Hinter dem Trümmerhaufen wächst und gedeiht es: Pralle Kohlrabi, üppige grüne Salatköpfe und Zucchini-Pflanzen mit gelben Blüten tummeln sich auf einem Grundstück an der Ahr. Es könnte die reine Idylle sein, wäre da nicht der Hügel aus Geröll und Steinplatten an der Zuwegung des Gemüsegartens - Hinterlassenschaften der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021. Dennoch steht der neu angelegte Gemeinschaftsgarten für den Wiederaufbau an der Ahr. "Hier arbeiten junge und ältere Menschen zusammen", erklärt Walter Bargen vom Verein Hoffnungswerk, der als Quartiersmanager Projekte für den Zusammenhalt der Menschen in Altenahr organisiert.
Daniela Paffenholz gehört zu der Gruppe von Hobbygärtnerinnen und -gärtnern, die sich regelmäßig auf dem Grundstück treffen. "Ich komme regelmäßig hierher, um Kontakte zu pflegen," sagt die 44-Jährige. Ihr eigener Garten und ihr Haus in Altenahr-Altenburg wurden vor drei Jahren von der Flut weggespült. Seitdem lebt sie mit ihrer Familie 30 Autominuten entfernt in der Eifel. Die Familie wartet nun darauf, dass ihr neues Haus mit hochwassergeschützter Architektur in Altenburg fertig wird.
Nach tagelangem Starkregen waren Mitte Juli 2021 ganze Regionen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen überflutet worden. In der Nacht des 14. Juli traten im Westen Deutschlands viele Flüsse über die Ufer, mehr als 180 Menschen starben, Hunderte wurden verletzt, Zehntausende verloren Hab und Gut. Besonders im Ahrtal stiegen die Pegel rasant. Ganze Ortschaften und Landstriche wurden durch die Wassermassen verwüstet. Manche Orte waren tagelang von der Versorgung abgeschnitten.
Begegnungscafé als Ankerplatz für Betroffene
In Altenahr ist das Begegnungscafé "nur mut" nun Treffpunkt und Ankerplatz für Menschen wie Daniela Paffenholz. "Nach der Flut waren ja viele in alle Winde verstreut. Hier kann man sich treffen", sagt auch Ramona Engel, die ihr flutgeschädigtes Haus renovieren und wieder beziehen konnte.
In das Begegnungscafé, eine mit Eigenarbeit und mithilfe von Spenden renovierte ehemalige Eisdiele, kommen Menschen zum Handarbeitsnachmittag, zum Spiele- oder Frühstückstreff. Dort hat auch Quartiersmanager Bargen sein Büro. Er will in Zukunft auch eine Repair-Werkstatt oder eine Plattform für Nachbarschaftshilfe anbieten.
Das Quartiersmanagement des Hoffnungswerks in Altenahr ist eines von bis zehn Quartiersprojekten in den Flutgebieten in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, mit deren Aufbau die Diakonie Katastrophenhilfe (DKH) im vergangenen September begonnen hat. 4,2 Millionen Euro aus Spendenmitteln stellte die Organisation für die Projekte zur Verfügung, die in Zusammenarbeit mit vor Ort verwurzelten Trägerorganisationen umgesetzt werden.
"Ziel ist es, die Gemeinschaften vor Ort zu stärken und die Menschen auf mögliche künftige Katastrophen vorzubereiten", sagt Andreas Vollmert, der für die DKH Rheinland-Westfalen-Lippe für die Quartiersarbeit in den Flutgebieten zuständig ist. "Viele Menschen leiden darunter, dass soziale Angebote vor Ort weggebrochen sind." Da fehlten etwa plötzlich die Gaststätten für den Skat-Stammtisch, das Café oder das Vereinsheim. Hier könnten Quartiersprojekte nicht nur neue Treffpunkte schaffen. Auch der Aufbau von Warnsystemen oder Nachbarschaftshilfen solle dazu beitragen, besser gegen mögliche Katastrophen gewappnet zu sein, sagt Vollmert.
