Regenbogen mit Spiegelung
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"Der christliche Glaube kann für Menschen mit Missbrauchserfahrung eine Ressource sein", ist die Gründerin der Plattform "Gottes Suche", Erika Kerstner überzeugt.
Initiative "Gottes Suche"
Glauben nach Gewalterfahrungen
Seit mehr als zwei Jahrzehnten bietet "Gottes Suche" eine Plattform für christliche Menschen, die Missbrauch erfahren haben. evangelisch.de-Redakteurin Sarah Neder hat mit der Gründerin Erika Kerstner über die Nöte der Betroffenen, verspieltes Vertrauen, und mögliche Wege des Wiederfindens gesprochen.

Glaube kann Menschen durch die dunkelsten Kapitel ihres Lebens helfen. Aber was, wenn das Trauma mit der Kirche verbunden ist? Also genau mit dem Ort, an dem so viele Menschen Halt und Kraft finden und ihren Glauben erleben? Viele, die Missbrauch erfahren haben, leiden unter genau diesem Dilemma. Und für sie will "Gottes Suche" eine Plattform bieten. 

Erike Kerstner ist die Gründerin der Initiative. Die ehemalige Religionslehrerin hat damals eine Lücke im seelsorgerischen Angebot entdeckt: "Christliche Themen hatten in der Therapie keinen Platz und auch in Selbsthilfegruppen wurde der Glaube ausgeklammert", berichtet sie. Doch Kerstner ist überzeugt: "Der christliche Glaube kann für Menschen mit Missbrauchserfahrung eine Ressource sein." Deshalb entwickelte sie nach intensiver Recherche die Webseite "Gottes Suche". 

Seit 2002 bietet die Initiative Betroffenen Hilfe an. Im Zentrum der Arbeit steht der Austausch mit anderen sowie die seelsorgliche und Trauma-sensible Begleitung der Menschen, die Gewalt erfahren haben. Unterstützung bekommt Erika Kerstner dabei von der katholischen Theologin Barbara Haslbeck und dem evangelischen Pfarrer Andreas Stahl. 

Erika Kerstner ist Gründerin der Plattform "Gottes Suche "

In den vergangenen 22 Jahren sei über die Plattform eine Community gewachsen, sagt Kerstner und führt aus, dass alleine sie zwischen 700 und 800 Kontakte geknüpft hat. Eine von einer der Seelsorger:innen moderierte Mailingliste für betroffene Frauen umfasst rund 28 regelmäßige Teilnehmerinnen, die sich täglich etwa neun Mail senden. Dabei geht es um den Austausch von Erfahrungen und Gefühlen. Außerdem bietet "Gottes Suche" einen wöchentlichen Bibelchat über Zoom an sowie Einzelbegleitung mit Kerstner, Haslbeck und Stahl. 

Neben den Online-Angeboten organisiert die Initiative auch ein monatliches Treffen im Karlsruher Stadtkloster. "Dort haben wir eine Heimat gefunden", sagt Kerstner. Sie hat in ihrer Arbeit mit Betroffenen von Missbrauch auch immer wieder die Sehnsucht nach einer Gemeinde beobachtet. 

Aber es gibt auch Menschen, deren einziger Kontakt zur Kirche "Gottes Suche" sei. Manche bräuchten nach der traumatischen Erfahrung einen weiten Abstand zur Institution. Anderen hätten zum Teil auch gute Erinnerungen, an die sie anknüpften, so Kerstner. "Es ist unsere Stärke, dass wir unabhängig von der Kirche sind", sagt sie.  Um diese Unabhängigkeit zu bestärken, haben Kerstner und ihre Kolleg:innen vor zwei Jahren "Gottes Suche" als Verein eintragen lassen. 

Eine weitere Säule der Initiative ist die Dokumentation von Fällen und die Aufklärung über Missstände in der katholischen und evangelischen Kirche. Dazu gehört auch, dass die Organisation den Betroffenen eine Stimme gibt und die Bedürfnisse von Menschen mit Gewalterfahrung in den Vordergrund stellt. Kerstner berichtet, dass Gewaltbetroffene es etwa als hilfreich empfänden, wenn sie in Fürbitten im Gottesdienst bedacht würden. "Das tut ihnen gut." Ein anderes Beispiel, wie Gemeinden auf traumatisierte Mitglieder zugehen könnten, sei ihre Perspektive in die Vorbereitung eines Gottesdienstes zu integrieren oder wenn biblische Texte aus der Sichtweise der Opfer gelesen würden, betont Kerstner. "Es ist wichtig, dass sich Gemeinden über Traumata informieren und wissen, welche Folgen solche Erfahrungen haben." Kirche könne nicht erwarten, dass Betroffene einfach so zurückkämen – "dazu ist zu viel Vertrauen kaputt gegangen", sagt sie.

Nicht hilfreich seien Vergebungsforderungen, weiß die Initiatorin: "Das hilft den Betroffenen nicht. Im Gegenteil: Das lässt die Opfer oft verstummen." Es sei außerdem wichtig findet Kerstner, dass sich Verantwortliche in der Kirche nicht als Opfer darstellten. Das gelte sowohl für katholische, als auch evangelische Vertreter:innen: "Beide Kirchen müssten ein wenig demütiger sein." Sie wünschte sich auch, dass die evangelische Kirche früher und schneller aus den Fehlern der katholischen gelernt hätte.

Unter den Betroffenen spiele die konfessionelle Zugehörigkeit jedoch keine leitende Rolle. "Hier ist die Ökumene selbstverständlich. Die Unterschiede sind unerheblich, weil es so viel gibt, das uns verbindet."