Der Sportbeauftragte der EKD, Thorsten Latzel, hat letzte Woche einen Streit tüchtig angeheizt. In den sozialen Medien kritisierte er den Sponsorenvertrag zwischen dem Dortmunder BVB und dem Rüstungskonzern Rheinmetall: Ein Werbevertrag mit einem großen Rüstungsunternehmen "normalisiert" Kriege und Waffen. Weil die Nachricht so veröffentlicht wurde, dass der Trubel ums Champions-League-Finale die Debatte überdeckt hätte, hat das Thema durch Latzel wesentlich größere Aufmerksamkeit erfahren.
Latzels Stellungnahme erfährt viel Zustimmung. Er spricht sich aber nicht prinzipiell gegen Waffen aus. Andererseits ist auch zu lesen: Das sei inkonsequent, ja sogar "verlogen" (Welt). Auch laut Robert Habeck sei die neue Prominenz der Rüstungsfirmen Teil der neuen Realitäten, denn viele Waffen, mit denen Deutschland die Ukraine unterstützt, werden von Rheinmetall hergestellt.
Mit Waffengewalt muss die Ukraine ihre offene Gesellschaft gegen den Diktator Putin verteidigen. Hier meint der BVB: Wir können schlecht die Demokratie hochhalten, wenn wir sie nicht mit schweren Waffen verteidigen und uns offen zu den Rüstungsunternehmen bekennen. In dieser Kolumne habe ich mich für eine entschiedene militärische Unterstützung der Ukraine ausgesprochen. Aber ist vielleicht an Latzels Standpunkt etwas dran?
Was Rheinmetall will
Die andere Borussia aus Mönchengladbach fand einen Werbevertrag mit Rheinmetall zu heikel, aber mit dem BVB hat es nun geklappt. Vor ein paar Jahren war Rheinmetall noch in einen größeren Korruptionsskandal verwickelt. Ohnehin werden Rüstungsexporte in bestimmte Länder oft kritisch kommentiert. Nun aber kommt die Firma aus der "Schmuddelecke" heraus und positioniert sich als verantwortungsbewusst und demokratisch.
Das ist auch von wirtschaftlichem Interesse. Auch die Rüstungsunternehmen haben ein Problem mit dem Fachkräftemangel. Außerdem tun sich die Waffenschmieden traditionell schwer damit, Kapital anzulocken. Zwar haben die Aktien von Rheinmetall in gut zwei Jahren sehr zugelegt, doch die Finanzierung an der Börse ließe sich noch ausbauen. So gewinnen etwa die sogenannten ESG-Fonds bei Privatanlegern stark an Interesse. Solche nachhaltigen, "moralischen" Fonds schließen nicht nur die Aktien von Ölfirmen aus, sondern auch die von Rüstungsunternehmen.
Kritik an Latzel
Kritiker halten Latzel und der evangelischen Kirche vor, man messe bei der öffentlichen Kritik mit doppeltem Maßstab. Nicht nötig war eine Kritik der Kirchen, als der FC Sandhausen vor ein paar Jahren (damals zweite Liga) Werbung für ein Bordell machte: Das Sponsoring musste nach wenigen Tagen abgebrochen werden. Manche fragen aber: Weshalb hat sich die EKD nicht öffentlich gegen andere Werbeverträge ausgesprochen: mit Gazprom (Schalke), Qatar Airways (Bayern) oder mit Paketzulieferern, die den Angestellten sehr schlechte Arbeitsbedingungen bieten?
Alexander Maßmann wurde im Bereich evangelische Ethik und Dogmatik an der Universität Heidelberg promoviert. Seine Doktorarbeit wurde mit dem Lautenschlaeger Award for Theological Promise ausgezeichnet. Publikationen in den Bereichen theologische Ethik (zum Beispiel Bioethik) und Theologie und Naturwissenschaften, Lehre an den Universitäten Heidelberg und Cambridge (GB).
Klar ist: Wer in der Öffentlichkeit laut moralische Kritik übt, wird auch selbst kritisiert werden. Ganz unberechtigt ist der Hinweis auf andere fragwürdige Sponsorendeals wohl nicht. Zu Latzels Gunsten meine ich aber: Auch wenn man nicht alles kritisiert, was kritikwürdig ist, darf man trotzdem einzelne Dinge kritisieren, wenn sie denn Kritik verdienen. Selbst wenn Latzel nicht ganz konsequent sein sollte, entkräftet das noch nicht seine Kritik am BVB und Rheinmetall! Anstatt Whataboutism zu praktizieren, müssten Fürsprecher des BVB schon erklären: Kommt die Verteidigung der Ukraine tatsächlich besser voran durch diesen Werbevertrag?
