Kirchenaustrittsstelle auf Amt
epd-bild/Friedrich Stark
In Großstädten werden die Austrittsstellen laut einer Umfrage von Protestanten nicht vermehrt genutzt.
Evangelische Missbrauch-Studie
Warum die Austrittswelle in EKD ausbleibt
Die ForuM-Studie über sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche führt offenbar nicht zu mehr Kirchenaustritten. Der Religionssoziologe Detlef Pollack begründet das mit einem Vorschussvertrauen und warnt davor, dieses Vertrauen zu verspielen.

Trotz der Veröffentlichung der ForuM-Studie über sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie treten Protestanten offenbar nicht vermehrt aus ihrer Kirche aus. Eine stichprobenartige Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd) in großen, eher protestantisch geprägten Städten ergab weitgehend gleichbleibende Austrittszahlen. Der Religionssoziologe Detlef Pollack sieht die Skandalträchtigkeit des Themas Missbrauch als "weitgehend verbraucht".

In Berlin traten nach Angaben der Amtsgerichte im ersten Quartal des aktuellen Jahres 3.558 Menschen aus der evangelischen Kirche aus. Im ersten Quartal 2023 waren es 3.576 gewesen. In Hannover hätten zwischen Januar und März 1.134 Menschen die evangelische Kirche verlassen, teilte die Stadt dem epd mit, im Vergleich zu 1.110 Menschen im Vorjahreszeitraum.

Bielefeld verzeichnete sogar einen merkbaren Rückgang der Austrittszahlen. Hier beim Amtsgericht erklärten im ersten Quartal 640 Protestantinnen und Protestanten ihren Austritt. In den ersten drei Monaten 2023 waren es 762. Auch in Stuttgart ging nach Angaben des Standesamts die Zahl der Kirchenaustritte zurück: von 926 Personen im ersten Quartal 2023 auf 844 im ersten Quartal 2024.

Die Zahlen verharrten damit auf dem vergleichsweise hohen Niveau der vergangenen Jahre. Sie sind allerdings nicht repräsentativ. Die Wege zum Kirchenaustritt unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland. In einigen erklärt man seinen Austritt bei Bürger- oder Standesämtern, in anderen beim Amtsgericht.

Ende Januar hatte ein unabhängiges Forschungsteam die ForuM-Studie vorgestellt. Es geht darin von mindestens 2.225 Betroffenen und 1.259 mutmaßlichen Tätern aus, vermutet aber eine deutlich höhere Dunkelziffer.
Pollack vermutete, nach den früher bekannt gewordenen Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche hätten viele Menschen kaum noch Erwartungen an die Kirchen gehabt, die somit auch nicht enttäuscht werden konnten. "Ich kann mir vorstellen, dass das Teil der Erklärung ist", sagte er dem epd. Zwischen evangelischer und katholischer Kirche differenzierten viele, vor allem kirchendistanzierte Menschen nicht.

Besonders Kirchenmitglieder räumten der evangelischen Kirche hingegen noch ein Vorschussvertrauen ein, sagte der Soziologe: "Es haben sogar Katholiken im Durchschnitt mehr Vertrauen in die evangelische Kirche als in die eigene." Auch in der Durchschnittsbevölkerung sei das Vertrauen in die evangelische Kirche noch bedeutend höher als das in die katholische.

Ob dieses Vertrauen erhalten bleibt, hängt nach Pollacks Worten stark vom Umgang der evangelischen Kirche mit der ForuM-Studie ab. Der Umgang der katholischen Kirche mit ihren Missbrauchsfällen sei in dieser Hinsicht ein warnendes Beispiel. In der Öffentlichkeit sei nicht der Eindruck entstanden, dass es den Bischöfen um schonungslose Aufklärung gehe. Sollte die evangelische Kirche hier nicht wesentlich besser agieren, könne die Studie doch noch für höhere Austrittszahlen sorgen.