Bis zum 31. März, so war es geplant, durften die 22 Männer aus afrikanischen Ländern in der Gutleutkirche hinter dem Frankfurter Hauptbahnhof bleiben. Doch dann erschien des den Verantwortlichen aus den Kirchengemeinden doch zu hart, einfach an einem Stichtag "den Schlüssel umzudrehen", sagt Pfarrer Ulrich Schaffert von der Dietrich-Bonhoeffer-Gemeinde. Er mag die Hoffnung nicht aufgeben. Immerhin haben drei der 22 Flüchtlinge eine Arbeitserlaubnis in Deutschland bekommen, zwei von ihnen ziehen in eine von der Kirche organisierte Wohnung ein, einer muss aus rechtlichen Gründen zunächst für drei Monate nach Spanien zurückkehren.
###mehr-artikel### Von den übrigen Flüchtlingen sind einige schon freiwillig nach Italien zurückgekehrt - vielleicht finden sie dort Saisonarbeit - und auch die beiden Flüchtlinge in der Wicherngemeinde werden sich im April in einen Bus nach Neapel setzen. Gut zwei Dutzend Männer warten weiterhin in der Gutleutkirche ab. Bis Mai dürfen sie bleiben, doch Hoffnung auf eine Zukunft in Deutschland gibt es für sie kaum noch.
Die Frankfurter Flüchtlinge sind rechtlich keine homogene Gruppe, jeder hat seine eigene Fluchtgeschichte. Die meisten sind Wanderarbeiter, die irgendwo auf der Welt ihren Platz suchen und nirgends Rechte haben; einige gelten möglicherweise als "Dublin II-Flüchtlinge" mit sicherem Status in Italien oder Spanien. In Deutschland bleiben darf aber nur, wer einen Daueraufenthaltstitel aus einem EU-Land sowie einen Pass besitzt, hier seinen Lebensunterhalt sichern kann und eine Kranken- und Pflegeversicherung hat. Das sind fast unüberwindbare Hürden für die jungen Männer, die nach einer Odyssee durch Nordafrika und Europa im November unter einer Brücke am Main gelandet waren.
Loslassen wie der barmherzige Samariter
Fünf Gemeinden der nordwestlichen Stadtteile hatten die Flüchtlinge damals spontan in der Cantate-Domino-Kirche aufgenommen. "Aus dem Abendmahlstisch wurde der Esstisch, das Gleichnis vom großen Hochzeitsmahl war für einen kurzen Moment Wirklichkeit geworden", erzählte Helga Burger vom Kirchenvorstand Cantate Domino am Montagabend vor der Synode des evangelischen Stadtdekanates Frankfurt. Lampedusa sei plötzlich ganz nah gewesen, ergänzte Pfarrer Ulrich Schaffert. "Das Thema hat durch die Männer plötzlich Gesichter bekommen. Was wir bisher aus dem Fernsehen kannten, ist hier in unserer Stadt angekommen." Die Wicherngemeinde nahm zwei weitere Flüchtlinge auf, und auch die Kirchengemeinde Am Bügel gab einem Mann Obdach.
Auf die anfängliche Euphorie folgte in den Gemeinden die Erkenntnis, dass sie Hilfe brauchen – von Profis wie Pfarrer Jürgen Mattis, Leiter des Fachbereichs I (Beratung, Bildung, Jugend) beim Evangelischen Regionalverband. Mattis stellte der Synode die Hilfsangebote vor, die die evangelische Kirche in Frankfurt in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut hat: Diakoniezentrum, Wohnraumhilfe, Kältebus, Sozialberatung, Therapie und einiges mehr. "Der Fremde ist der Gast, der nicht mehr geht", so einer von Mattis' Grundsätzen, und um den Fremden müssen Christen sich nach dem biblischen Gebot (3. Mose 19,33f und Matthäus 25,35) kümmern – so professionell wie möglich.