Es gehen ohnehin 30 bis 40 Milliarden Euro des "Sondervermögens Bundeswehr" an Rheinmetall, und der Chef des Unternehmens hat sich darüber hinaus für eine Erhöhung des regulären Bundeswehr-Budgets ausgesprochen, wovon er wiederum profitieren dürfte. Hinzu kommen die öffentlichen Gelder, mit denen Rheinmetall Waffen für die Ukraine baut. Könnte Latzel recht haben mit seiner doppelten Aussage: Er respektiere die militärische Unterstützung der Ukraine, befürchtet aber zugleich eine gesellschaftliche Normalisierung des Militärischen?
Zumindest muss man Latzel zugute halten, dass er genau das tut, was der BVB-Geschäftsführer Aki Watzke vorgeblich bezweckt mit dem Sponsorenvertrag: eine öffentliche Debatte zu führen über Rüstungsunternehmen in einer wehrhaften Demokratie. Watzke: Wir "öffnen uns als Borussia Dortmund ganz bewusst für einen Diskurs". Das ist natürlich eine eigenartige Umschreibung für einen Werbevertrag! Doch eine Debatte – keine unkritische, gesponserte "Debatte" – ist nur legitim: Nach dem Sondervermögen Bundeswehr gibt es weiteren Streit über das reguläre Budget der Bundeswehr und ihre Rolle im Staat. Deutsche Rüstungsexporte, besonders in den arabischen Raum, sind ebenfalls ein Dauerbrenner im Bundestag.
Kriegsfähigkeit
Außerdem kritisiert Latzel die Aussage des Verteidigungsministers, dass "Deutschland kriegsfähig" sein müsse. Damit hat Boris Pistorius natürlich nicht gemeint, dass Deutschland 1) als gesamte Gesellschaft 2) auf Krieg aus sein solle. Auch soll sich die Bundeswehr nicht im Zustand einer dauernden Kriegsmobilisierung befinden. Anders herum müsste es heißen: Friedensfähig soll Deutschland sein. Ohne Gewalt Frieden zu stiften, erfordert besondere Kompetenzen. Das muss immer ein kirchliches Anliegen bleiben.
Doch dass andererseits die Bundeswehr im weiteren Sinne kriegstüchtig sein müsse, leuchtet mir ebenfalls ein. Lange hat man die entscheidende Aufgabe der Bundeswehr in humanitären Einsätzen und im Peacekeeping gesehen. Doch dann stellte sich heraus, dass sie oft nicht einsatzfähig war. Die NATO-Bündnisverpflichtungen ergeben außerdem nur Sinn, wenn die Bundeswehr prinzipiell zur Landesverteidigung in der Lage ist. In diesem Punkt stimme ich Latzel eher nicht zu.
Kritik an Rheinmetall
Dass Rheinmetall die Ukraine mit Waffen versorgt, sehe ich positiv. Doch das Unternehmen hat zuvor, wie auch die deutsche Politik, intensiv mit der Gegenseite zusammengearbeitet. Doch als Russland 2014 die Krim annektierte, kam es zum Streit zwischen Rheinmetall und der Bundesregierung. Die Regierung setzte den russischen Geschäften ein Ende, doch Rheinmetall zog vor Gericht und richtete – erfolglos – hohe Finanzforderungen an die Regierung.
Unklar bleibt außerdem, wie stark das Unternehmen im arabischen Raum Handel treibt. Ob es begrenzte Panzerlieferungen an Saudi-Arabien gab, hält die Bundesregierung geheim. Hier könnte Rheinmetall vor gut 10 Jahren beteiligt gewesen sein. Zumindest für den Großteil der geplanten Panzerlieferungen in das verbrecherische Regime verweigerte Angela Merkel in letzter Minute die Ausfuhrgenehmigung. Daraufhin kam es ebenfalls zum Streit mit Rheinmetall. Außerdem gibt es Belege, dass Saudi Arabien zumindest 500-kg-Bomben von Rheinmetall im Jemen einsetzt, wo Saudi Arabien mit brutaler Gewalt gegen die Zivilbevölkerung vorgeht.
