US-Präsident Joe Biden, der eine Team-USA-Jacke trägt mit seinem Sohn Hunter Biden am 27.07.2024.
Susan Walsh/AP/dpa (M)
US-Präsident Joe Biden, der eine Team-USA-Jacke trägt, mit seinem Sohn Hunter Biden. (Archivbild)
Kolumne: evangelisch kontrovers
Die Begnadigung von Hunter Biden
Die deutschen Zeitungen verurteilen einstimmig, dass Joe Biden seinen Sohn begnadigt hat. Auch aus theologisch-ethischer Sicht ist das Verhältnis von Recht und Barmherzigkeit wichtig – Gnade ist ja auch ein christliches Wort. Der Ethik-Kolumnist Alexander Maßmann ist sich jedoch nicht sicher, ob die Begnadigung tatsächlich falsch war.

Die Zeitungskommentare schreiben sich selbst. Joe Biden hat seinen Sohn Hunter begnadigt, der verschiedener Verbrechen beschuldigt wird. Davon wird auch in Deutschland allerorten berichtet, und das ist auch aus ethischer Sicht ein heißes Thema. Zur Begründung dient Joe Biden ein Argument, das auch Trump verwendet. Das Justizministerium hat ja gegen Trump aufgrund verschiedener Vergehen ermittelt, unter anderem wegen versuchten Staatsstreichs. Aus Eigeninteresse wirft Trump deshalb dem Justizministerium politische Parteilichkeit vor. Ähnlich äußert sich nun Biden. In den Ermittlungen gegen Trump stützt Biden ihn: Er und sein Ermittler betreiben durchaus nicht die "Hexenjagd", die Trump ihnen vorwirft. Doch parteilich sei die Justiz angeblich dann, wenn es gegen die eigene Familie geht. Auch die deutschen Zeitungen stimmen in die Kritik an Biden ein.

 

Doch wenn zwei das Gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe. So ist der Sonderermittler gegen Hunter ein Republikaner, der von Trump als Staatsanwalt eingesetzt wurde. Dennoch: Hat sich Joe Biden mit der Begnadigung seines Sohnes doch für Kungelei und Filz entschieden – obwohl er mehrfach bestritt, dass er Hunter begnadigen würde? Ich selbst habe da meine Zweifel. Bidens Begnadigung ist zwar unglücklich, aber vielleicht doch vertretbar – auch wenn Joe Biden sich anders hätte äußern müssen.

Recht und Barmherzigkeit

Natürlich ist der Vorgang auch aus christlich-theologischer Sicht brisant. Die Hebräische Bibel etwa schärft die Anforderungen der Gerechtigkeit ein. Zugleich setzt sie sich für das Erbarmen auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen ein, weil die Härte des Rechts in ausweglose Situationen führen kann. In Jesu Kreuz und Auferweckung wiederum eröffnet Gott den Menschen seine Gnade – richtet sie aber auch neu aus auf ein besseres, gerechtes Handeln (vgl. etwa Röm. 6,1–2). Aber Gerechtigkeit und Barmherzigkeit dürfen einander nicht platt widersprechen. Deshalb der alte Grundsatz, dass niemand Richter in eigener Sache sei – also nicht korrupt die eigene Familie freispricht und Vergehen vertuscht. Hat Biden die Rechtsstaatlichkeit für seine Familie kompromittiert?

Joe Bidens persönliche Situation

Neben diesen Fragen von Gerechtigkeit und Erbarmen hat dieser Fall außerdem eine persönliche Seite – auch wenn die Begnadigung nicht rechtfertigt. Als Joe Bidens Tochter und seine erste Frau 1972 in einem Verkehrsunfall ums Leben kamen, wurden Hunter und sein Bruder Beau schwer verletzt. Als Joes ältester Sohn 2015 an Krebs starb, blieb nur Hunter von den drei Kindern, die Joe mit seiner ersten Frau hatte. Er kämpfte mit der Drogensucht und ist seit 2019 clean. Der Vater stand an der Seite des Sohnes, auch als der verschiedentlich auf die schiefe Bahn geraten war. Nun ist er 82 Jahre alt und stand vor der Aussicht, dass sein Sohn womöglich für mehrere Jahre inhaftiert würde.

