Kruzifix mit Bild von Maria Theresa
Privat
Wonach dürstet es Jesus am Kreuz, das im Mutterhaus zu finden ist? Die Schwestern sagen es dem freiwilligen Helfer: Nach deiner Liebe.
Freiwilligendienst in Kalkutta
Das erlebst du im Orden von Mutter Teresa
Mitten im indischen Kolkata (Kalkutta) treffen sich Freiwillige aus aller Welt und leisten Dienst an den Ärmsten der Armen in den Häusern von Mutter Teresa. Was sie dabei genau tun und was sie erleben, das wollte evangelisch.de Redakteurin Katrin von Bechtolsheim wissen und hat sich ins Treiben der turbulenten Stadt begeben.

Langes Ausschlafen und gemütlich frühstücken steht in Kolkata, ehemals Kalkutta, nicht in diesem Urlaub auf dem Programm. Um 5 Uhr ist es vorbei mit der Nachtruhe, wenn der Muezzin gefühlt neben dem Bett zum Gebet ruft. Schwer ins Gewicht fällt dies jedoch nicht, denn die Nacht auf der durchgelegenen Matratze im Hotel der Baptist Missonary Society (BMS) war überwiegend schlaflos. Doppelt egal, um sechs Uhr beginnt sowieso die tägliche Messe im Mutterhaus der Missionarinnen der Nächstenliebe, gegründet 1950 von Mutter Teresa.

Das dreistöckige Mutterhaus befindet sich nur ein paar Straße weiter und ist zur frühen Stunde schon voller Betrieb. Die Schwestern eilen durch den Patio die Treppe hoch in den Gebetsraum. Sie sehen hübsch aus in ihren weißen Saris mit den drei blauen Streifen und Kruzifix an der Schulter. Sie versammeln sich vor einem Altar im schlichten Raum. An der Seitenflanke sitzen die Gäste auf Strohmatten und Bänken sowie die Volunteers (Freiwillige). Die Fenster stehen weit offen und das Konzert Kolkatas dringt herein, eine Mischung aus Hupen und Motorenlärm. Doch der Lärm stört nicht. Die Stille ist einfach stärker. 

Nach der morgendlichen Messe steht für die Freiwilligen das Frühstück bereit: Masala Tee, Bananen und Weißbrot. So schlicht das ist, so ausreichend stärkt es. Die Freiwilligen melden sich nun für die Dienste an. Nirmal Hriday ist ein katholisches Hospiz, das Mutter Teresa als ihre "erste und große Liebe" bezeichnete. Die Fahrt mit dem Bus dorthin dauert etwas und ist ein Abenteuer, was dem lebendigen Verkehr geschuldet ist. "Obey the traffic rules" (Gehorche den Verkehrsregeln) steht liebevoll auf vielen Autos gepinselt. Das ignorieren die Inder.  Doch der Verkehr funktioniert wie am Schnürchen mit viel Hupen, aber ohne Aggression.

Das Kranken- und Sterbehaus befindet sich mitten im tosenden Leben des Viertels. Nicht weit nach dem Einlass ins Haus steht Pritsche an Pritsche, auf jeder liegt ein Patient. Foto-Aufnahmen von den kranken alleingelassenen Menschen sind im Hospiz streng verboten, wie auch in den anderen Häusern des Ordens. Neugierige Blicke sind auch nicht erwünscht. 

Die Schwester teilt einem guten Dutzend Volunteers Aufgaben zu: Aus der dampfenden Wäscherei wird nasse Kleidung in Plastikkörben gereicht zum Trocknen auf dem Dach in der indischen November-Sonne. Für ein Regal sollen Böden aus Leder zugeschnitten werden. Das ist ohne Maßband nicht gerade einfach, aber die Schwester lächelt alle Bedenken des Volunteers weg. Eine Gruppe männlicher Freiwilliger wird in den abgetrennten Männerbereich entsendet, die kranken indischen Frauen werden von den weiblichen Freiwilligen betreut. 

Dort sitzt eine Frau auf einem Plastikstuhl und fordert jeden Vorbeigehenden energisch auf, ihren Kopf zu reiben. Einige Frauen liegen auf Pritschen, einige sitzen auf Bänken. Mancher Blick sucht den Kontakt, mancher ist auch leer und apathisch. Viele von den kahlgeschorenen Frauen haben seelische Erkrankungen vom Leben auf der Straße, während die Männer eher mit körperlichen Beschwerden in das Haus kommen. Zu den Sterbenden dürfen die Freiwilligen nicht.

evangelisch.de Redakteurin Katrin von Bechtolsheim vor dem Bild von Mutter Teresa. Nur hier ist das Fotografieren offiziell erlaubt.

Der Dienst an den Ärmsten der Armen ist nicht durch organisiert. Die Helferinnen sollen sich proaktiv einbringen. Einige massieren den kranken Inderinnen Hände, Arme und Füße mit Öl. Oder setzen sich auch einfach neben eine Frau, der sie sich widmen. Es geht darum, Aufmerksamkeit zu schenken und mit Zuwendung zu nähren. Immer dazwischen die Schwestern, die niemals untätig sind und voll nichtendender Energie zu sein scheinen. Dann passiert etwas unerwartetes für die Neulinge unter den Freiwilligen. Musik schallt durch den Raum, indische Radio-Songs, und Kranke sowie Helferinnen lachen und fangen an zu tanzen. Eine Welle guter Laune und Energie schwappt durch den Saal. 

