Gruppenbild der Bremer Delegation am Altar in der St. Pauls-Kirche in Odessa.
Ulf Buschmann
Bei ihrem Besuch in Odessa hat die Bremer Delegation tiefgreifende Erfahrungen gesammelt.
Nach Reise in die Partnerstadt
Bremer Delegation berichtet von Odessa
Eine Delegation der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) besucht die Partnerstadt Odessa: Eindrücke einer bewegenden Reise inmitten von Krieg und Solidarität. evangelisch.de-Redakteur Ulf Buschmann beleuchtet, wie die Bremer Hilfe vor Ort ankommt und warum ideeller Beistand so wichtig ist.

Wenn Bernd Kuschnerus die Augen schließt, sieht er noch immer die Bilder der Frühchenstation und des Abendmahlgottesdienstes. Der Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) spricht von Senioren und wenigen Männern. Auch die Erinnerung an viele traumatisierte Kinder hat er mit nach Bremen genommen. "So etwas habe ich noch nie erlebt", fasst Kuschnerus seine Eindrücke einer knapp zwölfstündigen Delegationsreise nach Bremens Partnerstadt Odessa zusammen. 

Er und Antje Grotheer, Präsidentin der Bremischen Bürgerschaft, gemeinsam mit dem Vorstand der Stiftung Solidarität Ukraine, Ronald Speidel und dem aus der Ukraine stammenden BEK-Friedensbeauftragten, Pastor Andreas Hamburg, wie die Bremer Hilfe den Menschen in der von russischen Bomben getroffenen Hafenstadt zugutekommt. Das Bremer Unterstützungsnetzwerk für die ukrainische Partnerstadt setzt auf eine enge Zusammenarbeit der Stiftung Solidarität Ukraine, gegründet von den Bremer Unternehmen Buhlmann und Hansaflex, der Stadtgemeinde Bremen und der Bremischen Evangelischen Kirche.

Rund zwölf Stunden hielt sich die Bremer Delegation in Odessa auf. Sie reisten gegen 8.30 Uhr ein und aus Sicherheitsgründen gegen 20 Uhr wieder aus. "Niemand von uns kann einschätzen, was passieren kann, wenn wir vor Ort sind", sagt die Bürgerschaftspräsidentin. Jeder müsse wissen: Dort herrscht Krieg.

Bei Luftalarm nicht sofort in den Schutzraum

Kaum angekommen, ertönte Luftalarm in Odessa. Vor die Wahl gestellt, ob sie einen Schutzraum aufsuchen sollen, entschieden die Bremer: Nein! "Wir sahen, dass die Leute um uns herum kurz auf ihr Handy schauten und weitergingen", sagt die Parlamentspräsidentin. Über die App "Air Alert" und den Messenger Telegram erfahren die Menschen, welche Region vom Luftalarm betroffen ist. Besteht in unmittelbarer Nähe keine Gefahr, müssen sie nicht in einen Schutzraum. Für die Bürgerschaftspräsidentin und den Kirchenmann war dies ein beeindruckendes Zeichen: Die Menschen lassen sich nicht unterkriegen.

Kuschnerus erinnert sich an die erste Station des Besuchs: einen Soldatenfriedhof. "Auf den Grabsteinen sehen Sie die Gesichter junger Menschen im Alter meiner Kinder, die durch den Krieg starben. Daneben liegt ein kaum zu überblickendes, vorbereitetes Feld für weitere Gräber. Das zeigt, hier ist Krieg."

"Auf den Grabsteinen sehen Sie die Gesichter junger Menschen im Alter meiner Kinder, die durch den Krieg starben", sagt Bernd Kuschnerus, Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK).

Kuschnerus ergänzt: "Hier sterben täglich Menschen, und es berührt einen, wenn man spürt: Auch die Zivilbevölkerung ist Angriffen ausgesetzt. Das ist kein Spiel. Man kann sich nicht auf Sofa-Pazifismus zurückziehen. Hier geht es um Menschenleben. Da kann man nicht distanziert sein."

Nach der Rückkehr: "Schlag in die Kniekehlen"

Grotheer sieht es ähnlich. Ihr erster Besuch in Lwiw vor einigen Monaten hatte sie "ein bisschen vorgewarnt". Der Besuch auf dem Friedhof war ihr wichtig. Er anerkennt, dass "unsere Demokratie hier verteidigt wird." Wie tief sie dies berührt, merkte Grotheer, als sie nach der Rückkehr nach Bremen ihr Mobiltelefon einschaltete. Sie las, dass einer der Gesprächspartner aus Odessa zurück an die Front musste und dort das frühere Lager zerstört vorgefunden hat. "Da hat mir der Krieg sozusagen einmal von hinten in die Kniekehlen geschlagen", sagt Grotheer. 

Auf der Liste der Bremer stand auch der Besuch des städtischen Kinderkrankenhauses. Dieses hatte ein aus Bremer Spendengeldern finanziertes Beatmungsgerät für die Neugeborenen-Intensivstation erhalten. Dort kämpft das medizinische Personal um jedes Kind – nicht nur, weil die Geburtenrate um 50 Prozent gesunken ist. "Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gibt es mehr Früh- und Totgeburten", fügt Kuschnerus an. Das Engagement der Menschen im Krankenhaus beeindruckte ihn besonders. Das gilt auch für die Schulen in Odessa, wo 50 Prozent der Schulen Unterricht – oft im Bunker – anbieten. 

Odessa: Abendmahlgottesdienst in St. Paul

Wie wichtig den Menschen ideeller Beistand ist, zeigte der Abendmahlgottesdienst in der Kathedrale St. Paul. Die Gemeinde gehört zur Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in der Ukraine. "Wir fassten uns an den Händen. Das war ein Zeichen, dass wir sie nicht vergessen." Wenn Kuschnerus, der im Gottesdienst predigte, daran denkt, ist er noch immer beeindruckt. "Der Wunsch nach Freiheit, einem Leben ohne Angst und Gewalt und einem gerechten Frieden gehört zu unserer gemeinsamen Hoffnung."

Wenn Kuschnerus, der in Odessa predigte, an den gemeinsamen Gottesdienst denkt, ist er noch immer beeindruckt.

Die Bremer leisten ihren Beitrag mit regelmäßigen Hilfsgütertransporten. Die Bilanz: 110 Lkw in die Ukraine geschickt. Die Kirche spielt dabei eine wichtige Rolle. "Sie ist gut vernetzt", sagt die Bürgerschaftspräsidentin. "Die Leute akzeptieren die Kirche als Instanz, an die man sich wendet, wenn man Hilfe benötigt." Dazu gehört zum Beispiel die Ausstattung eines Raums für die Physiotherapie von Kindern.

"In Zeiten, in denen wir über fehlende Solidarität diskutieren, müssen wir die Hilfsbereitschaft bewahren", resümiert Kuschnerus. "Wir sollten klarstellen: Worum geht es wirklich und wie ergeht es den Menschen dort? Was leisten sie?" Auch Grotheer ist überzeugt: "Wir müssen weitermachen und mehr darüber reden." Sie erinnert sich gerne an die "unglaubliche Begeisterung und Dankbarkeit", dass die Bremer vor Ort sind. "Das hat mich fast beschämt", gesteht die Bürgerschaftspräsidentin.