Vor anderthalb Jahren fiel den evangelischen Christen in Frankfurt – genauer: in der Nordweststadt – eine große und schwierige Aufgabe vor die Füße: Sie wurden auf 22 Männer aus afrikanischen Ländern aufmerksam gemacht, die unter einer Brücke schliefen. Spontan entschlossen sich zwei Gemeinden, die Obdachlosen in der Cantate-Domino-Kirche aufzunehmen, der Unterstützerkreis "Wir für 22" bildete sich. Einige Tage später zogen die Männer um in die leer stehende Gutleutkirche in der Nähe des Bahnhofs. Als diese Gruppe sich aufgelöst hatte und das Projekt eigentlich beendet werden sollte, besetzten 38 neue Afrikaner das Gebäude, und die evangelische Kirche in Frankfurt beschloss, sie nicht rauszuschmeißen. Das war im Juli 2014. Von diesen 38 Männern sind jetzt noch 19 da, und sie müssen nun endgültig raus, weil in der Gutleutkirche – lange geplant – ein Jugendtreff entstehen soll.
Diese 19 Männer plus vier aus der ersten Gruppe bekommen jetzt kostenlos Wohnraum in Gebäuden der Kirche, die dafür extra instandgesetzt und möbliert wurden. Wo sich die Häuser befinden und wann genau der Umzug stattfindet, darüber möchte der evangelische Stadtdekan Achim Knecht lieber schweigen. Die Privatsphäre der Flüchtling soll geschützt werden, und auch ihre Sicherheit – wer kann in diesen Zeiten schon garantieren, dass dunkelhäutige Männer in einer Gemeinschaftsunterkunft geschützt sind?
"Es nützt nichts, wenn wir eine Suppenküche aufmachen"
Wie es weiter gehen soll mit den ehemaligen "Gutleut-Flüchtlingen", das wissen weder sie selbst noch ihre Betreuer von der evangelischen Kirche. "Wir vertrauen darauf dass sich bestimmte Dinge regeln", sagt Stadtdekan Achim Knecht vage. Die Lage ist relativ hoffnungslos, denn es handelt sich streng genommen nicht (mehr) um Flüchtlinge, sondern eher um Wanderarbeiter, die in Deutschland nicht arbeiten dürfen. Aus Ghana, Nigeria oder Mali sind die meisten von ihnen nach Libyen gegangen, um dort zu arbeiten, bis sie zwischen die Bürgerkriegsfronten gerieten und fliehen mussten. In Italien oder Spanien durften sie als anerkannte Flüchtlinge oder Schutzberechtigte bleiben und arbeiten, doch nach der großen Finanzkrise gab es dort einfach keine Arbeit mehr. Also sind sie weitergezogen nach Deutschland. Das Dilemma: Zwar ist es ihnen erlaubt, für jeweils drei Monate am Stück in andere EU-Länder zu reisen, doch sich niederlassen und arbeiten dürfen sie nur in dem Land, das die Schutzberechtigung erteilt hat.
"Aus unserer Sicht ist das ein Problem, das größer und nicht kleiner wird", sagt Jürgen Mattis, Leiter des Fachbereichs Beratung, Bildung, Jugend des Evangelischen Regionalverbandes in Frankfurt. Nach einer Schätzung der Kirche leben mehrere hundert solcher Schutzberechtigten in der Stadt. "Das ist nur deshalb möglich, weil es hier in der Rhein-Main-Region illegale Arbeit gibt. Sie dürfen nicht arbeiten, aber sie können arbeiten", erklärt Mattis – zum Beispiel auf Baustellen, in Autowaschanlagen oder als Flaschensammler. Jürgen Mattis kennt die Männer mittlerweile: "Das sind sehr starke Persönlichkeiten, die sehr arbeitsorientiert sind. Ihr Ziel ist, ihr Leben zu verbessern." Einige wenige haben es tatsächlich geschafft – begleitet von Beratern der evangelischen Kirche – ihren Aufenthaltsstatus zu verbessern und sich eine eigene Existenz aufzubauen: Sie verdienen Geld und wohnen zusammen in WGs.
Die evangelische Kirche in Frankfurt will, dass das allen ermöglicht wird. Nicht durch Ausnahmeregelungen, zähes Ringen mit den Behörden, Tricks oder jahrelanges Warten, sondern durch eine vernünftige europäische Migrationspolitik, die es den Menschen ermöglicht, dort zu leben, "wo es für sie weitergeht", sagt Jürgen Mattis – sprich: wo es Arbeit gibt. Für neue obdachlose Wanderarbeiter, die möglicherweise noch an die evangelische Kirche in Frankfurt herantreten werden, hat diese bewusst keine Strategie und kein Konzept. "Wir stellen uns der Verantwortung die wir eingegangen sind", sagt Stadtdekan Achim Knecht und meint die Hilfe für die 23 Männer, die jetzt in Häuser der Kirche umziehen. Aber das ganze große Problem der Wanderarbeiter aus Afrika könne die evangelische Kirche in Frankfurt nun einmal nicht lösen. "Es nützt nichts, wenn wir eine Suppenküche aufmachen", sagt Knecht, und auch Jürgen Mattis ist gegen ein "paternalistisches Prinzip" von Kirche, einer Kirche also, die quasi von oben herab Hilfsangebote auf die Menschen regnen lässt.
"Unsere Strategie ist, an die Öffentlichkeit zu appellieren", sagt Stadtdekan Achim Knecht. Das ist nichts Neues, schon im März 2014 hat der Evangelische Regionalverband in Frankfurt eine Resolution zum Thema "Flüchtlinge in Frankfurt" veröffentlicht, und der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Volker Jung, gibt regelmäßig Erklärungen mit derselben Zielrichtungen ab: Die europäische Flüchtlingspolitik muss geändert, der Zugang zu Arbeit ermöglicht werden. Doch wer soll die Appelle hören? "Bund, Länder und Kommunen", schreibt der Kirchenpräsident. "Die Stadtgesellschaft", sagt Jürgen Mattis, oder auch "die Nationalstaaten". Die Appelle finden kein Gehör, weil niemand sich angesprochen fühlt oder weil alle Ebenen ohnehin schon überfordert sind, jedenfalls die Kommunen mit ihren enormen Anstrengungen, Flüchtlinge unterzubringen. In der Stadt Frankfurt kann sich die Kirche immerhin darauf berufen, dass der schwarzgrüne Koalitionsvertrag eine "Verbesserung der sozialen Lage von Flüchtlingen und Menschen, die ohne Aufenthaltsstatus in Frankfurt leben" vorsieht.
So, wie die Flucht der Männer aus Ghana, Nigeria und Mali kein Ende nimmt, weil sie in Frankfurt leider nicht ankommen dürfen, so finden auch die Unterbringungsaktionen in Cantate Domino und Gutleut irgendwie kein Ende. 23 der Männer ziehen nun um und verschwinden damit auch aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Immerhin: Hier konnten die Frankfurter Bürger wahrnehmen, dass die Kirche sich ihrer Verantwortung nicht entzieht. Doch für die "Schutzberechtigten", die nachkommen und arbeiten wollen, gibt es – wenn die Gesetze so bleiben, wie sie sind – keine Perspektive. Selbst dann nicht, wenn wieder eine Kirchengemeinde ihre Türen öffnet und die Geschichte von vorne beginnt.