In ökumenischer Verbundenheit starten die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Deutsche Bischofskonferenz gleich zwei gemeinsame Online-Plattformen zur UEFA Euro 2024: eine Material-Plattform und eine Übernachtungs-Plattform.
evangelisch.de: Präses Latzel, die EKD hat Sport als eines der wichtigsten Begegnungsfelder von Protestantismus und Kultur benannt. Was macht den Sport so interessant für die Kirche? Kann man beim Sport die Menschen anders oder besser erreichen?
Thorsten Latzel: Sport ist ebenso wie Kultur ein wichtiges Begegnungsfeld von Glaube und Gesellschaft. Im Sport erleben wir eine starke Vermittlung von Werten, von Teamgeist, von internationaler Begegnung, von Lust am Spiel, von Freude am eigenen Körper und an der Schöpfung. Ich glaube, Religion und Sport haben da viele Sachen gemeinsam, also nicht nur der Fußball, sondern der Sport insgesamt. Menschen erleben hier die Freude, anderen zu begegnen, sie können starke Emotionen ausleben, bei Siegen wie bei Niederlagen – im Sport erlebt man all das, was zum Leben dazu gehört.
Diese Emotionen erlebt man auch in der Religion. Zugleich gibt es auch wichtige Unterschiede zwischen beiden Bereichen, eben weil es im Glauben um Gott und die letzten Fragen geht. Sport ist für uns eine gute Gabe Gottes und eine der schönsten Nebensachen der Welt. Daher ist es für uns naheliegend, das Thema Fußball als Kirche zu begleiten.
Sportseelsorge gehört schon seit Jahren zu den Aufgabengebieten der EKD, nun haben Sie sich entschlossen, zur Fußball-Europameisterschaft auch eine Materialplattform zur Verfügung zu stellen. Wie kann ich mir das dann vorstellen?
Latzel: Die Materialplattform heißt "Fußballbegeistert", also Fußball beGEIStert, denn wir heben den Geist hervor. Auf ihr gibt es zum einen Statements von Sportlern und Sportlerinnen, die ganz bewusst von ihrem Glauben sprechen, auch einen Beitrag des DFB-Präsidenten. Es gibt sogenannte "Kopfbälle", also Denkanstöße mit Hintergrundinformationen, etwa zur Geschichte des Fußballs, zu Stadiongesängen oder zum Thema Gewalt. Das ist ein großes Thema, wo wir als Gesellschaft nicht wegsehen dürfen.
"Wir zeigen Beispiele, wie man zu einer Mannschaft halten und zugleich auch Freundschaften zu Fans anderer Mannschaften pflegen kann."
Wir sprechen aber auch die Begeisterung an und die wechselseitige Verständigung. Wir zeigen Beispiele, wie man zu einer Mannschaft halten und zugleich auch Freundschaften zu Fans anderer Mannschaften pflegen kann. Auf dieser Plattform sind auch Materialien für Gottesdienste und Andachten zu finden und Impulse für den Gemeindebrief, für die Öffentlichkeitsarbeit und für Social Media.
Neben der Materialplattform "Fußball beGEISTert" gibt es auch eine Übernachtungsplattform?
Latzel: Ja, richtig. Auf "Host4Euro" wird es ein Angebot geben, von Fans für Fans. Auf dieser Plattform können Privatpersonen, Gemeinden in Deutschland Menschen aus anderen Ländern Übernachtungsmöglichkeiten bieten. So können die Fußballfans, die zu den Spielen nach Deutschland kommen, bewusst eine Begegnung mit anderen Glaubensgeschwistern haben, in guter ökumenischer Gemeinschaft. Es gibt also beides, eine Übernachtungsplattform und eine Materialplattform. Auf der Materialplattform sind Gemeinden zudem eingeladen, ihre Projekte, ihre Termine und ihre Veranstaltungen einzutragen.
Dort gibt es neben den Statements, den Kopfbällen und den Materialien auch noch einen vierten Punkt: Termine und Infos. Es wird Aktionen in den Fan-Gemeinden geben, es wird Gottesdienste an den unterschiedlichen Austragungsorten geben, auch bei uns hier im Rheinland, in Köln und Düsseldorf. All das wird man auf den Seiten finden, die jetzt immer weiter anwachsen, bis es im Juni dann mit der EM richtig losgeht.
