Frau geht mit Plastiktüten durch eine Unterführung durch.
epd-bild/Steffen Schellhorn
Evangelische Landeskirchen und Gemeinden bieten verschiedene Angebote an, um von Armut betroffenen Menschen zu helfen.
Armut in Deutschland wächst
Das tun Gemeinden, um Bedürftigen zu helfen
Kinderarmut, Familien am Existenzminimum und immer mehr Rentner, die Pfandflaschen sammeln – die evangelischen Landeskirchen und Gemeinden verschließen nicht die Augen vor der wachsenden Armut in der Bevölkerung. Sie bieten zahlreiche Hilfen an. evangelisch.de-Redakteurin Alexandra Barone stellt eine Auswahl von Projekten und Statements von Kirchenvertretern vor.

Wie evangelisch.de bereits am 8. August berichtet hat, gibt es immer mehr Obdachlose, aber auch Erwerbstätige und vor allem Rentner, bei denen das Gehalt beziehungsweise Rente nicht bis zum Ende des Monats ausreicht. Immer mehr Familien leben am Existenzminimum und die Leidtragenden sind oft die Kinder. Landeskirchen und Gemeinden helfen betroffenen Menschen mit einer Vielzahl von Unterstützungsangeboten. Hier eine beispielhafte Auswahl: 

Ev.-Luth. Kirchenkreis Hamburg-Ost

"Die Not von Menschen wahrzunehmen und nicht wegzuschauen, gehört zum christlichen Selbstverständnis. Viele Gemeinden unserer Stadt engagieren sich seit Jahren haupt- und ehrenamtlich, um die Folgen von Armut zu lindern und den Betroffenen würdevoll zu begegnen. Und obgleich Armut in der Innenstadt zum Beispiel um den Hauptbahnhof sehr sichtbar ist, gibt es auch in den vermeintlich besser gestellten Stadtteilen einen großen Bedarf an Unterstützung. Da ist Kirche aktiv und zeigt tatkräftig Nächstenliebe", erklärt Propst Dr. Tobias Woydack vom Evangelisch-Lutherischen Kirchenkreis Hamburg-Ost und nennt einige Beispiele:

•    Rathauspassage 
Die Rathauspassage ist Hamburgs sozialer Hafen. Es ist ein Ort, an dem Menschen, die lange vom Erwerbsleben ausgeschlossen waren, Hoffnung und Qualifikation finden. Begleitet und qualifiziert werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Bereichen Gastronomie, Buchantiquariat sowie Verkauf.

•    Hinz und Kunzt 
Ein Straßenmagazin, das von obdach- oder wohnungslosen Menschen in der Region Hamburg vertrieben wird. Es erscheint seit November 1993 monatlich und wurde von dem damaligen Leiter des Diakonischen Werkes Hamburg mitgegründet.

•    Trinitatis Quartier (in Planung)
Das Trinitatis Quartier ist eine soziale Stadtentwicklung im Bezirk Altona (Hamburg) neben der Hauptkirche St. Trinitatis am Fischmarkt. Es entsteht ein Quartier mit öffentlich gefördertem sozialem Wohnungsbau, insbesondere Kompaktwohnungen für ehemalige Obdachlose (Housing First), sowie einer Kindertagesstätte, einem Café und einer Pilgerherberge.

•    Tagesaufenthaltsstätte (TAS) Norderstedt
Menschen jeden Alters, Geschlechts, Glaubens und jeder Herkunft sind ohne Vorbedingungen willkommen, können sich dort ausruhen und aufwärmen. Auch in akuten Krisensituationen wie Wohnungsverlust oder anderen schwierigen Lebenslagen gibt es kostenlose Beratung. 

In Hamburger Kirchengemeinden gibt es zahlreiche Angebote wie "Tafeln" und/oder Sozialberatungen:

Kirchengemeinde Lokstedt – Kooperation mit Anstoß e.V. 

