Auf den Betten liegen noch eingepackte Matratzen. Die Spinde wirken wie erst einmal abgestellt. Vier Männer entladen draußen einen weiteren Lkw. Die Stimmung ist gut, die Leute lachen viel. "Hat einer unseren Architekten gesehen?", ruft einer der Männer. Der Gesuchte kommt im nächsten Moment um die Ecke. Er schiebt eine Sackkarre mit einem weiteren Spind.
Die Männer haben noch viel zu tun, denn um den 11. März soll sich in der Versöhnungskirche im Bremer Ortsteil Sebaldsbrück etwas tun. Dann ziehen 40 Flüchtlinge dort ein, die bislang in der Sporthalle einer Grundschule in der Nähe untergebracht sind – in erster Linie syrische Familien. Dafür hat die Versöhnungsgemeinde für zunächst zwei Jahre ihr Gotteshaus geräumt und ist ins Gemeindehaus umgezogen.Nach einem Umbau inklusive neuer Dachfenster sind sechs Wohnkabinen für jeweils sechs Bewohner sowie eine Wohnkabine für vier Menschen im Altarraum entstanden. Die Sakristei dient künftig als Essenausgabe, es gibt einen Gemeinschaftsbereich und in der Taufkapelle am Fuß des Turmes befindet sich das Mitarbeiterbüro. Toiletten und Duschen sind in einem Container untergebracht. Er steht eher unauffällig vor der Kirche und ist von innen erreichbar. Betrieben wird die als Notunterkunft geführte Einrichtung vom Verein für Innere Mission (VIM) in Bremen.
Der VIM legt nach Auskunft von Berthold Reetz, Bereichsleiter Flüchtlinge, Wert auf eine gute Betreuung. "Draußen soll noch ein Spielplatz für die Kinder entstehen", nennt Reetz einen der wichtigen Punkte auf der Liste. Währenddessen schauen sich Bremens zuständige Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne), Renke Brahms, Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) und Pastor Tilman Gansz-Ehrhorn von der Versöhnungsgemeinde um. Heute, am Mittwoch, ist es etwas enger als gewöhnlich, denn die Vertreter von Stadt, Kirche und VIM stellen ihr Konzept vor. Fernseh- und Hörfunkjournalisten, Kameraleute, Fotografen und schreibende Kollegen tummeln sich in den Gängen und Wohnkabinen. Offenbar hat die Kirche eine besondere Wirkung, denn das sonst nicht unübliche Schieben und Drängeln um den besten Fotoplatz geschieht hier gar nicht. Jeder macht dem anderen höflich Platz.
So kommen Menschen zusammen
Die Kirche für Menschen auf der Flucht zu nutzen sei nicht nur praktisch, sondern "sie hat darüber hinaus auch eine hohe Symbolkraft", findet Stahmann. Ihre Interviews geben sie, Brahms und Gansz-Ehrhorn im Gemeinschaftsbereich. Dort hängt ein mit Händen bedrucktes Transparent an der Wand. "You're welcome" ist darauf zu lesen. "Wir haben hier am vergangenen Samstag eine Umzugsandacht gefeiert", sagt der Pastor der Versöhnungsgemeinde, "am Ende hat jeder Teilnehmer einen Händeabdruck hinterlassen. Als Willkommensgruß." Für ihn, die Senatorin und Brahms steht das Transparent stellvertretend für kirchliches Engagement. "Die Menschen hier aufzunehmen ist der Kern der christlichen Botschaft", sagt der BEK-Schriftführer.
Darauf hat sich die Gemeinde mehrere Monate vorbereiten können. Bereits im vergangenen September fragte die Sozialbehörde der Stadtgemeinde Bremen nach Flächen und Räumen bei der BEK an. Nachdem sich die Versöhnungsgemeinde im November entschlossen hatte ihre Kirche herzugeben, informierte sie in mehreren öffentlichen Veranstaltungen ihre Mitglieder und die Nachbarn.
Das sei alles gut gelaufen, meint Pastor Gansz-Ehrhorn. Vor allem habe sich aus dem Kreis der Gemeindeglieder und Nachbarn eine 50 bis 60 Leute große Gruppe freiwilliger Helfer rekrutiert. Sie sind für Brahms "der größte Schatz", die die Gemeinden in Bremen haben. "Die letzte Abfrage ergab 500, aber da sind wir schon wieder weit drüber", freut sich der BEK-Schriftführer - die Zahl bezieht sich auf die gesamte Bremische Evangelische Kirche. Für die neuen Bewohner der Versöhnungskirche hätten auch türkischstämmige Menschen beziehungsweise muslimische Gemeinden und "atheistische Nachbarn" Hilfe zugesagt. Gansz-Ehrhorn sagt: "So kommen Menschen zusammen, die vorher noch nie etwas miteinander zu tun gehabt haben."
Gute Erfahrungen in Oberhausen
Ähnliche Erfahrungen hat die evangelische Kirchengemeinde Königshardt-Schmachtendorf in Oberhausen gemacht. Doch im Vergleich zu den Bremern mit einer mehrmonatigen Vorlauf- und Vorbereitungszeit "hatten wir vier Tage", berichtet Pfarrerin und Presbyteriumsvorsitzende Stephanie Züchner. Und noch einen Unterschied gibt es: In Oberhausen waren die 50 Flüchtlinge lediglich für ein halbes Jahr in der Kirche untergebracht. Sie sollten den Winter nicht in Zelten verbringen müssen.
"Wir haben im Wesentlichen sehr gute Erfahrungen gemacht", zieht Züchner Bilanz. In sehr kurzer Zeit hätten sich über 50 Helfer gefunden. Die Pfarrerin schätzt, dass sich dies gerade deshalb bewerkstelligen lassen, weil die Kirche dahinter stehe. Züchner betont: "Das hat dazu beigetragen, dass das Programm sehr gut gelaufen ist." Das sei nicht abzusehen gewesen, denn bei der vorausgehenden Bürgerversammlung hätten die Nachbarn vielfach Angst geäußert. Unter anderem vor Überfremdung. Im Laufe der Zeit hätten jedoch viele ihre Meinung geändert.
"Unsere Kirche war in den vergangenen Monaten auch ein Ort der Nächstenliebe", sagt Züchner, "jetzt wird sie wieder ein Ort des Gebets." Ab Palmsonntag nutzt die Oberhausener Gemeinde ihr Gotteshaus wieder. Die Vorbereitungen dazu sind in vollem Gange. "Unsere Flüchtlinge helfen uns beim Hineintragen der Bänke", erzählt die Pfarrerin begeistert.
Derweil erklärt BEK-Schriftführer Renke Brahms, dass in Bremen keine weitere Kirche als Notunterkunft für Flüchtlinge vorgesehen sei. Gleichwohl ist der Druck auf die Stadt und das Land Bremen nach wie vor groß. Sozialsenatorin Stahmann macht klar, dass das kleinste Bundesland in den ersten beiden Monaten des Jahres bereits 1.579 Flüchtlinge aufgenommen habe. Dies seien 918 mehr als im gleichen Zeitraum 2015. Bremen muss nach dem Königsteiner Schlüssel 0,94 Prozent aller Flüchtlinge und Asylbewerber aufnehmen. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 1,6 Prozent.