Das ist das erste Mal, dass die EKD so etwas bietet? Woher kam die Motivation?
Latzel: Wir haben zwar bereits eine ähnliche Plattform mit Übernachtungsmöglichkeiten zu den Kirchentagen. Aber so eine Plattform zu einer Fußball-Europameisterschaft – das ist das erste Mal. Es ist uns wichtig, dass wir bewusst für einen Sport eintreten, der zu unserer freiheitlich-offenen, demokratischen Gesellschaft passt. Damals in Katar gab es viel Kritik, es gab etwa die berechtigten Fragen nach Menschenrechten, Arbeiterschutz und Umweltstandards.
"Wir wollen zeigen, dass wir für einen Sport stehen, der wirklich der Völkerverständigung und offenen Begegnungen dient."
Wir wollen, dass Fußball ein Teil unserer Gesellschaft ist und von den Werten bestimmt ist, die für uns als demokratisch offene, menschenfreundliche, weltoffene Gesellschaft leitend sind. Und jetzt haben wir die Möglichkeit, genau das zu gestalten, da die Fußball-Europameisterschaft hier in Deutschland stattfindet. Daher wollen wir als Kirchen mit unseren Gemeinden einen Beitrag dazu leisten, wir wollen zeigen, dass wir für einen Sport stehen, der wirklich der Völkerverständigung und offenen Begegnungen dient. Diese Plattform ist daher bewusst auch ein ökumenisches Projekt, ein gemeinsames Projekt von katholischer und evangelischer Seite. Gemeinsam mit Bischof Stefan Oster werde ich zum Eröffnungsspiel am 14. Juni einen gemeinsamen ökumenischen Gottesdienst in München abhalten.
Wir haben in den Gemeinden sehr viele Menschen, denen Glaube und Sport wichtig sind, auch viele christliche Fan-Clubs, wie zum Beispiel die Holy Bulls. Sie alle sind eingeladen, ihre Termine einzutragen oder auch Übernachtungsmöglichkeiten anzubieten. Unsere Plattformen leben davon, dass die Menschen und Gemeinden mitmachen und sich vernetzen. Wir wollen als Kirche Gastfreundschaft leben und vermitteln. Genau dafür steht unser christlicher Glaube, dass man selbstverständlich andere Menschen aufnimmt.
"Wir wollen dazu beitragen, dass Menschen aufeinander zugehen, sich begegnen und Grenzen in Europa keine Rolle spielen."
Darin wird die Menschenfreundlichkeit Gottes erfahrbar und das erhoffen wir uns durch unsere Aktion. Wir wollen dazu beitragen, dass Menschen aufeinander zugehen, sich begegnen und Grenzen in Europa keine Rolle spielen. Wir wollen zeigen, dass Deutschland ein offenes, gastfreundliches Land ist, indem sich Schwestern und Brüder im Glauben treffen und gemeinsam Freude haben, auch wenn sie Fans verschiedener Mannschaften sind. Europa ist ein Friedensprojekt, es soll dies bleiben und dazu kann Fußball etwas beitragen.
Sie selbst haben auch eine besondere Bindung zu Sport, welche Sportarten machen Sie denn?
Latzel: Als Sportbeauftragter der EKD beschäftige ich mich natürlich auch beruflich mit Sport. Privat habe ich früher viel Leichtathletik gemacht, ich fahre gerne Fahrrad und wandere leidenschaftlich gerne. Unsere Evangelische Kirche im Rheinland ist zugleich die einzige Landeskirche, die einen eigenen Fitnessraum hat.
Als Jugendlicher habe ich natürlich auch gerne Fußball gespielt. Wir hatten früher in dem kleinen Ort, wo ich aufgewachsen bin, eine Straßen-Kicker-Mannschaft. Bei uns den Berg rauf, draußen im Wald gab es einen ganz einsamen Aschenplatz, da sind wir gegen andere Mannschaften angetreten. In der Pause haben wir uns dann eine Sprudelflasche geteilt, das Gemeinschaftsgefühl war echt toll! Wir brauchten auch keinen Schiedsrichter, wir haben einfach aufeinander geachtet. Und die älteren Jungen haben sich um die jüngeren gekümmert.