"Anstoß" bietet einen Treffpunkt für Menschen in der Nachbarschaft, unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten. Neben der Sozialberatung und der Tafel gibt es dafür Angebote wie das Kaffee Klönschnack und den Frühstückstreff.

Kirchengemeinde und Stadtteildiakonie Eidelstedt – Projekt Kirche 3

Die Pflegediakonie sowie das Diakonische Werk des Kirchenkreises und die Kirchengemeinde Eidelstedt haben sich zu einem gemeinsamen Projekt in den Räumen am Hörgensweg 62 zusammengetan. Die Gemeinde trägt dort z.B. mit einem Seniorenfrühstück sowie Angeboten für Kinder und Jugendliche und einem Trauercafé zum gelingenden Miteinander der Menschen in der Nachbarschaft bei. Die Arbeit dort wird von Diakon Uwe Loose koordiniert. Das Diakonische Werk Hamburg-West/Südholstein bietet mit seiner Mitarbeiterin Frau Kiesé Sozialberatung für verschiedene Lebensthemen an. Die Pflegediakonie unterstützt Menschen, damit sie in ihrer eigenen Häuslichkeit verbleiben können, auch wenn Pflege und/oder anderer Unterstützungsbedarf entsteht. 

Kirchengemeinde St. Georg  – Lebensmittelausgabe und Suppenküche

Die Versorgung der wohnungs- und obdachlosen Menschen und der zunehmend aus anderen Gründen bedürftigen Menschen in St. Georg im Umfeld des Hauptbahnhofs mit warmen Speisen, Wasser, Hygieneartikeln und Mindestvorräten ist weiterhin dringend notwendig. Am Donnerstag werden derzeit um die 230 Menschen mit Lebensmitteln versorgt, die unter anderem von der Tafel e.V. geliefert und bei Bedarf von uns aus Spendenmitteln aufgestockt werden. Zu diesen Menschen gehören laut Aussage der Gemeinde oftmals mehrere Familienmitglieder, d.h. die Zahl der von der Ausgabe abhängigen Menschen ist deutlich größer. Die Suppengruppe wird großzügig unterstützt von Küchen und Kantinen von Hotels und Firmen, durch große und kleine Geldspenden, Lebensmittel von der Hamburger Tafel e.V. und vielem mehr.

Kirchengemeinde Meiendorf-Oldenfelde

Die Gemeinde bietet eine Sozialberatung insbesondere für Menschen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind und eine Lebensmittelausgabe.

Hauptkirche St. Nikolai – Mit Laib und Seele 

Seit 2021 gibt es das Gemeinschaftsprojekt "Mit Laib und Seele", initiiert vom Hege Helping Hands e.V. und der Hauptkirche St. Nikolai. Jeden Freitagmittag füllt sich der Kirchvorplatz mit über 30 Freiwilligen, die eine Suppenküche und Lebensmittelausgabe für einsame und bedürftige Menschen organisieren. Selbstgemachte Suppen und frisch gebackener Kuchen, eine Tasse Tee oder Kaffee, dazu ein liebevoll aufgebautes Buffet mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln in der Taufkapelle lässt jede Woche bis zu 140 Menschen zur Kirche kommen. Mittlerweile arbeitet "Mit Laib & Seele" unabhängig von der Hamburger Tafel. Über ein großes Netzwerk von Schulen sammelt das Projekt jede Woche Lebensmittelspenden für die Ausgabe. 

Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR)

In seinem Präsesbericht vor der Landessynode im Januar 2024 hat Präses Dr. Thorsten Latzel dem Thema Armut einen ausführlichen Absatz gewidmet. "Es ist für viele Menschen schwierig geworden, finanziell irgendwie über die Runde zu kommen. Alleinerziehende. Menschen mit niedrigen Einkommen. Pandemie, Krieg und Inflation haben die Situation verschärft. Ärmere sind besonders betroffen. Es ist eine Schande, dass Kinderreichtum eines der größten Armutsrisiken ist", so Latzel. "Arm sein, das heißt, du gehörst nicht dazu. Du wirst häufiger krank. Eure Wohnung liegt im falschen Stadtteil. Und in Schule und Beruf hast du von Anfang an einfach miese Karten." Die Zunahme von Armut merke man unmittelbar in der Arbeit von Kirche und Diakonie. Tafeln seien zum Teil so überlaufen, dass sie einen Aufnahmestopp verhängen mussten. 

