Die AfD holte mehr als 20 Prozent in Sachsen-Anhalt und wird dort zweitstärkste Kraft. Auch in den anderen beiden Bundesländern, die ihre Parlamente neu wählten, bekam die AfD zweistellige Ergebnisse und wurde drittstärkste Partei. Das wird zwar jetzt von vielen Beobachtern in vielen Filterblasen beklagt, aber es war keine Überraschung. Es ist ganz normale Demokratie, wenn eine Partei einen großen Teil der Wählerschaft von sich überzeugen kann. Im Fall der AfD wird es allerdings nicht das neue Parteiprogramm gewesen sein, denn das soll erst am 30. April beschlossen werden. Es war wohl vielmehr das Versprechen, den etablierten Parteien einen Denkzettel zu erteilen.
Grundsätzlich ist es kein Problem, wenn sich eine weitere konservative Partei im Spektrum etabliert. Auf Dauer sechs Parteien im Spektrum zu haben (CDU, SPD, Grüne, Linke, FDP, AfD), verträgt unsere Demokratie allemal. Nur ist noch gar nicht klar, ob die AfD als "konservativ" gelten kann. Denn bisher gibt sich die junge Partei nicht als konservative Alternative zur CDU oder als bundesweite CSU. Das Attribut "rechtspopulistisch" trägt sie zu Recht, gerade in Sachsen-Anhalt, wo André Poggenburg der Landesvorsitzende ist - ein Politiker, der möchte, dass die Theaterbühnen in seinem Land Stücke spielen, die zur "Identifikation mit unserem Land anregen".
Deswegen ist der Wahlerfolg der AfD besorgniserregend. Denn sie steht für eine Politik, die nicht daran orientiert ist, einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen oder gesellschaftliche Solidarität von Menschen untereinander zu bestärken. Mit dem öffentlichen Auftreten von Parteivertretern wie Frauke Petry, Beatrix von Storch, Björn Höcke und André Poggenburg bekräftigte die AfD in den vergangenen Wochen ihre Radikalität und nationale Orientierung. Wenn sie sich in der Opposition in den Landtagen bis zur Bundestagswahl und darüber hinaus in gleicher Weise profiliert, haben wir in Deutschland die europäische Entwicklung nachgeholt. Denn in den Parlamenten in den Niederlanden, Frankreich, Österreich, Polen oder Ungarn sind nationalkonservative oder rechte Parteien schon längst vertreten.
Eine nationalistische Politik kann und sollte aber nicht mehr die Grundlage eines Landes in einem unbegrenzten, vereinten Europa sein. Nationalistische Abgrenzungen auf der Basis eines Bio-Deutschtums haben in der deutschen Geschichte schon einmal einer faschistischen Diktatur den Weg gebahnt. So weit sind wir gottseidank noch nicht, und dafür müsste auch noch eine ganze Menge schieflaufen, bis es erneut soweit kommen könnte. Weil wir die Geschichte Hiterdeutschlands haben, können wir daraus lernen.
Deswegen wird es jetzt umso wichtiger, bis zur Bundestagswahl 2017 in dieser Richtung eine klare Kante zu zeigen: Nationalistische oder völkische Verherrlichung von Bio-Deutschtum sind keine Basis für ein friedliches, christliches Zusammenleben. Artikel 1 des Grundgesetzes, unsere Freiheits- und Bürgerrechte und Deutschlands Rolle in Europa wären dadurch gefährdet. So lange die AfD in diesen Wassern fischt, ist sie kein akzeptabler Koalitionspartner für eine Regierungsbildung. Wer unsere Grundrechte und christliche Nächstenliebe leben will, muss jetzt deutlich zeigen, was es heißt, eine Deutsche oder ein Deutscher zu sein: Respekt vor Demokratie, Anerkennung aller Grundrechte für jeden Menschen, ein Bewusstsein für die deutsche Vergangenheit und der Wunsch, einen Teil dazu beizutragen, dass in diesem Land und in dieser Welt alle Menschen friedlich zusammenleben können. So deutsch kann jeder sein, wenn er oder sie will.
Zwei Hoffnungsschimmer bleiben aber von diesen Landtagswahlen. Eine Mehrheit der Wähler hat die Politiker und Parteien gestützt, die Angela Merkels Flüchtlingspolitik mittragen. Und: Die Wahlbeteiligung war ausgesprochen hoch (rund 70 Prozent in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, rund 61 Prozent in Sachsen-Anhalt). Kann sein, dass es nur daran liegt, dass die Nichtwähler diesmal das Gefühl hatten, im Wortsinne eine "Alternative" zu haben. Aber die Hoffnung ist, dass der Erfolg der AfD auch den anderen Wählern zeigt: Wenn wir nicht wählen gehen, stärkt das die Extremisten. Deswegen müssen wir wählen gehen - denn es bedeutet eben doch eine ganze Menge.
Ich habe vor den Wahlen gefragt: Hält die Demokratie? Nach diesen Wahlen sage ich: Ja, sie hält und sie funktioniert. Aber nur, wenn wir alle dafür sorgen, dass das auch so bleibt.