Freihandel war von Anfang an umstritten. In der frühen Neuzeit bekämpften Seemächte wie England und Holland die "Freiheit der Meere". Anfang des neunzehnten Jahrhunderts erklärte dann der Urvater der klassischen Ökonomie, David Ricardo, den Nutzen des freien Handels am Beispiel von Portwein und Wolltuch: Es sei nützlich für alle, im warmen Klima Portugals süßen Wein zu erzeugen und auf den saftigen britischen Weiden Wolle, um dann die fertigen Produkte zu tauschen. Darauf konterte der heute vor allem in Schwellenländern populäre deutsche Wirtschaftswissenschaftler Friedrich List mit der Feststellung, Freihandel nütze vor allem dem Stärkeren.
Dass Freihandel auch zwischen gleichstarken Parteien umstritten sein kann, belegt der geplante Vertrag "Transatlantic Trade and Investment Partnership" (TTIP) zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten. Dabei greifen die politischen Fronten über das Links-Rechts-Schema hinaus: Der demokratische Präsident Barack Obama wird im US-Kongress vor allem auf Gegenwind von rechten Politikern der Republikaner stoßen, die Freihandel grundsätzlich ablehnen – an diesem Widerstand drohte schon das Freihandelsabkommen mit Südkorea zu scheitern. In der Bundesrepublik lehnen neben der rechten "Alternative für Deutschland" vor allem die Linkspartei und die Grünen TTIP ab.
Nichtregierungsorganisationen machen ebenfalls mobil: So hat sich ein Bündnis "TTIP unfairhandelbar", in dem auch christliche Gruppen aktiv sind, um die Globalisierungskritiker von Attac zusammengefunden, und das Kampagnennetzwerk Campact mobilisiert per Internet. Auch aus der Wirtschaft kommt Widerspruch: So fürchten Handwerker und Gewerbetreibende, Bauern und Agrarwirte, aber auch Gewerkschafter beiderseits des Atlantiks um bewährte Normen oder angestammte Märkte.
Trotzdem erwarten Beobachter einen Abschluss durch die Regierungen. Zwar werden die Europawahl und die Bildung der neuen EU-Kommission die ohnehin komplexen Verhandlungen hinauszögern, sagt Bettina Rudloff, "aber TTIP wird bestimmt nicht platzen". Frau Rudloff ist Handelsexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, einem führenden Think-Tank, der auch die Bundesregierung berät.
Bringt TTIP das Ende der Spreewälder Gurken?
Die öffentliche Kritik wiegt schwer: Es geht um Verbraucher- und Umweltschutz. Sozialstandards könnten verwässert werden, Rechtssicherheit und Kulturpolitik leiden. "Es besteht die Gefahr, dass das Freihandelsabkommen zu einem Race-to-the-bottom bei Normen und Zulassungen führt", warnt Andreas Mayert. Statt nach oben könnten beispielsweise die Umweltregularien für Pharma, Chemie oder Kosmetik nach unten angeglichen werden. Der Volkswirt am Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD in Hannover befürchtet, dass über Jahrzehnte gewachsene Schutznormen von Technokraten und Interessenvertretern in Hinterzimmern der Politik ausgehebelt werden. So werden in den USA regionale Spezialitäten wie Parmesan oder Spreewälder Gurken nicht geschützt.
Im Zentrum der Kritik steht neben dem Sozial- und Umweltdumping der sogenannte Investorenschutz. 141 solcher Investitionsschutzabkommen hat alleine die Bundesrepublik mit anderen Staaten bereits abgeschlossen. Damit sollen Niederlassungen und Fabriken deutscher Firmen in Griechenland und Kuba, Syrien oder Thailand vor Enteignung geschützt werden. Die Bundesbank beziffert die Direktinvestitionen deutscher Unternehmen im Ausland auf über eine Billion Euro.
Kritiker befürchten Schlimmstes: Bei Streitigkeiten entscheiden dann Investor-Staats-Schiedsstellen (ISDS) unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Unternehmen könnten Regierungen wegen entgangener Profite vor solchen außergerichtlichen Tribunalen verklagen. So will der Energiekonzern Vattenfall vor einem ISDS vier Milliarden Euro als Entschädigung für den Atomausstieg in Deutschland durchboxen. Fachleute wie Bettina Rudloff warnen allerdings vor Schwarzmalerei: Außergerichtliche Vergleiche hätten sich in der Praxis durchaus bewährt, und würden "nicht so willkürlich angewendet, wie es diskutiert wird". Auch die EU-Kommission versichert, TTIP werde den Spielraum "für regulatives Handeln" nicht nehmen.
Gegen die Risiken scheint der mögliche Nutzen gering: Schon heute sind die Vereinigten Staaten der wichtigste Handelspartner Europas. Unternehmen im Euroraum wie auch in Amerika genießen bereits ein hohes Schutzniveau für ihr Kapital, "so dass es für einen weitergehenden Investorenschutz keinen sachlichen Grund gibt", sagt EKD-Experte Mayert. Wandel durch Handel bleibt umstritten wie von Anfang an.
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