Bereits im November 2023 hatte der Präses in seinem Martinswort ein Umsteuern und Umverteilen in der Gesellschaft gefordert. "Unser Sozialstaat speist sich wesentlich aus christlichen Wurzeln. Ihn zu erhalten, ist ein Gebot der Nächstenliebe. Wir laufen aber gerade massiv Gefahr, dass viele diakonische Einrichtungen schließen müssen und wir als Gesellschaft die Versorgung in der Fläche verlieren: Versorgung von Pflegebedürftigen. Beratung bei Sucht. Integration Geflüchteter. Betreuung in Kitas. Wer hier spart, zahlt später drauf", erklärt Latzel. "Gott spricht: "Ich habe das Schreien der Armen gehört." Das ist für uns leitend."

Wie die evangelischen Landeskirchen und Gemeinden von Armut betroffenden Menschen Hilfe anbieten.

Evangelische Gemeinde Obermeiderich - Eine Kelle Suppe, eine Kelle Gemeinschaft

Unter dem Motto "eine Kelle Suppe – eine Kelle Gemeinschaft" startete die  Kirchengemeinde im November 2022 einen kostenfreien Mittagstisch, zu dem Gemeindemitglieder und Menschen aus dem Stadtteil kamen. Weil die Lebenshaltungskosten explodieren und immer mehr Menschen von Armut betroffen sind, lädt die Kirchengemeinde seitdem alle Hungrigen unabhängig von Religion und Kultur auch an einem Sonntag im Monat (meist am letzten, weil dann das Geld bei vielen besonders knapp geworden ist) um zwölf Uhr zu einer kostenlosen warmen Mahlzeit in das Gemeindezentrum an der Emilstraße 27 ein. 

Unter dem Motto "Eine Kelle Suppe – eine Kelle Gemeinschaft" startete die  Kirchengemeinde im November 2022 einen kostenfreien Mittagstisch,

"Menschen brauchen in unserer herausfordernden und unsicheren Zeit Angebote, die sowohl dem Leib als auch der Seele guttun. Hunger hat viele Komponenten. Deshalb gibt es bei Emils Mittagstisch neben einer Kelle Suppe auch eine Kelle Gemeinschaft", sagt auch Sarah Süselbeck, Pfarrerin der Gemeinde, die voll hinter dem Projekt steht und selbst mit anpackt. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich. Das Essen ist gratis, Spenden werden gerne entgegengenommen. Die zusätzlichen Kirchensteuereinnahmen, die auf die vom Staat an die Bürgerinnen und Bürger einmalig ausgezahlten Energiepauschalen anfielen, hat die Evangelische Gemeinde Obermeiderich für den Einkauf von Lebensmitteln für den kostenfreien Mittagstisch genutzt. 

Evangelischer Kirchenverband Köln und Region

Jede Woche werden in der Nacht auf Mittwoch Lebensmittel-Retouren von 40 bis 50 Läden bei einer Großbäckerei im Kölner Norden eingesammelt, um am Vormittag an der Thomaskirche im Kölner Agnesviertel ausgegeben zu werden. Wenn sich die Türen um 10 Uhr öffnen, liegen körbeweise Brot, Brötchen, Gebäck und was sonst aus dem Verkauf übrig ist, bereit. Dem Projekt zugrunde liegt der christliche Urgedanke: Gemeinsam essen und teilen, was wir bereits haben!