"Es gibt ein großes Bedürfnis nach Begegnung", stellt auch Jeannette Hess, Projektleiterin der Hochwasserhilfe der AWO im Bezirksverband Rheinland, fest. "Vor allem sind Entlastungsangebote gefragt. Also, einmal 'rauskommen, um etwas anderes zu sehen, als Baustellen und Staub." Neben regelmäßigen Treffs und Infoveranstaltungen in ihrer "Anprechbar" in Bad Neuenahr-Ahrweiler bietet die AWO daher regelmäßig Ausflüge an. Vor allem Senioren suchten Kontakt, beobachtet Hess. Ihnen seien oft die sozialen Netzwerke weggebrochen, da viele ältere Menschen ihre zerstörten Häuser nicht mehr aufbauten. Die AWO sieht auch längerfristig Bedarf an sozialer Unterstützung und plant, ihr Angebot nach dem Auslaufen der Hochwasserhilfe 2025 in ein permanentes Quartiersprojekt zu überführen.
Soziale Unterstützung werde in der Region noch lange gebraucht, bestätigt Katharina Scharping, Leiterin des Traumahilfezentrums im Ahrtal. "Es wird so etwas wie eine Narbe in der Region bleiben. Vielleicht noch über eine Generation oder länger." Die Nachfrage nach Beratungsterminen im Traumahilfezentrum habe auch drei Jahre nach der Katastrophe nicht nachgelassen. "Unsere Termine sind immer ausgebucht." Vielfach suchten nun Menschen Hilfe, die die Folgen der Flut lange Zeit gestemmt und sich durchgekämpft hätten. "Diese Menschen gehen jetzt in die Knie, wenn eine weitere Belastung hinzukommt." Längerfristige und verlässliche Angebote seien vor diesem Hintergrund sinnvoll, sagt Scharping.
Für Daniela Paffenholz und Ramona Engel sind der Treffpunkt und die Angebote beim Hoffnungswerk zu einer Stütze in ihrem von der Flut durcheinandergewirbelten Leben geworden. "Hier sind neue Kontakte und Zusammenhalt entstanden", sagt Engel.
Die Flutkatastrophe 2021
Die Flutkatastrophe im Juli 2021 kostete in Deutschland mehr als 180 Menschen das Leben: 136 in Rheinland-Pfalz und 49 in Nordrhein-Westfalen. Mehr als 800 Menschen wurden teils schwer verletzt. Ganze Orte wurden zerstört. Auslöser für die Sturzfluten vom 13. bis 15. Juli war das Tiefdruckgebiet "Bernd", das tagelang über Mitteleuropa festhing.
In NRW waren nach Schätzungen des Bundes über 180 Kommunen mit rund 20.000 Privathaushalten und 7.000 Unternehmen betroffen. Rheinland-Pfalz zählte demnach 65.000 privat Betroffene und 3.000 Unternehmen. Vor allem im Ahrtal richtete die Flut schwere Verwüstungen an: etwa 17.000 Menschen verloren ihren gesamten Besitz.
Die Flut 2021 war die teuerste Naturkatastrophe, die in Deutschland bislang verzeichnet wurde. Für den Wiederaufbau stellen Bund und Länder gemeinsam bis zu 30 Milliarden Euro zur Verfügung. Allerdings gab es Kritik an dem komplizierten Verfahren und den Bewilligungszeiten. Anträge auf Wiederaufbauhilfe sind in Rheinland-Pfalz wie auch in NRW noch bis Mitte 2026 möglich.
Laut dem Deutschen Zentralinstitut für soziale Fragen (DZI) wurden mehr als 650 Millionen Euro für die Betroffenen gespendet. Tausende Menschen halfen zudem bei den Aufräum- und Wiederaufbauarbeiten.