Kesseltreiben gegen Hunter

Was aber meint Joe Biden mit der Aussage, die Ermittlungen gegen Hunter seien "selektiv und unfair"? Dass Hunter das Recht gebrochen hat, lässt sich nicht bestreiten. Beim Erwerb einer Schusswaffe (die er nicht verwendet hat) hat er gelogen, als er seine damalige Drogensucht leugnete. Außerdem hat er Steuern hinterzogen (die er inzwischen gezahlt hat). Doch viele Beobachter sagen, diese Vergehen würden in der Regel nicht so harsch geahndet wie bei Hunter – juristisch als Verbrechen, mit der Möglichkeit einer langen Gefängnisstrafe.

Außerdem haben die Republikaner in der Sache ein Kesseltreiben veranstaltet. Als sie 2022 die Mehrheit im Abgeordnetenhaus errungen hatten, stellte die Fraktion in der ersten Pressekonferenz nicht die politischen Sachthemen in den Vordergrund, sondern Hunter Biden.  Sie inszenierten hier einen Skandal und richteten einen Untersuchungsausschuss ein, um das Thema in den Medien präsent zu halten und das Justizministerium unter Druck setzen. Damit folgten sie Trump, der meinte, es werde gegen den Sohn des Präsidenten nicht ausreichend ermittelt. Das stimmt nicht, doch so konnte Trump seine vielen eigenen, schwereren Verbrechen (z.B. den versuchten Staatsstreich) herunterspielen und die Ermittlungen gegen sich selbst als politisch motiviert darstellen.

Im Sommer zeichnete sich zunächst eine Verständigung im Strafverfahren ab – ein sogenannter "plea deal", mit dem Hunter zu einem milderen Urteil gekommen wäre. Das kommentierte der prominente Republikaner Kevin McCarthy heuchlerisch: "Wenn du der Hauptgegner des Präsidenten bist, will das Justizministerium dich buchstäblich ins Gefängnis werfen. Wenn du dagegen der Sohn des Präsidenten bist, gibt’s ein Amigogeschäft." Die Verständigung platzte, doch an der Ansicht einer Kolumnistin der Washington Post ist etwas dran: Hunter Biden wurde gerichtlich belangt, nicht wegen seiner eigenen Taten, sondern um seines Vaters willen.

Trumps Justizministerium

Die bisherige republikanische Kampagne reicht allein noch nicht aus, um die Begnadigung zu rechtfertigen. Hunter hätte eine Verurteilung verdient – wenn auch nicht in der Härte, wie zuletzt zu befürchten war. Doch kaum einer der Kommentare zieht die Verbindung dazu, wie Trump die Weichen für die Zukunft stellt. Wenn Hunters Prozess noch im Dezember beginnen würde, könnte Trump bereits Druck auf die Gerichte ausüben. Wir wissen, wie seine Anhänger seine Gegner bedrohen. Aber auch Trumps Maßnahmen zur Amtsübernahme lassen Böses ahnen. Ein Schauprozess war durchaus im Bereich des Möglichen. Damit könnte Trump seine Rachegelüste befriedigen und vor allem sein eigenes Image verbessern.

Vielfach wird berichtet, Trump will Rache an denen, die ihn seit Jahren für seine Verbrechen zur Rechenschaft ziehen wollen. Trump selbst hat erklärt: "Manchmal kann Rache gerechtfertigt sein." Vor einem Jahr sagte er in einer Rede mit der für ihn typischen Übertreibung: "Ich werde einen echten Sonderermittler einsetzen, der hinter dem korruptesten Präsidenten in der Geschichte der USA her sein wird, Joe Biden, und der ganzen Biden-Verbrecherfamilie". So hat er sich mehrfach geäußert. Letzten Juni schrieb er, Biden müsse "wegen Hochverrats verhaftet" werden. Da das Verfassungsgericht seither auch Ex-Präsidenten Immunität zugesichert hat, wäre die Bestrafung von Hunter ein Weg, sich an Joe Biden zu rächen.

