Die Tür in das höllische Labyrinth liegt idyllisch, ein paar Schritte nur von einem Bachlauf entfernt. Rabstejn heißt das Gebiet im Elbsandsteingebirge an der tschechisch-sächsischen Grenze, und der Schülergruppe weht ein eisiger Luftzug entgegen beim ersten Schritt in die Tiefe. Schwache Glühbirnen nur erhellen den Stollen, von dem aus seitlich viele weitere Gänge abzweigen. "Das ist gespenstisch", raunen sich zwei Schülerinnen zu. Tief unter den Sandsteinfelsen ist die Vergangenheit noch zu spüren.
Der Horror von Rabstejn begann im Jahr 1944: Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs sollte hier eine NS-Flugzeugfabrik entstehen, durch den Fels geschützt vor Bombenangriffen. Mehr als 600 Häftlinge aus dem bayerischen Konzentrationslager Flossenbürg mussten die Gänge durch den Fels treiben - an der höchsten Stelle 14 Meter hoch. Viele der Zwangsarbeiter starben an den Strapazen.
Beim Besuch der Schülergruppe 80 Jahre später wird hier unter Tage Deutsch, Tschechisch und Englisch gesprochen: Die Jungen und Mädchen kommen von Gymnasien aus Prag, aus dem benachbarten Ort Ceska Kamenice und aus dem sächsischen Sebnitz. Mehrere Tage lang beschäftigen sie sich gemeinsam mit der blutigen Geschichte des Ortes und knüpfen durch den engen Austausch Kontakte auf der jeweils anderen Seite der Grenze.
Auch Sieglinde Vendolsky ist zusammen mit ihrem Mann Ivo nach Tschechien gefahren: Beide wurden in der Region um Ceska Kamenice geboren, in sudetendeutsche Familien. Damals hieß die Stadt noch Böhmisch Kamnitz.
Schüler:innen befragen Zeitzeugen
"Meine Erinnerungen an Rabstejn sind sehr schemenhaft, ich war damals gerade einmal fünf Jahre alt", sagt Sieglinde Vendolsky, die heute 84 Jahre alt ist. Die beiden Eheleute aus dem Taunus sitzen vor einer Kamera, auf der anderen Seite der Kamera befragen Schüler:innen sie. Nach und nach schält sich noch ein zweiter Teil der Geschichte von Rabstejn heraus: Gleich nach dem Krieg wurde aus dem KZ-Außenlager ein Internierungslager für Sudetendeutsche auf dem Weg in die Vertreibung. Auch Sieglinde Vendolsky war hier mit ihrer Mutter eingesperrt: "Wenn ich heute durch das Tal fahre, ist das für mich schwer zu verkraften."
Jetzt soll Rabstejn zum Ort für die deutsch-tschechische Aussöhnung werden. Das Treffen der Schüler:innen aus beiden Ländern Anfang September ist eine der Säulen.
Vorangetrieben wird das Projekt von vielen Beteiligten in Deutschland und Tschechien, unter ihnen sind auch die Sudetendeutsche Landsmannschaft und die Stadt Ceska Kamenice. Jan Papajanovsky, der Bürgermeister von Ceska Kamenice, gehört mit seinen 29 Jahren selbst zur neuen Generation und ist bei der Begegnung der Schüler:innen aus Tschechien und Deutschland dabei. "Wir wollen, dass mehr solcher Kultur- und Bildungsaktivitäten in Rabstejn stattfinden", sagt er: "Und wir planen, dass sich ein Zentrum aus solchen Aktionen heraus entwickelt."
Dieses Zentrum solle kein Museum werden, sondern eher eine Begegnungsstätte: Ein Ort, der sich mit der blutigen Vergangenheit beschäftigt und gleichzeitig eine wichtige Rolle in der Gegenwart spielt, im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Tschechien. Jugendliche aus ganz Europa leisten derzeit für einige Wochen Freiwilligendienste vor Ort; die sächsische Organisation "Aktion Zivilcourage" ist beteiligt; Fördermittel für den Austausch kommen von der Europäischen Union.
Als Fachmann ist auch Jörg Skriebeleit in Ceska Kamenice mit dabei: Der Historiker leitet die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, gelegen in der Oberpfalz. Rund 90 Außenlager habe es gegeben, in denen sich die Häftlinge buchstäblich zu Tode arbeiten mussten - Rabstejn war eines davon. "Hier entsteht aus unterschiedlichen Basisgruppen ein gemeinsames Bildungsprojekt", sagt er: "Wenn wir aus der Geschichte etwas lernen können, dann, dass es um Menschen geht: dass Gewalt von Menschen ausgeübt wird und gegen Menschen geht." Dass jetzt Schüler:innen aus beiden Ländern in diese Geschichte eintauchten und zusammen mit Älteren sowohl das Unrecht während des Kriegs als auch nach dem Krieg betrachteten, sei ein vielversprechender Ansatz.
Eine wichtige Lektion
Die ersten Schritte zu dem Projekt liegen schon sieben Jahre zurück: Damals fuhr das English College aus Prag für ein Seminar nach Ceska Kamenice. "Wir wollten, dass die Schüler ihr Wissen aus dem Unterricht anwenden konnten - und das an einem Ort, wo sie die Geschichte selbst erfahren können", erinnert sich Alena Svejdova, die stellvertretende Schuldirektorin. Aus diesem ersten Kontakt ist inzwischen ein Netz entstanden, in das auch mehr als ein halbes Dutzend betagter Zeitzeugen eingebunden sind.
Die Gespräche mit ihnen hinterließen auf die Schüler einen bleibenden Eindruck, wie Alena Svejdova beobachtet hat: "Die Schüler erfahren, wie große historische Ereignisse das eigene Leben kreuzen können und dass es wichtig ist, einen kühlen Kopf zu bewahren, tapfer zu sein und die eigenen Prinzipien hochzuhalten." Und genau das sei für die heutige Zeit eine wichtige Lektion.