In die deutschen Panzerlieferungen nach Katar – einen wichtigen Sponsor der Hamas, der auch im Jemen kämpfte – war Rheinmetall zumindest mit Bauteilen involviert, und bei der völkerrechtswidrigen Gewalt des türkischen Militärs gegen die syrischen Kurden kommen ebenfalls Waffen von Rheinmetall zum Einsatz. Hat es jetzt bei Rheinmetall einen Sinneswandel gegeben, nicht mehr die Autokraten zu unterstützen und sich allein der Demokratie zu verschreiben? Der BVB ist der Demokratie verpflichtet, aber hat sich auch Rheinmetall gegen diktatorische Regime ausgesprochen?
Nach längeren Diskussionen erlaubt es die Bundesregierung zum Beispiel jetzt, bestimmte schwere Waffen an Saudi Arabien zu liefern. Unter anderem lautet das Argument, man wolle die Westbindung des Staates mit den großen Ölreserven sichern. Ein Schelm, wer jetzt an Russland denkt. Der Sponsorenvertrag ist Wasser auf die Mühlen derer, die den Saudis noch mehr verkaufen wollen. Wie wird sich Rheinmetall verhalten, sollte das Unternehmen die Chance bekommen, wieder schwere Rüstung an ein verbrecherisches Regime zu liefern?
Drahtseilakt
Was passiert, wenn Rheinmetall seine Produktion immens gesteigert hat, aber in der Ukraine eines Tages keine Waffen mehr benötigt werden? In den USA entstand der Begriff des militärisch-industriellen Komplexes, weil Lobbyisten Verflechtungen zwischen Rüstungsfirmen und Politik aufbauen, damit die Politik einen militaristischen Kurs einschlägt. Bei solchen Unternehmungen kann ein verbessertes öffentliches Ansehen der Rüstungsproduzenten durchaus helfen.
Die politische Zusammenarbeit mit Rüstungsunternehmen ist ein Drahtseilakt. Für die Ukraine werden Waffen benötigt. Man muss den Rüstungsfirmen zugestehen, dass sie (zumindest in Maßen) nach Profit streben und ihre Waffen weiterentwickeln. Doch das ist keineswegs die einzige Herausforderung, wie die Befürworter des Werbedeals suggerieren. Denn in der Politik fördern Waffen-Lobbyisten den Militarismus, und in anderen Regionen ermöglichen Rüstungsfirmen autokratischen Regimen ein brutales Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung.
Fazit
Latzel hat der Gesellschaft einen wertvollen Dienst geleistet, weil der Werbedeal mit Rheinmetall ohne seine Kritik weniger Aufmerksamkeit erhalten hätte. Es heißt, es sei Teil der "Zeitenwende", dass deutsche Rüstungsunternehmen in der Öffentlichkeit klarer Präsenz zeigen. Doch Rheinmetall erhält ohnehin schon viele Milliarden an Steuergeldern, um die Produktion hochzufahren, die Bundeswehr auszurüsten und die Ukraine zu beliefern.
Die kontroverse Bewertung des Werbevertrags und der Kritik daran entspricht der ethischen Bewertung der militärischen Gewalt durch die evangelische Kirche. Die EKD hat sich mit guten Gründen für eine ambivalente Position ausgesprochen: Sie kritisiert militärische Gewalt und würdigt sie zugleich. Diese Spannung möchte die Kirche weder zur einen noch zur anderen Seite auflösen: weder in eine grundlegend positive Betrachtung militärischer Gewalt noch im Sinne einer pazifistischen Fundamentalopposition. Diese Ambivalenz ist sinnvoll und gewollt, und so wird sie sich immer auch in den Streitfragen niederschlagen, die mit dem Militär zu tun haben.
Man kann die "Zeitenwende" durchaus gutheißen. Doch damit der Einfluss des Militärs in Gesellschaft und Politik nicht überhand nimmt, müssen Militär und Rüstungsindustrie unter demokratischer Aufsicht bleiben. Dazu tragen Werbebanner bei Fußballspielen nicht bei. Sie vertuschen die problematischen Seiten von Rheinmetall und verstärken eher einen gefährlichen Trend zur Militarisierung. Gepaart mit der Unterstützung in Sachen Ukraine braucht es auch wache Beobachtung und Kritik.