Eine Frau macht in einem Hotelzimmer die Betten.
epd-bild/Matthias Balk
Viktoria aus Odessa (Ukraine) bereitet das Bett für die Hotelgäste des Cocoon Hotels in München vor.
Expertin im Interview
Jobsuche von Ukrainern kann Jahre dauern
Die Migrationsforscherin Yuliya Kosyakova bestätigt: Die Integration von Geflüchteten aus der Ukraine in den deutschen Arbeitsmarkt kommt langsam voran. Dennoch werde es für viele Betroffene noch Jahre dauern, bis sie hierzulande Jobs gefunden haben.

Warum das so ist, welche besonderen Hürden die Geflüchteten auf dem Arbeitsmarkt überwinden müssen und was sie von der Wirtschaft erwartet, erläutert die Forschungsbereichsleiterin am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) im Interview mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).

epd: Ist das Glas halbleer oder halbvoll? Wie bewerten Sie die bisherigen Erfolge bei der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten aus der Ukraine?

Yuliya Kosyakova: Das ist eine komplexe Frage, die sich nicht ohne weiteres beantworten lässt. Wir müssen uns vor Augen halten, dass wir über geflüchtete Menschen sprechen, die unvermittelt alles verloren haben und oft unter enormem Druck stehen. Viele sind Frauen mit Kindern, die unvorbereitet fliehen mussten.

Was folgt daraus?

Kosyakova: Sie kommen häufig ohne grundlegende Voraussetzungen hier an, wie Sprachkenntnisse oder genaue Informationen über den deutschen Arbeitsmarkt. Hinzu kommt, dass viele ihre akademischen oder beruflichen Qualifikationsnachweise nicht mitbringen konnten. Diese Startbedingungen sind äußerst herausfordernd, und das muss in jeder Bewertung ihrer Integration in den Arbeitsmarkt berücksichtigt werden.

Aber es geht doch langsam voran?

Kosyakova: Ja, es gibt Fortschritte. Im Frühjahr 2023 waren 19 Prozent der Geflüchteten erwerbstätig, im Sommer stieg dieser Anteil um weitere vier Prozentpunkte. Vorläufige Ergebnisse deuten auf eine fortlaufende Verbesserung der Erwerbsquoten hin, insbesondere bei denen, die unmittelbar nach Kriegsausbruch nach Deutschland kamen. Wir sehen auch Fortschritte beim Spracherwerb, der sozialen Integration und dem Wohlbefinden.

Die überwiegende Zahl der Geflüchteten sind Frauen, oft mit noch kleinen Kindern. Doch Kitaplätze sind oft nur schwer zu bekommen.

Kosyakova: Ja, das ist ein Problem. Zwar gibt es einen gesetzlichen Anspruch auf einen Kitaplatz ab drei Jahren, doch die Realität zeigt, dass es oft schwierig ist, Betreuungsplätze zu finden. Unser System muss in vielerlei Hinsicht verbessert werden. Ein weiteres Problem ist die Betreuung von Grundschulkindern am Nachmittag, weil auch die Horte häufig voll sind. Das zwingt viele Frauen dazu, sich auf Halbtagsjobs zu beschränken.

Viele der Frauen haben Angehörige und auch Ehemänner zurückgelassen oder gar im Krieg verloren. Das hinterlässt Spuren. Ist es vor diesem Hintergrund nicht abwegig, über Erwerbsarbeit nachzudenken?

Kosyakova: Da hat sich viel gewandelt, der Krieg dauert ja leider schon über zwei Jahre. Weil der Krieg andauert, müssen sich die Menschen auf einen längeren Aufenthalt einstellen. Für die Arbeitssuche ist es entscheidend, dass die nötigen Unterlagen zur Qualifikation vorhanden sind und idealerweise auch Berufserfahrung nachgewiesen werden kann. Ohne diese Nachweise ist der Zugang zu regulierten Berufen und beruflicher Aufstieg nicht möglich. Erfolge in der Integration in den Arbeitsmarkt sind nicht über Nacht zu erwarten, sondern erfordern einen langfristigen Prozess, der sich über mehrere Jahre erstrecken kann.

Wie viele der Geflüchteten wollen überhaupt arbeiten gehen, weil sie inzwischen sehen, dass der Krieg andauert?