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Doch es geht nicht nur um Trumps Rachsucht. Mit einer zusätzlichen Bestrafung von Hunter könnte Trump seine eigenen Verbrechen relativieren und sich als Opfer eines Justizwesens inszenieren, das er nun vorgeblich auf den rechten Weg zurückbringe. Trump vertritt die Ansicht, nicht er habe den ukrainischen Präsidenten erpresst, um Wahlkampfhilfe zu erhalten, sondern die zwei Bidens hätten sich korrupt in ukrainische Angelegenheiten eingemischt. Dafür gibt es keine Indizien. Dagegen beschloss der Senat, Trump des Amtes zu entheben, weil der gegenüber dem ukrainischen Präsidenten sein Amt missbraucht habe. Ist Trump wieder Präsident, wäre Hunter für ihn stets eine Versuchung, einen Schauprozess aufzuziehen und sich mit Lügen nachträglich zu rechtfertigen. Schon im Wahlkampf galt: je schlechter Hunter Biden dasteht, desto besser für Trump.

Solchen Manövern könnte Trumps Absicht dienen, das Justizministerium seinen persönlichen Interessen zu unterwerfen. Das belegen Trumps bisherige Nominierungen. Aufsehen erregte besonders Trumps Ankündigung, Matt Gaetz zum Justizminister zu machen. Der hat zwar inzwischen seine Kandidatur zurückgezogen. Er ist nicht nur juristisch kaum qualifiziert und hat anscheinend von Minderjährigen Sex gekauft – doch er zeichnet sich durch besondere Gefolgstreue aus. Nun nominierte Trump eine Juristin, die ihn selbst vor Gericht verteidigt und sich dessen Lügen der Wahlfälschung 2020 zu eigen gemacht hat. Den Leiter des FBI, den Trump selbst ernannt hatte, möchte Trump nun vorzeitig mit einem unqualifizierten Hardcore-Ideologen ersetzen, um seine persönlichen Feinde zu verfolgen. Der bisherige FBI-Chef hat sich disqualifiziert durch seine Entdeckung, dass Trump staatliche Geheimakten illegal in seinem Privatdomizil lagerte.

Fazit

Die Begnadigung von Hunter Biden ist keine Sternstunde von Joe Biden. Die Frage, ob jemand Richter in eigener Sache sein kann und wann Gnade vor Recht geht, ist auch aus christlich-ethischer Sicht brisant. Völlig deplatziert ist aber die Überschrift zu einem Kommentar einer deutschen Korrespondentin: "Joe Biden ist nicht besser als Donald Trump". Es lassen sich sogar verschiedene Faktoren zugunsten der Begnadigung anführen: der politisch motivierte Untersuchungsausschuss der republikanischen Abgeordneten gegen Hunter, Trumps persönliche Rachegelüste sowie die Aussicht auf ein zukünftiges politisiertes Verfahren. Je schlechter Trumps Feinde dastehen, desto weniger fallen Trumps Verbrechen auf, und in der öffentlichen Wahrnehmung hat der republikanische Untersuchungsausschuss den Weg für ein Vorgehen gegen Hunter bereits gebahnt.

Gut möglich, dass die Begnadigung gerade nicht Gnade vor Recht ergehen lässt, weil Recht in der Sache Hunter Biden in Zukunft unwahrscheinlich gewesen wäre. Hätte Biden Hunter nicht begnadigt, müsste er sich zum Vorwurf machen, den eigenen Sohn um eines Prinzips willen (und zwar nicht dem der Rechtsstaatlichkeit) in Gefahr zu bringen. Was man Joe Biden vorwerfen muss, ist vermutlich weniger die Begnadigung, sondern vor allem, dass er sie zuvor abgelehnt hatte, vermutlich mit einer Lüge, und dass er die Begnadigung nicht klar begründet mit Trumps Maßnahmen, das Justizwesen seinen Privatinteressen zu unterwerfen. Beweisstück Nummer 1 ist Trumps frivole Nominierung von Matt Gaetz zum Justizminister.