"In der Südstadt, mitten unter uns, gibt es Mütter und Väter, die nicht in der Lage sind, Weihnachtswünsche ihrer Kinder zu erfüllen, was für andere eine Selbstverständlichkeit ist", erklärt Pfarrer Hans Mörtter. "Kinder, die erleben, dass Wünsche auch in Erfüllung gehen können, entwickeln Visionsfähigkeit und Offenheit für Träume, was für ihre eigene Persönlichkeitsentwicklung – und für die Zukunft eines Gemeinwesens – lebenswichtig ist." Die Aktion wird 2024 zum 18. Mal an der Lutherkirche durchgeführt.

Die Gemeinde bietet Beratung und Hilfe bei sozialen Problemen. Hilfe und Unterstützung gibt es bei Fragen zu Sozialleistungen, Konflikten oder Lebenskrisen und finanziellen Notlagen.

Das Café Bickolo ist Anlaufstelle bei persönlichen Problemen und bietet Erstberatung und soziale Beratung in den Bereichen Gesundheit, Wohnen, Finanzen, Trauer, Erziehungsberatung, bei Konflikten und vielen weiteren Themen, die auf der Seele liegen. Im Café Bickolo gibt es ebenfalls verschiedene Angebote für Familien, wie z. B. eine Eltern-Mädchen-Gruppe, ein Seniorentreffen oder das Frauenfrühstück. 

  • Hoffnungsgemeinde im Kölner Norden - Panorama

Die Ev. Hoffnungsgemeinde im Kölner-Norden startet gemeinsam mit dem Förderverein Panorama e.V. das präventive Bildungsprojekt Panorama in Chorweiler. Panorama ist aus der Idee geboren, dass Musik die Welt verändern kann. Durch das Erlernen einer Geige bzw. eines Cellos werden die Kinder bestärkt, an sich zu glauben. Sie erleben in einem Orchester eine Gemeinschaft, in der sie zu selbstbewussten Persönlichkeiten heranreifen und Perspektiven für ihren Lebensweg entdecken, beschreibt es die Gemeinde. Zunächst können 16 Kinder ab etwa vier Jahren, dreimal in der Woche durch das Erlernen eines Instruments Selbstwirksamkeit erleben.

Ein oder zwei Mitarbeitende gehen einmal pro Woche mit einem Bollerwagen an einen Spielplatz oder anderen Treffpunkt im Veedel. Dort werden ein Sonnenschirm bzw. Pavillon und Stühle aufgebaut und Passanten können kostenlose Getränke (Wasser und Kaffee) genießen. Ziel des Projektes ist es, als Gemeinde dorthin zu gehen, wo die Menschen des Veedels (Stadtteil) sich aufhalten.

Evangelischer Kirchenkreis Hamm

Im Ev. Kirchenkreis Hamm gibt es mehrere Initiativen und niedrigschwellige Angebote in gemeindlicher Trägerschaft oder Co-Trägerschaft:
Eine Kleiderkammer (an 3 Werktagen geöffnet), daran angeschlossen eine tägliche (!) Ausgabe von übrig gebliebenen, nicht verkauften Lebensmitteln an Bedürftige, sowie ein monatliches Frühstücksangebot "Frühstück bei Thomas", oder das Café Offenes Ohr. Der ehrenamtlich getragene Spaghetti-Club, in Trägerschaft der Ev. Kirchengemeinde Bockum-Hövel hilft Kindern zwischen 6 und 16 Jahren gemeinsam mit der AWO und der Friedrich-Wilhelm-Stift gGmbH, einem evangelischen, örtlichen Träger der Jugendhilfe mit dem Angebot einmal in der Woche kostenlos eine warme Mahlzeit zu haben sowie einer Hausaufgabenbegleitung und weiteren sozialen Angeboten. 