Es kommen immer neue Flüchtlinge und Einwanderer, und sie haben jeweils ihre eigenen Bedürfnisse. Momentan fliehen viele vor Krieg und Armut aus Syrien und Afrika, sie sind traumatisiert und heimatlos, ihre Dörfer liegen in Trümmern. "Der Fremde ist der Gast der kommt und nicht mehr gehen kann," ergänzte Jürgen Mattis seinen Grundsatz und erzählte von der großen Hilfsbereitschaft der Menschen in Frankfurt: Zum Projekt "Socius", bei dem Ehrenamtliche zu Begleitern für Migranten ausgebildet werden, haben sich zuletzt 61 Freiwillige angemeldet.
Die Kirche tut, was sie kann – und stößt dennoch an Grenzen. Gegen Vorschriften, Gesetze, und Fristen der EU-Bürokratie kommen die evangelischen Christen in Frankfurt nicht an. Pfarrer Ulrich Schaffert sagte: "Es tut weh, dass wir den meisten jetzt sagen müssen: Weiter als bis hierhin können wir euch nicht helfen." Er müsse an das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter denken: "Die Geschichte hat eben auch ein Ende." Der barmherzige Samariter ließ seinen Schützling wieder los. "Wir hoffen, dass unsere Flüchtlinge mit Gottes Hilfe ihren Weg finden", schloss Schaffert seinen Erfahungsbericht mit trauriger Stimme.
Die Evangelischen wollen nicht mehr brav sein
Wolf Gunter Brügmann-Friedeborn, Kirchenvorsteher der Wicherngemeinde, sieht sich schon mit Tränen in den Augen am Reisebus stehen, wenn die Gemeinde ihre beiden Wintergäste aus Niger und Ghana demnächst ziehen lassen muss. Was konnten sie den beiden Männern bieten? "Einen sicheren Ort. Begegnung mit Anteilnahme und Respekt. Eine Auszeit von der ewigen Flucht und Ungewissheit. Ein temporäres Zuhause, in dem sie zur Ruhe kommen und wieder Kraft tanken konnten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger", zog Brügmann-Friedeborn Bilanz. Im Grunde sei die Gemeinde ohnmächtig, könne den beiden nicht langfristig helfen.
"Wir haben aber auch erfahren, wie wir aus dieser Ohnmacht herauskommen", berichtete der Kirchenvorsteher, "nämlich mit der Beschäftigung, warum die Lage so ist wie sie ist, mit den politischen und wirtschaftlichen Zusammenhängen. Und dabei ist in vielen von uns etwas gewachsen, was sie vorher bei sich nicht kannten: Zorn." Die Gemeinden, die Flüchtlinge aufgenommen haben, sind politisch geworden. "Wir wissen zwar noch nicht, wie wir uns weiter für Flüchtlinge engagieren werden, aber wir werden", sagte Brügmann-Friedeborn kämpferisch vor der Synode.
Der Zorn der Evangelischen schlägt sich in der Resolution nieder, die die Synode des Stadtdekanats am Montagabend verabschiedet hat. "Weil Gott nicht auf die gesellschaftliche Stellung einer Person schaut, sondern Menschen aller Völker und gesellschaftlicher Gruppen in sein Reich ruft, ist es Aufgabe der christlichen Gemeinschaft, auch bisher Fremde einzubeziehen und ein enges, national beschränktes Denken und Handeln zu überwinden", heißt es darin, und die dann folgenden Bitten an politisch Verantwortliche wurden vor der Abstimmung in "auffordern" und "ersuchen" geändert – die Kirche will nicht mehr brav und demütig daherkommen, wenn es um Menschenrechte geht. Die Synodalen fordern vernünftigen Wohnraum für Flüchtlinge, mehr Geld für Beratung und Integration, mehr Engagement von der Stadt Frankfurt. Und zum Schluss gehen sie in der Resolution doch wieder zur "Bitte" über, gerichtet an die Bürgerinnen und Bürger der Stadt, in ihrem Engagement nicht nachzulassen. Dank ist darin eingeschlossen.