"Brot für die Welt" verbinden viele mit der Kollekte im Gottesdienst. Was hat Ihre Hilfsorganisation mit dem Transatlantischen Freihandelsabkommen zu schaffen?
Sven Hilbig: Brot für die Welt beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit internationaler Handelspolitik. Denn das ist ein wichtiges Thema für unsere Partnerorganisationen, die die Auswirkungen europäischer Handelspolitik und des Welthandels auf das Leben der Menschen vor Ort sehen. Wir befürchten, dass auch das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP Auswirkungen auf den globalen Süden hat.
Globaler Süden?
Hilbig: Mit globalem Süden meinen wir die Entwicklungs- und Schwellenländer. Brot für die Welt hat über tausend Projekte in Lateinamerika, Afrika und Asien laufen. Wir setzen uns für kleinbäuerliche Landwirtschaft ein, für Bildung, Gesundheit, Menschenrechte und die Umwelt. In der internationalen Handelspolitik fordern wir daher mehr soziale und ökologische Nachhaltigkeit.
Sie fürchten also indirekte Nachteile für die Menschen im Globalen Süden durch das TTIP?
Hilbig: Ja.
Was kritisieren Sie?
Hilbig: Zunächst, die Verhandlungen sind intransparent. Die Verhandlungstexte sind von offizieller Seite nicht bekannt gegeben worden. Das wird auch so bleiben, hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel Anfang des Monats während einer Veranstaltung seines Ministeriums, an der ich teilnahm, noch einmal gesagt. Erst wenn die Verhandlungsführer sich geeinigt haben, wird man den Text erfahren. Es ist nur ein kleiner Kreis, der Zugang zu den Unterhändlern hat – vor allem Wirtschaftsverbände und Konzerne. Betroffen sind aber alle Bürgerinnen und Bürger.
Was in diesem Stadium zwischenstaatlicher Verhandlungen durchaus üblich ist.
Hilbig: Das TTIP wird dazu dienen, die Rechte von Unternehmen weiter zu stärken. Stichwort: Investitionsschutz. Dazu kommt ein Investitionsschutzklageverfahren hinter verschlossenen Türen. Wir kennen das! Durch unsere Partner, durch unsere Kontakte. Seit Jahrzehnten unterhalten Deutschland, andere europäische Staaten, auch die USA viele bilaterale Abkommen, durch die solche Investor-Staat-Klageverfahren ermöglicht werden.
Können Sie Beispiele nennen?
Hilbig: Argentinien wurde bereits über 50 Mal vor ein solches Sonderschiedsgericht gezogen und musste erhebliche Zahlungen leisten; Ecuador sollte an ein Unternehmen Strafen zahlen in der Größenordnung von 20 Prozent des gesamten Staatsaushaltes.
Vor diesem Hintergrund hat Südafrika kürzlich mehrere Investitionsschutzabkommen gekündigt, unter anderem mit Deutschland und den Niederlanden. Da viele Verträge weltweit in diesem und im kommenden Jahr auslaufen, ist es zahlreichen Staaten möglich, diese Abkommen zu kündigen. Daher sind 2014 und 2015 ganz entscheidende Jahre, in denen eine Reform des Investitionsschutzes möglich ist – weg von den Investor-Staaten-Verfahren.
Sie fürchten also eine negative Vorbildfunktion durch das TTIP?
Hilbig: Sollten die USA und die EU im TTIP solche Schiedsgerichte zulassen, dann würde dies den Reformbestrebungen zuwiderlaufen und wäre damit ein falsches Signal für viele Regierungen des Globalen Südens.
"Die beiden größten Wirtschaftsmächte wollen globale Standards setzen"
Inhaltliche Kritik am TTIP ist mittlerweile fast allgegenwärtig, Stichworte Chlorhuhn oder Streikrechte. Dagegen stehen doch ökonomische Vorteile, offene Märkte für Exporte, mehr Arbeitsplätze, oder?
Hilbig: Schaut man sich die Studien des Centre for Economic Policy Research oder des Ifo-Instituts genau an, mit denen anfänglich für TTIP geworben wurde, wird klar, dass im Endeffekt nur Wachstumsraten im Promillebereich erwartet werden.
Warum dann aber dieser große Aufwand von Politik und Wirtschaftslobbys, um das TTIP durchzudrücken?
Hilbig: Die beiden größten Wirtschaftsmächte wollen globale Standards setzen, nach denen sich andere richten müssen. Dabei geht es nicht um Zollsätze. Die sind ohnehin gering.
In den Vereinigten Staaten sind die Normen teilweise deutlich höher als in Europa, beispielsweise bei der Zulassung von Medizintechnik und Medikamenten. Das wäre doch ein wünschenswerter Standard, oder nicht?
Hilbig: Natürlich könnte es so sein. Aber unsere Erfahrungen zeigen, dass man sich in solchen Handelsabkommen auf Standards einigt, die vor allem industriefreundlich sind – also minimale Standards auf kleinstem gemeinsamem Nenner. Dass man dagegen in Berlin oder Washington sagt, wir haben eine Vorbildfunktion für die ganze Welt, sehen wir nicht. Bislang waren die Befürworter des Freihandels im Globalen Norden immer nur für Freihandel, wenn er ihnen nutzte.
"Am Ende werden 28 Parlamente in Europa darüber entscheiden müssen"
Ihr Vertrauen in die Regierungen ist nicht sehr groß. Halten Sie es für möglich, dass das TTIP trotzdem noch scheitert?
Hilbig: Dies halte ich für möglich. Das Abkommen betrifft sehr viele Lebensbereiche. Daher ist das Bündnis dagegen sehr breit: von entwicklungspolitischen Organisationen über Gesundheitsdienste bis zum Buchhandel. Dass ein "Handelsabkommen" von so vielen Leuten aus so unterschiedlichen Politikfeldern sehr kritisch betrachtet wird, hat es noch nicht gegeben.
Minister Gabriel schlägt vor, dass der Bundestag über TTIP abstimmen soll. Was halten Sie davon?
Hilbig: Das ist ein Muss. Das TTIP reicht weit über den Bereich eines reinen Handelsabkommens hinaus, über das die EU allein entscheiden könnte. Am Ende werden 28 Parlamente in Europa darüber entscheiden müssen.