Washington vor einem Jahr: US-Präsident Barack Obama fordert in seiner Rede zur Lage der Nation erstmals eine transatlantische Freihandelszone mit der Europäischen Union. "Fairer und freier Handel über den Atlantik sichert Millionen gut bezahlter amerikanischer Jobs", begründet Obama seinen Vorstoß. Er kündigt die Aufnahme offizieller Verhandlungen mit der EU an. Doch seit Obamas Freihandelsoffensive im Februar 2013 haben NSA-Lauschangriff und Krim-Krise die politische Weltkarte heftig durchgerüttelt. Ob das "Transatlantic Trade and Investment Partnership", kurz TTIP, dadurch wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher wurde, ist noch offen.
Das transatlantisches Freihandelsabkommen TTIP würde über 40 Prozent des weltweiten Außenhandels umfassen - zum Vergleich: Exportweltmeister China kommt auf "nur" rund 10 Prozent. In Europa stößt die Idee einer "Wirtschafts-Nato" daher in weiten Kreisen auf Wohlwollen. Angela Merkel will sie, der britische Premierminister David Cameron ohnehin und selbst das eigensinnige Frankreich pflegt enge Handelsbeziehungen mit den USA. Ein gemeinsamer Binnenmarkt über den Atlantik hinweg könne die Wirtschaftsbeziehungen ankurbeln. So schätzt die EU-Kommission in einer Studie, dass TTIP ein kontinuierlich höheres Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent oder 120 Milliarden Euro pro Jahr bringe. Für die USA würde danach das jährliche Handelsplus 95 Milliarden Euro betragen. Viele Unternehmensverbände beiderseits des Atlantiks stimmen in den politischen Chor der Regierungen und der EU-Spitze mit ein.
Dabei ist TTIP kein Einzelfall. Seit dem offenkundigen Scheitern der Welthandelsorganisation WTO, die sich seit 2001 vergeblich um ein internationales, multinationales Freihandelsabkommen bemüht, konzentrieren sich die reichen Staaten auf zweiseitige Abkommen. Hinter der sicherlich mit der EU abgestimmten Obama-Offensive steht also eine neue außenpolitische Strategie, die vorrangig auf bilaterale Verträge setzt. Dahinter steht auch die Sorge um den schwindenden Einfluss der "alten" Wirtschaftsmächte durch den Aufstieg Chinas und der arabischen Ölstaaten. Die Außen- und Militärpolitik Washingtons hat sich bereits auf ein "asiatisches Jahrhundert" eingestellt – nun soll die Wirtschaftspolitik folgen. TTIP ist daher vor allem Geopolitik.
Freihandel: Bislang immer gescheitert
Doch in der Vergangenheit waren alle Versuche, eine Atlantik-Handelsbrücke zu schmieden, an unterschiedlichen Interessen gescheitert. Schon lange mühten sich hochrangige Arbeitsgruppen, bürokratische Hemmnisse abzubauen. Dabei schaffen weniger die Zollsätze Probleme: Für Industriewaren liegen sie nach Auskunft der Gesellschaft für Außenwirtschaft des Bundeswirtschaftsministeriums bei "um die 5 Prozent", sind also billiger als etwa Währungsschwankungen. Allerdings gäbe es im Agrarbereich "erhebliche Abschöpfungen". Die USA versprechen sich daher, neben der vereinfachten Ausfuhr von Dienstleistungen, einen verstärkten Export von Weizen und Mais. Aber fast jedes Land in der EU subventioniert seine Bauern bislang mit Milliarden Euro, um sie vor ausländischer Konkurrenz abzuschirmen.
Noch schwieriger zu überbrücken dürften die "nichttarifären" Handelshemmnisse sein. So werden in den USA viele gentechnisch manipulierte Pflanzensorten angebaut, Geflügelfleisch wird mit Chlorwasser gegen Salmonellen abgespritzt - hierzulande nicht zulässig. Dagegen folgt die Zulassung medizinischer Geräte oder von Arzneimitteln in den Vereinigten Staaten schärferen Regeln als in Europa. Umstritten sind auch die von den USA ausgesprochenen Sanktionen etwa gegen Kuba oder Iran. Sie treffen deutsche Waren selbst dann, wenn diese nur einen minimalen Anteil an amerikanischen Vorprodukten enthalten. Amerikanische Zöllner schieben deshalb Dienst im Hamburger Hafen.
Erst seit Juli 2013 laufen amtliche Gespräche zwischen Brüssel und Washington. Zurzeit ruhen die Verhandlungen. Der Protest vor allem in Deutschland ist groß: Unterschriftenkampagnen, an denen sich auch kirchliche Gruppen beteiligen, wurden schon von abertausenden Bundesbürgern unterzeichnet. Die EU-Kommission hält mit einem sogenannten Konsultationsprozess dagegen. Ab Ende März 2014 konnten alle Bürger dann auf der Internetseite der Kommission ihre Kritik am Freihandelsabkommen äußern. Außenwirtschaftsexperten erwarten jahrelange Auseinandersetzungen über mehrere tausend Details. Schon die vergleichsweise überschaubaren Verhandlungen über ein Handelsabkommen der EU mit Südkorea hatten fast fünf Jahre gedauert.
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