Kirchenkreis Dinslaken 

Dein Treff ist ein "öffentliches Wohnzimmer für Wohnungslose, von Wohnungslosigkeit Bedrohten und Alleinerziehenden". Er wird von der Diakonie im Ev. Kirchenkreis Dinslaken und dem DRK betrieben. Als Kooperationspartner konnten die Ev. Kirchengemeinde Dinslaken und die Stadt Dinslaken gewonnen werden. Der Treff bietet nicht nur die Möglichkeit, sich im Warmen aufzuhalten, es stehen den Besucher:innen immer zwei Mitarbeitende zur individuellen Beratung zur Verfügung. Sie helfen beispielsweise bei Behördengängen, Arztbesuchen oder beim Ausfüllen von Formularen. Oder sie hören einfach zu.

"Wir wollten einen gemütlichen Raum schaffen, wo man ins Gespräch kommen kann. Es war überfällig, dass Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit Bedrohte in Dinslaken endlich einen Ort haben, der zum Ankommen einlädt", berichtet Nicole Elsen-Mehring, Geschäftsführerin der Diakonie im Ev. Kirchenkreis Dinslaken.

"Ich bin seit 17 Jahren Sozialarbeiterin und die Kinderarmut war immer allgegenwärtig. Es wurde so viel versprochen, aber bis heute hat sich nicht viel geändert", berichtet Alexandra Schwedtmann, Geschäftsführerin der Diakonie im Ev. Kirchenkreis Dinslaken. Aus diesem Grund hat die Diakonie das Aktionsjahr "Kein Kind in Armut" ins Leben gerufen. "Wir möchten die Menschen wachrütteln. Das Thema in den Mittelpunkt rücken, damit sich unsere Gesellschaft ändert", so Schwedtmann. Zum offiziellen Auftakt im Mai 2022 startete eine großangelegte Plakataktion.  Auch die Teams der Kitas der Ev. Kinderwelt haben sich mit dem Thema Kinderarmut befasst.

Stellvertretend für alle Einrichtungen erstellt die Kita "Am Park" einen Aktionsplan. Hier ein paar Beispiele: An Geburtstagen soll auf mitgebrachten Kuchen und Geschenktütchen verzichtet werden. Stattdessen könnte z.B. in der Einrichtung ein Kuchen mit dem Kind gebacken werden. Kein Kind muss eine Brotdose mitbringen, sondern es könnte in der Kita ein Frühstücks-Buffet geben. Es sind kostenlose Kurse für Eltern und Kinder in Planung. Und es soll die Möglichkeit geben, Kinderbücher auszuleihen. Das Projekt wird bis heute umgesetzt, Spenden werden weiterhin gesammelt.

Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW) 

"Auch in Westfalen gibt es eine Fülle von Hilfs- und Unterstützungsangeboten. Insbesondere in großstädtischen Regionen, etwa im Ruhrgebiet, ist der Bedarf hoch", erklärt Wolfgang Scharenberg, Leiter der Stabsstelle Kommunikation. Dabei mache sich Armut auf vielfältige Weise bemerkbar. Sie hindere Menschen auch an der Teilhabe in unterschiedlichen Lebenssituationen. Das beginnt bei der Situation von Kindern aus sozial benachteiligten Familien und endet bei der Armut im Alter. 

Evangelischer Kirchenkreis Dortmund stärkt Kinderrechte

"Seit einem Vierteljahrhundert arbeite ich nun schon für Kirche und Diakonie, seit etwas mehr als zwei Jahren in der Großstadt Dortmund. Kirche und Diakonie ohne Solidarität mit Menschen, die sich in Notlagen befinden – und dazu zählt natürlich auch die materielle Not – kann ich mir überhaupt nicht vorstellen", erklärt Nicole Schneidmüller-Gaiser von der Stabsstelle Kommunikation und Information der Evangelische Kirche in Dortmund, Lünen und Selm.