Kosyakova: Wir haben das erfragt. Schon im Sommer nach Kriegsbeginn gab ein Drittel der Befragten an, dauerhaft in Deutschland bleiben zu wollen. Ein weiteres Drittel äußerte den Wunsch, schnellstmöglich zurückzukehren, und das letzte Drittel war sich derzeit noch unschlüssig. Bei einer weiteren Abfrage ein halbes Jahr später stellten wir fest, dass der Anteil derjenigen, die längerfristig bleiben möchten, auf 44 Prozent gestiegen ist. Die Menschen gewöhnen sich ein, lernen die Sprache, knüpfen soziale Netzwerke, beteiligen sich in Vereinen und ihre Kinder besuchen Kitas oder Schulen. All diese Faktoren fördern auch die Integration in den Arbeitsmarkt. Aktuell sind wir dabei, die neuesten Daten zu diesem Thema zu erheben.

In anderen EU-Staaten sind die Beschäftigungsquoten deutlich höher. Woran liegt das?

Kosyakova: Man könnte sagen, dass es mit dem Vergleich von Äpfeln mit Birnen zu tun hat. Wir arbeiten derzeit an einer Studie, die dieses Thema genauer beleuchtet. Viele der bisher veröffentlichten Analysen sind methodisch fragwürdig. Es stimmt, dass die Ausgangsbedingungen und Marktstrukturen stark variieren zwischen den Ländern. Auch die Definition von Erwerbstätigkeit ist nicht einheitlich, was zu unterschiedlichen Beschäftigungsquoten führt. Zudem spielt die Anzahl der aufgenommenen Geflüchteten eine entscheidende Rolle. Während Deutschland über 1,2 Millionen Menschen aufgenommen hat, haben viele andere Länder nur einen Bruchteil davon aufgenommen.

"Während Deutschland über 1,2 Millionen Menschen aufgenommen hat, haben viele andere Länder nur einen Bruchteil davon aufgenommen"

Dänemark wird immer als Vorbild dargestellt.

Kosyakova: Ja, aber einige der Zahlen, die zu Dänemark im Umlauf sind, sind überhöht und meines Erachtens nach nicht korrekt. Man spricht von einer Erwerbstätigenquote bei Geflüchteten von 78 Prozent. Das liegt an der unterschiedlichen Definition dessen, was als erwerbstätig und was als erwerbsfähig gilt. Wenn man dieselben Berechnungsmethoden wie in Deutschland anwenden würde, käme man auf eine Quote von 54 Prozent. Das ist immer noch deutlich höher als bei uns, aber weniger spektakulär als oft dargestellt.

Der Arbeitsmarkt ist auch ein anderer als in Deutschland ...

Kosyakova: Ja. Der dänische Arbeitsmarkt unterscheidet sich deutlich vom deutschen. Er ist sehr flexibel gestaltet, sodass Arbeitgeber Personen schnell einstellen und ebenso schnell wieder entlassen können. Es gibt keinen ausgeprägten Kündigungsschutz und keine Mindestlöhne. Migranten werden in Dänemark nicht systematisch durch Sprachkurse unterstützt, sondern dazu ermutigt, möglichst rasch irgendeine Arbeit anzunehmen. Das führt dazu, dass fast alle beschäftigten Geflüchteten aus der Ukraine im Reinigungssektor beschäftigt sind und in prekären Jobs mit schlechter Bezahlung landen.

Das kann ja wohl kein Vorbild für Deutschland sein...

Kosyakova: Nein. Solch eine Arbeitsmarktpolitik wäre in Deutschland kaum wünschenswert. Ohne Kenntnisse der Landessprache werden Menschen nicht effektiv in die Gesellschaft integriert und fallen durch die Instabilität der Arbeitsverhältnisse schnell wieder aus dem Arbeitsmarkt heraus. Zudem bieten sich ihnen keine Aufstiegsperspektiven, was sie langfristig schlechter stellt als ihre Mitbürger. Obwohl die Ergebnisse aus Dänemark auf den ersten Blick positiv erscheinen mögen, sind sie nur von kurzer Dauer. Das muss man mit absoluter Vorsicht betrachten.

Tun die Unternehmen hierzulande genug, um Geflüchtete zu beschäftigen?

Kosyakova: Es ist richtig, dass nicht alle Unternehmen wirtschaftlich stark sind, doch eine größere Offenheit gegenüber Geflüchteten und weniger Fokus allein auf deutsche Sprachkenntnisse würden helfen. Zudem wäre es vorteilhaft, mehr Praktikumsplätze zu schaffen, um den Geflüchteten eine berufliche Orientierung zu ermöglichen. Und es wäre sinnvoll, Bewertungsverfahren wie Kompetenztests zu entwickeln, die Qualifikationen und Berufserfahrungen jenseits traditioneller Zertifikate prüfen. Oft ist nicht klar, ob die Personen tatsächlich in den Bereichen gearbeitet haben, in denen sie qualifiziert sind.