"Die Hände tun es und das Herz liebt es"

Der Dienst ist herausfordernd und bringt nicht wenige Volunteers an ihre Grenzen. Eine Frau, die sich nicht mehr bewegen kann, wird entkleidet und neu angezogen. Kranke werden nach dem Toilettengang gewaschen. Das Mittagessen muss mit der Hand zu Brei geknetet werden, wenn es nicht als Ganzes geschluckt werden kann. Viele können nicht selbstständig essen und werden gefüttert. Eine weinende Frau kommt neu herein. Eine Hälfte ihres Gesichts hat der Krebs zerstört und muss gereinigt und verbunden werden. Eine Arbeit, die nicht jedem auf Anhieb leicht fällt. Doch mancher Volunteer stellt am nächsten Tag überrascht fest, dass er die Bedürftigen vermisst, die jede Zuwendung annehmen. Eine Schwester sagt: "Wir suchen alle nach etwas. Hier findet man es: im Geben. Es kommt alles zurück und viel mehr."

Auffallend viele junge Spanier:innen sind an dem Dienst am Nächsten interessiert. Auf die Frage, welche Altersgruppe am meisten kommt, möchten die Schwestern nichts sagen. "Es spielt keine Rolle wie alt sie sind", lautet die Antwort einer Schwester aus dem Mutterhaus. "So lange sie in der Lage ist, kann jede Gruppe kommen." Es gäbe 90-Jährige, und auch Kinder dürfen mit einem erwachsenen Begleiter helfen. Dies jedoch nicht im Sterbehaus. Werbung machen die Missionarinnen der Nächstenliebe nicht. "Wir sind irgendwie versteckt", sagt die Schwester. Es scheint sich dennoch herumzusprechen, es gibt Zeiten, da kommen Hunderte jeden Tag in das Mutterhaus. "Hands do so and the heart do love", so beschreibt die Schwester die Magie des Helfens. "Die Hände tun es und das Herz liebt es."

Die Ordenstracht der Missionarinnen der Nächstenliebe weltweit ist ein weißer Baumwollsari mit drei blauen Streifen. Man kann ihn nicht kaufen, das Design ist urheberrechtlich geschützt und er wird nur an einem Ort auf der Welt hergestellt: in dem Heim für Leprakranke namens "Gandhi Prem Nivas". Mit Bus und Bahn geht es 45 Minuten zu dem Leprazentrum, auf dessen Mauern in roter Schrift "Condemmed" steht ("Verdammte"). Das Zentrum, dass mehrere Gebäude umfasst, befindet sich unmittelbar hinter einer Müllkippe, die sich kilometerweit durch die Lande zieht. Wundersamerweise ist kein schlechter Geruch in der Luft, wie man meinen könnte. Eine Gruppe von Freiwilligen wird eingelassen. Sie kommen aus aller Herren Länder. Darunter ein junger Arzt aus Wien, ein französischer Student, der in Delhi studiert, eine Frau aus Florida und ein spanisches Ehepaar, eine philippinische Krankenschwester und wenige Deutsche, eine Kanadierin. Heute gibt es kein Volunteering. Die internationale Gruppe wird "nur" durch die verschiedenen Häuser geführt, und das ist den Schwestern ebenso wichtig wie das Helfen, denn es unterstützt die Bereitschaft zu spenden.

Die Leprakranken in "Gandhi Prem Nivas" erleben durch ihre Arbeit oft zum ersten Mal in ihrem Leben Anerkennung und Würde.

 

Alles, was hergestellt wird, ist zum eigenen Gebrauch. Ein Schuster stellt die Schuhe für die Kranken her. An den Webstühlen werden die Saris für die Schwestern produziert. Doch ohne Geld von außen geht es nicht. Bruder Martyn, der das Zentrum leitet, sagt dazu nur wage, dass er hofft, die nächsten zehn Jahre weitermachen zu können. Er klingt eher besorgt als optimistisch. Die Regierung ist nach seinen Worten gegenüber den christlichen Organisationen im Land restriktiv. Spendengeld ist aber notwendig, schließlich hat Mutter Teresa streng verfügt, dass der Orden kein Geschäft betreibt.

Mutter Teresa ist für viele der Inbegriff der Nächstenliebe. Die gebürtige Albanerin starb 1997 mit 87 Jahren. Neun Jahre später wurde sie von Papst Franziskus heiliggesprochen. Mit 18 Jahren reiste Agnes Gonxha Bojaxhiu, wie sie ursprünglich hieß, nach Irland und trat in den Loretto-Orden ein. Bereits nach wenigen Wochen kam Gonxha, nun bereits Schwester Teresa genannt, als Novizin nach Indien und legte 1937 ihre ewigen Gelübte ab. 18 Jahre arbeitete sie als Lehrerin, dann als Direktorin in der Loretto-Schule in Kolkata. Die Armut dort erschütterte Teresa, und sie erlebte eine göttliche Eingebung. Jesus wolle, dass sie ihm in die Slums folge, sagte sie. 1950 gründete Teresa den katholischen Orden Missionarinnen der Nächstenliebe.

Mutter Teresa ist heute umstritten. Es geht um ihre Missionsarbeit und um die Verwendung von Spendengeldern. Doch ihr Engagement für arme, kranke und sterbende Menschen ist unumstritten und wird von über 3.000 Ordensschwestern in 710 Häusern in 133 Ländern der Erde weitergeführt. Tatsächlich ist der Geist Mutter Teresas auch im Mutterhaus in Kolkata überall zu spüren. Überall liest man ihre Maximen, die Schwestern tragen den Geist der Mutter  im Herz und geben ihn unermüdlich an die vielen freiwilligen Helfer weiter. Viel wichtiger als eine Handlungsanweisung sind dann Worte wie: "Tue kleine Dinge mit großer Liebe."