"Ich habe in meinem beruflichen Leben schon über so viele gemeindliche Mittagstische, Lebensmittelausgaben, Kleiderkammern, kostenlose medizinische Angebote geschrieben. Doch ebenso wichtig ist meiner Meinung nach immer wieder die Lobbyarbeit, um Menschen zu ihrem Recht auf Teilhabe zu verhelfen, und unser Einsatz dafür, dass sich die Verhältnisse ändern. Denn so wichtig das auch ist, was man früher wohl "Armenspeisung" nannte, um reale Not zu lindern – viel wichtiger scheint es mir doch, daran mitzuwirken, dass jede und jeder in unserem Land ein würdevolles Leben ohne Not führen kann. Das bedeutet: Mindestlohn, ein auskömmliches Bürgergeld, vor allem aber auch: Kinderrechte stärken, mehr Geld in die Bildung, Chancengleichheit von Anfang an.", so Schneidmüller-Gaiser weiter.

Kirchengemeinde Hörde bietet offenen Mittagstisch 

Die Kirchengemeinde Hörde bietet schon seit vielen Jahren einen offenen Mittagstisch an und unterstützt, seit der Einführung der Ganztagsschule 2007, alle Grundschulen in Hörde finanziell, damit dort alle Kinder ein Mittagessen erhalten. Mittlerweile sind es acht Schulen und drei weitere Projekte, die jeweils 1500 Euro pro Jahr erhalten.

Evangelischer Kirchenkreis Recklinghausen 

"Der Ev. Kirchenkreis Recklinghausen, eine Region im nördlichen Ruhrgebiet mit zehn Städten, war vom Bergbau geprägt und arbeitet nach wie vor am Strukturwandel. Gegen die wachsende Armut im Kirchenkreis gibt es einige Projekte in den Kirchengemeinden", erklärt Ulrich Kamien, Referent der Superintendentin im Evangelischen Kirchenkreis Recklinghausen:

Stadt-Kirchengemeinde Marl setzt auf gemeinsam statt einsam #wärmewinter

Marl ist nach Recklinghausen die zweitgrößte Stadt im Kirchenkreis. Neben dem Bergbau hat der Chemiepark die Industrie in der Stadt geprägt und Arbeitsplätze geschaffen. "Gemeinsam statt einsam - #wärmewinter" ist eine Mittagessen-Aktion in den Wintermonaten, vordringlich für Menschen mit wenig Geld. Aber auch Menschen, die alleine sind oder sonst gerne in Gemeinschaft essen, sind herzlich eingeladen und können dazu kommen. "Eine halbe Stunde vor Beginn sind schon viele Gäste da. Manche haben bereits ihren Stammplatz, zu dem sie zielstrebig gehen. Erst mal einen Kaffee trinken, die anderen begrüßen, miteinander reden", erklärt Koordinator Michael Wiese, Presbyter und stellvertretender Vorsitzender der Stadt-Kirchengemeinde. 

Der "Wärmewinter" in der Evangelischen Stadt-Kirchengemeinde Marl ist das Ziel vieler Menschen. "Sie kommen, weil sie hier Kontakt finden, Menschen, mit denen sie sich unterhalten können, Menschen, mit denen sie gemeinsam essen können. Manche kommen auch, weil sie mit ihrer schmalen Rente haushalten müssen und die kostenlose Mahlzeit gerne nehmen", so Wiese. Wöchentlich würden rund 150 Gäste kommen, im vergangenen Wärmewinter wurden über 2.700 kostenlose Mahlzeiten ausgegeben. "Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass Kirche Raum schaffen kann. Raum für Menschen, die oft einsam sind, die Kontakt und Gespräch suchen. Raum auch für Menschen, die mit wenig Geld durchs Leben kommen müssen. Nächstenliebe mit Nachschlag eben." 

Im Winter 2022/23 gerieten viele Menschen aufgrund hoher Energiepreise in soziale Notlagen. Als Antwort darauf starteten die Diakonie und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die preisgekrönte Aktion #wärmewinter. In ganz Deutschland entstanden in Gemeindehäusern, Kirchen und diakonischen Einrichtungen zahlreiche #wärmewinter-Aktionen, darunter warme Mahlzeitenausgaben in Gemeindehäusern, Beratungsstellen für Menschen mit hohen Energiekosten und die Kältehilfe für Obdachlose. Schnell und unbürokratisch.  Wer selbst helfen möchte, kann sich durch Spenden oder ehrenamtliches Engagement an der Aktion beteiligen.

