verbreitet und es besteht die Möglichkeit, den Unterricht der eigenen Konfession zu besuchen, sei es katholisch, evangelisch, jüdisch oder muslimisch. Ein Grund ist seine feste Verankerung über Artikel 7 des Grundgesetzes, der die Bildung allgemein regelt und damit auch den Religionsunterricht. Das Fach hat in Deutschland den Stellenwert eines "ordentlichen Lehrfachs". Die Folge für Schüler:innen sind unter anderem Noten, die auf dem Zeugnis zählen.
Die Essenz des Religionsunterrichts
Die großen Fragen des Lebens seien nirgendwo so präsent wie im Religionsunterricht, sagt Corinna Ullmann unmittelbar auf die Frage, was denn das Besondere an diesem Fach für sie als Lehrerin sei. Die Suche nach dem Sinn, nach Gott, Fragen rund um Leben und Tod, Liebe, Verlust und Trauer. Corinna Ullmann ist Religionspädagogin und arbeitet zurzeit als Projektmitarbeiterin am Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts der Friedrich-Alexander-Universität in Nürnberg. Sieben Jahre unterrichtete sie zuvor alleine an Grund-, Mittel und Förderschulen selbst Religion. Heute gestaltet sie Fortbildungen mit als Referentin, unter anderem in der Ausbildungsphase für Vikare oder digitale Fortbildungen für Lehrer;innen im relilab.
"Es geht um einen selbst"
Für Alice Loosen, aktive Lehrerin in Mathe, Deutsch und Religion an einer Montessori-Schule in Düsseldorf, geht es neben den Fragen des Lebens eigentlich immer "um einen selbst" in diesem Fach. Damit bilde die Stunde im strengen Reglement des Schulalltages eine Ausnahme und schafft zeitgleich einen bewertungsfreien Raum. "Es gibt bei uns kein richtig oder falsch und keine Beurteilung", sagt sie. Haltungen zu Themen, Gedanken und Gefühle spielen eine größere Rolle als abgefragtes Faktenwissen. Das mache den Unterricht einzigartig. Ein Punkt, dem sich Corinna Ullmann nur anschließen kann. "Es ist in diesem Fach grundsätzlich wichtiger, miteinander ins Gespräch zu kommen, statt über Fakten zu Religion zu sprechen. Sie geht dabei sogar noch einen Schritt weiter und bezeichnet die Zeit, die sich dieses Fach nehme, als "seelsorgerischen Akt" im Unterricht. Es gehe darum, Menschen als Ganzes zu sehen und ihnen Raum zur Entfaltung zu geben, ganz gleich, ob sie im Kindesalter sind oder als Teenager mit 15 im Klassenraum sitzen. Sie selbst habe immer wieder gezielt auf Dialog gesetzt und für ihren Unterricht zu diesem Zweck gerne auch den gesamten schulischen Raum genutzt. "Weg vom Arbeitsblatt" ist ihre Devise.
Katja Eifler volontierte nach ihrer Studienzeit im Lokalradio im Rhein-Kreis Neuss. Anschließend arbeitete sie als Radioredakteurin. Später als Redaktionsleiterin eines Wirtschaftsmagazins am Niederrhein. Heute ist sie freischaffende Journalistin, Online-Texterin, Coach und Moderatorin. Seit April 2023 ist sie als Redakteurin vom Dienst für evangelisch.de tätig.
Und all das macht Religionsunterricht nun zu einem beliebten Fach? "Ja, die Kinder freuen sich darauf," sagt Alice Loosen, für die jedes religiöse Thema musikalisch, geschichtlich und künstlerisch umsetzbar sei. Das mache Unterricht extrem lebendig. Ihren Grundschulkindern erzählt sie beispielsweise die Geschichte von Jona zum Klang von "ocean drums" mit ganz viel Sinnlichkeit und Empathie. Die Kinder werden Teil der Geschichte. "Unsere Anforderungen sind einfach und das traut sich jeder zu", sagt sie, darum machen viele Kinder freiwillig und gerne mit. Spielerische Elemente bieten niedrigschwellige Chancen, sich selbst wahrzunehmen und Achtsamkeit zu erfahren", ergänzt Corinna Ullmann. Für sie gehören in den modernen und fesselnden Religionsunterricht aber auch verstärkt digitale Elemente. "Warum nicht selbst Filmserien zu ethischen und religiösen Themen mit digitalen Tools realisieren z.B. "Netflix-Methode, Stop-Motion, Realfilme realisieren, die ich auch zu Hause schauen kann?" Hier müssten Religionslehrende selbst noch mehr Souveränität im Digitalen gewinnen. Oder es ist möglich, zusätzliche Angebote im realen schulischen Umfeld schaffen, ein Beispiel sei ein "Raum der Stille", der für jeden zugänglich sei.
Religion müsse man angeboten bekommen, ist sich auch Alice Loosen sicher, denn nur so könne der Funken des Glaubens zünden. Sie wünsche sich, dass dazu noch mehr Menschen in den Unterricht hineingezogen werden könnten, Pfarrer:innen oder auch Gemeindemitglieder.
Religion kann nicht jeder unterrichten
Gemeinsam über Sinnfragen nachzudenken und offen zu sein für andere gelinge besonders gut, da sind sich beide einig, wenn Lehrer:innen die Möglichkeit haben, Kinder oder Jugendliche ein ganzes Stück im Leben zu begleiten. "Wir müssen Interesse an Kindern und Jugendlichen und ihren Themen haben und wenn sie dies spüren, dann sind sie gerne im Unterricht. Sie bauen eine Beziehung zu uns auf." So Corinna Ullmann. Dafür müsse Lehrpersonal an der jeweiligen Schule präsent sein, oft klappt das leider nicht, da Stunden und Stellen gesplittet sind.
Ein Beispiel für ein Thema, das bewege, sei die Sorge um das Klima. Das ließe sich angesichts des Auftrags zur Bewahrung der Schöpfung religiös aufarbeiten. Es bietet eine Schnittmenge des Denkens mit einer Vielfalt von Gesprächsansätzen. Hier stecke alles drin, was Religionsunterricht vermitteln soll: religiöse Bildung, Ethik und Moral sowie den interreligiösen Dialog.
Kein Weg aber führe für beide Lehrerinnen am qualifizierten Personal vorbei.
Das bräuchte es, damit religiöse Inhalte richtig eingeordnet werden können und Gespräche mit Kindern und Jugendlichen anderer Konfessionen Sinn erhalten. Der Religionsunterricht in Deutschland hat sich dem Dialog zwischen den verschiedenen Religionen weit geöffnet. Das sei positiv, berge aber auch Verantwortung. Schüler:innen können angeleitet mehr über andere Glaubensrichtungen erfahren und so ein tieferes Verständnis für die Vielfalt in der Gesellschaft zu entwickeln. Vor allem die persönlichen Fähigkeiten und die eigene Begeisterung könne als Religionslehrerin professionell eingesetzt etwas bewegen.
Und welche Rolle spielt letztendlich die Note im Unterricht? Mit Sicherheit nicht die Tragende, aber da sich viele Schüler:innen für den Unterricht erwärmen können, ist die mündliche Beteiligung sehr hoch und das hebt den Durchschnitt. Und, wenn wir Menschen erreichen und diese sich dann öffnen, kann es eigentlich nur gute Noten geben, lacht Alice Loosen.