"Wir haben unsere Heimat verloren, aber nicht unseren Glauben", sagt Bereket Gaim. Der 49-Jährige ist im Kirchenvorstand der Eritreischen Evangelisch-lutherischen Gemeinde Deutschland, einem eingetragenen Verein mit Standorten in Frankfurt, Stuttgart, Ulm und Mannheim. Angefangen hat es, als sich vier bis fünf eritreische Flüchtlingsfamilien ab 1980 in Frankfurt zunächst zu Gottesdiensten von Haus zu Haus trafen. Ob Pfingstler, Lutheraner, Orthodoxe oder Katholiken - angekommen in der Fremde, zählte das zunächst nicht.
Doch je mehr Eritreer kamen, desto mehr differenzierten sich auch die Glaubensgemeinschaften aus. Die Lutheraner fanden Kontakt zur Evangelischen Kirche, sind heute alle Mitglieder der EKHN. Und seit 1989 feiern die Frankfurter ihre Gottesdienste an einem passenden Ort: der Neu-Isenburger Marktkirche, einer reformierten Gemeinde, die einst von den ebenfalls eingewandert Hugenotten gegründet wurde. Jeden Sonntag wird von 11.30 bis 13 Uhr Gottesdienst gefeiert, danach gibt es ein geselliges Miteinander im Gemeindecafé. 120 Mitglieder hat die Gemeinde in Neu-Isenburg, im Gottesdienst sind aber meist nur 20 bis 25 Plätze belegt, schildert Gaim. Alle zwei Jahre treffen sich die Lutheraner mit ihren europäischen Vereinsfreunden aus Schweden, England. Norwegen und der Schweiz mit über 300 Teilnehmern.
Allzu "exotisch" darf man sich die Gottesdienste in der Marktkirche allerdings nicht vorstellen. Bis auf das Tigrinja, eine der neun eritreischen Sprachen, sei die Liturgie wie in einer Deutschen Evangelischen Lutherischen Gemeinde, betont Gaim. Kürzlich gab es sogar ein gemeinsames Abendmahl mit Dekan Reinhard Zincke. Taufen finden in den deutschen Gemeinden statt. Dennoch ist manches hier ökumenischer, als andernorts. Weil auch die kleine Gemeinde der chinesischen Christen an der Marktkirche untergebracht ist, feiern sie manchmal gemeinsam.
Die gemeindemitglieder setzen auf Solidarität und ihre evangelischen Wurzeln. Die entstanden, als Ende des 19. Jahrhunderts vor allem italienische und schwedische Missionare Abessinien durchstreiften, mit seiner bis ins 4. Jahrhundert zurückreichenden koptisch-christlichen Tradition. Heute, berichtet Gaim, sind zwar knapp die Hälfte der Eriteer Christen, aber nur fünf Prozent in der lutherischen Tradition. Dafür gibt es mit den muslimischen Nachbarn keine Konflikte, man lebe freundschaftlich und respektvoll miteinander.
Das Miteinander hält auch für die Eriteer in Deutschland Herausforderungen bereit: "Wie lange werden wir in Deutschland noch als Gast wahrgenommen?", fragt sich Gaim, der seit 1980 in Deutschland lebt. Seit der Flüchtlingswelle habe er sogar den Eindruck, dass die Integration Riesenrückschritte gemacht habe. Seither werde er wieder häufiger als Fremder wahrgenommen. Er sei Deutschland dankbar, habe hier seinen seelischen Frieden und christliche Werte gefunden, "aber wie lange sind wir hier noch Gast, in der wievielten Generation?" Dann erzählt er von einer Eritrea-Reise. Bei der Rückkehr nach Deutschland habe seine achtjährige Tochter den Boden im Wohnzimmer geküsst mit den Worten "Endlich Zuhause!"
Dass gerade die Eritreer Luther verbunden sind, hat für Bereket Gaim auch historische Gründe. So wie einst Luther das Latein der Bibel übersetzt habe, sei auch im christlichen Abessinien die Bibel in die Lokal verständlichen sprachen übersetzt worden. Die Gottesdienste wurden zuvor in der alten Kirchensprache Geez abgehalten. Das gemeine Volk konnte kaum folgen, was der Pfarrer predigte, erinnert sich Gaim. Seine Landsleute sind tief gläubig. Noch heute haben Tischrunden genau acht Plätze: Die Zahl verweise auf Noah, seine Frau, seine drei Söhne und drei Schwiegertöchter, erklärt Gaim.
Das Christliche hat auch für den Prediger Solomon Asfaha (59) eine persönliche Bedeutung. Schon sein Grossvater und Vater waren Priester, er selbst fühlte sich dazu aber nicht berufen. Dennoch hält er Predigten, spielt Orgel und hat in Hannover zwei Jahre evangelische Theologie studiert. Heute arbeitet er als Buchhalter am Flughafen - eine gelungene Integration, für die Asfaha viel Kraft aus seinem Glauben schöpfen musste. In dem für ihn einst fremden Land habe ihn sein Glaube gelehrt, "wie man sich beherrschen und glücklich leben kann." Und vor Gott sind alle Menschen gleich. Die afrikanische Tradition, das ist für ihn vor allem die Gemeinsamkeit beim Essen, dem Besuch der älteren Leute, dem Familientreffen. Asfaha erinnert sich dabei an den Ausspruch "Gott baut mein Haus." Es gebe so schöne Kirchen in Deutschland, "aber wo sind die Menschen?"
Was die Flüchtlinge betrifft, ist Asfaha zuversichtlich, auch wenn er sich daran erinnert, wie wenig Unterstützung er bei seiner Ankunft in den Achtziger Jahren fand. Damals organisierte er selbst Sprachkurse für seine Landsleute, damit diese nicht auf Abwege geraten. Heute machten die Deutschen, auch die Kirchen, sehr viel für die Flüchtlinge, aber mit bloß organisatorischer Hilfe sei es nicht getan. Man solle auch in die Herzen der Neuankömmlinge sehen, daraus etwas erfahren und machen. Denn "das ist nicht mehr die Welt, die wir von Gestern kennen."
Um sie zu gestalten, sind die allesamt Ehrenamtlichen in der Gemeinde weiter aktiv, auch wenn es nur einen kleinen Landeskirchenzuschuss gibt. Den Bibelkreis gibt es schon lange nicht mehr, diese wurden durch den sonntäglichen Gottesdienst ersetzt. Aber auch Asfaha Wunsch nach einer Jugendarbeit ist noch offen. Und schließlich hoffen die Eritreer, eines Tages als ganze Gemeinde zur EKHN zu gehören. "Daran arbeiten wir noch", sagt Gaim, gemeinsam mit dem Zentrum für Ökumene.