Kirchengemeinde Oer-Erkenschwick - "Der Laden" 

Der größte Arbeitgeber der Stadt in Oer-Erkenschwick, einer Kleinstadt nordöstlich von Recklinghausen, ist nach Beendigung des Bergbaus ein großes fleischverarbeitendes Unternehmen aus Westfalen. Viele Leute pendeln von dort zur Arbeit. "Der Laden", vergleichbar mit der "Tafel" in anderen Städten, soll helfen, dass Menschen mit wenig Geld günstig an Nahrungsmittel, aber auch an Haushaltswaren und Kleidung kommen. Mit aufgebaut hat das Projekt Pfarrer Rüdiger Funke von der Ev. Kirchengemeinde gemeinsam mit seinem katholischen Kollegen Clemens Kreis. "Dreimal im Jahr treffen wir uns mit den Seelsorgern und Pastoralreferenten und fragen, was können und was müssen wir in Oer-Erkenschwick tun", erklärt Clemens Kreiss, seit Dezember 1999 Pfarrer der Seelsorgeeinheit St. Josef und St. Marien. Eines ist den Beteiligten wichtig: "Wir treten als Christen in der Öffentlichkeit gemeinsam auf. Das hat sich bewährt", pflichtet ihm sein evangelischer Kollege Rüdiger Funke bei. 

Das ökumenische Lebensmittelprojekt "Der Laden" wird von der Evangelischen und Katholischen Gemeinde der Stadt getragen. Die Räume hat die Evangelische Kirchengemeinde zur Verfügung gestellt. Seinen Ursprung hat es in den Gemeinden St. Marien und St. Josef. "Wir haben gesehen, dass es viele Menschen in unserer Stadt gibt, die am Existenzminimum leben", sagt Kreiss. "Der Laden" wurde ins Leben gerufen. "Dann ergab es sich, dass vor vier Jahren das Diakonische Werk in Oer-Erkenschwick aufgelöst wurde und die Räumlichkeiten in der Innenstadt frei wurden. Wir sind aufeinander zugegangen und haben behutsam das Projekt gemeinsam angefasst", führt Funke die Geschichte weiter aus. Daraus sei ein Lebensmittelprojekt in der Innenstadt entstanden, das sich in evangelischen Räumen befindet, aber ökumenisch wahrgenommen werde. Jeden zweiten und vierten Mittwoch im Monat hat "Der Laden" geöffnet. "Wir leben von Spenden und kooperieren mit zwei Tafeln. Sie geben uns, was bei ihnen übrig bleibt", erklärt Kreiss. 

Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe

Die Armutsexpertin Heike Moerland, Leitung Geschäftsfeld Berufliche und soziale Integration beim Diakonisches Werk Rheinland-Westfalen-Lippe/Diakonie RWL, hat am 3. Juli eine Einschätzung zur Kinderarmut veröffentlicht.  Demnach ist die Bekämpfung von (Kinder-, Jugend- und Familien)Armut seit jeher ein wesentliches Element diakonischer Arbeit vor Ort in Ausübung der tätigen Nächstenliebe. So organisiert beispielsweise die Diakonie Paderborn-Höxter seit vielen Jahren eine Schulmaterialienkammer, um einkommensarme Familien zu entlasten.

"Die Verantwortlichen wissen, dass damit nur Symptome bekämpft werden. Ihnen ist schmerzlich bewusst, dass sie damit Armutsursachen nicht beseitigen können. Ihnen ist klar, dass strukturell wirkende Maßnahmen eine breitere Wirkung entfalten und einen größeren Personenkreis erreichen. Sie wissen aber auch, dass die Kinder und Jugendlichen, mit denen sie tagtäglich arbeiten, ohne diese Maßnahmen geringere Chancen auf Integration in die Gesellschaft und eine gute Schul- und Ausbildung haben", erklärt Heike Moerland. 

Diakonische Träger halten eine große Bandbreite an Beratungsangeboten und Unterstützungsleistungen für Kinder, Jugendliche und Familien in Armut vor. Dazu gehören Frühe Hilfen, Kindertagesstätten, Ganztagsangebote an Schulen, Freizeiteinrichtungen, (Sozial- und) Erziehungsberatungsstellen und vieles mehr. "Neben diesen praktischen Angeboten gibt es vor Ort oft auch sozialpolitische Aktionen gegen (Kinder-)Armut. So ist beispielsweise das Diakonische Werk in Bonn seit vielen Jahren ein wichtiger Akteur beim Bonner Runden Tisch gegen Kinderarmut. Neben Aktivitäten, in denen lokale Lösungen gesucht und oftmals gefunden werden, engagiert sich das Diakonische Werk Bonn gemeinsam mit dem Bündnis seit Jahren für eine auskömmliche Kindergrundsicherung."

Eine zentrale Forderung des 7. Treffens für Menschen mit Armutserfahrung in NRW vom 24.07.2024 fasst Heike Moerland wie folgt zusammen: "In der aktuellen politischen Debatte werden Menschen, die Bürgergeld erhalten, herabgewertet, das dürfen wir nicht zulassen. Politiker:innen sollen Vorbild sein und respektvoll über ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger sprechen. Außerdem braucht es mehr Aufklärung über die Ursachen für Armut. Diese sind häufig struktureller Natur. Wir müssen daher das Thema Armut frei von Scham und Schuld machen und immer wieder deutlich machen: Das Problem liegt nicht bei den Menschen, die Armut erleben, sondern bei einer Gesellschaft, die Armut zulässt." 

Evangelische Kirche im Saarland

"In allen Kirchengemeinden im Saarland gibt es die Diakoniekassen, mit denen Bedürftige niedrigschwellig und punktuell unterstützt werden können. Mehrere Kirchengemeinden unterhalten Kleiderkammern, in denen Menschen für wenig Geld Kleidung, Schuhe etc. erwerben können, z.B. in St. Wendel oder Ludweiler", erklärt Rieke Eulenstein vom Pressebüro der Evangelischen Kirchenkreise an der Saar. Im Wesentlichen werde aber die Armutsbekämpfung im Saarland von den vielfältigen Angeboten und Einrichtungen der Diakonie Saar begleitet.

"Armutsbekämpfung ist im Saarland der Kern des Handelns der Diakonie", erklärt Diakonie Saar-Geschäftsführer, Pfarrer Matthias Ewelt. "Von kirchlich finanzierter Sozialberatung über Wärmestuben, Tafeln, andere Beratungseinrichtungen, berufliche Integrationsmaßnahmen bis hin zu Ausgaben von Spendenmitteln für Bedürftige, der Beratung bei Antragsstellungen zu Sozialleistungen, der Beteiligung an politischen Themen wie dem Aktionsplan zur Armutsbekämpfung der Landesregierung, der Mitwirkung im Ausschuss Armut der Liga der Freien Wohlfahrtsverbände, der Beteiligung an der quartiersbezogenen Armutsbekämpfung des Sozialministeriums, der Beschäftigung, Beratung und Weiterqualifizierung von Menschen, die dem ersten Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen und deshalb von Armut bedroht sind."

Evangelische Kirchengemeinde Neunkirchen – "Hüttenberger Mittagstisch"

Beim ökumenischen "Hüttenberger Mittagstisch", der bereits seit Jahrzehnten besteht, können Bedürftige ein günstiges Mittagessen bekommen. Besonders ist, dass dieses Angebot ganzjährig ist, im Gegensatz zu ähnlichen Angeboten auch an anderen Orten, die nur über Winter stattfinden.