Nach ihrem Volontariat in der Pressestelle der Aktion Mensch arbeitete Alexandra Barone als freie Redakteurin für Radio- und Print-Medien und als Kreativautorin für die Unternehmensberatung Deloitte. Aus Rom berichtete sie als Auslandskorrespondentin für Associated Press und für verschiedene deutsche Radiosender. Heute arbeitet sie als freie Journalistin, Online-Texterin und Marketing-Coach. Seit Januar 2024 ist sie als Redakteurin vom Dienst für evangelisch.de tätig.
Im Sport lernt man Fairness, aber kann er ein Ausgleich zu dieser hektischen Welt sein. Was bedeutet Sport für Sie und für Ihre Arbeit als Geistlicher?
Latzel: Im Sport lernt man seine eigenen Stärken und Schwächen kennen, man lernt auch, im Team miteinander klarzukommen, aufeinander zu achten, eben Fair Play zu leben. Es spielt auch keine Rolle, woher du kommst oder wie du aussiehst. Als Präses der Kirche im Rheinland arbeiten wir viel mit Flüchtlingen zusammen und Fußball gibt immer wieder eine Möglichkeit, aufeinander zuzugehen, weil es keine Sprachbarrieren gibt. Man teilt gemeinsam die Freude, wenn erstmal der Ball rollt.
Sport ist nicht nur eine körperliche Betätigung, sondern zugleich auch Entspannung. Sport machen hat natürlich auch gesundheitliche Aspekte, aber es hat auch etwas zweckfreies. Man beschäftigt sich mit dem eigenen Körper, man trainiert, man übt, man lernt Disziplin, Ausdauer. Man fühlt sich danach auch gut, weil man gemerkt hat, man hat was geleistet. Gleichzeitig halten sich beide Seiten an feste Regeln, man respektiert gemeinsam Regeln. Und das braucht unsere Gesellschaft. Wir leiden viel zu häufig unter Grenzverletzungen und fehlender Offenheit für andere. Da kann der Sport helfen, indem er auch eine regelgeleitete, faire Konfrontation zulässt. Man kann in einen Wettkampf hineingehen, auch körperlich, aber eben nicht, um den anderen zu verletzen. Wettstreit ja, aber immer mit Respekt, ohne Verletzungen.
Sport und Religion haben also viel gemeinsam?
Latzel: Definitiv! Die Lust an der Herausforderung, das ist etwas, was man ja auch in der Religion hat. Wenn es anstrengend, schwer und staubig wird, zu sagen: ‚Ich bleibe dabei!‘, das ist etwas, was auch Pilger machen. Auch der Gemeinschaftsgedanke ist beim Sport wie in der Religion vertreten. Beim Wandern kann man beispielsweise im eigenen Rhythmus gehen und trotzdem als Gemeinschaft am Ziel ankommen. Das ist beides wichtig, das Aufeinander achten wie das Gehen im eigenen Tempo.
Es ist auch wichtig, dass wir nicht nur konsumieren, weder im Sport noch in der Religion. Dass wir aktiv werden, dass wir nach draußen gehen, um zu spielen, zu trainieren und um vor allem Freude miteinander zu haben. Sport und Glauben haben beide etwas mit einer Haltung zu tun. Eine tiefe, innere Resilienz, die sich nicht von außen bestimmen lässt. Glaube vermittelt solch eine innere Hoffnungs-Haltung. Die anderen reden vom Weltuntergang, wir pflanzen Apfelbäume, weil wir auf Gott vertrauen.
Wie im Sport kann man auch seinen Glauben trainieren. Beim Sport geht es darum, seine Ausdauer und Technik zu trainieren, zu lernen, wie man im Team spielt. Und genauso ist das beim Glauben: Man übt seine eigene Seele, man betet, liest die Bibel, redet miteinander in der Gemeinschaft. So wie ich den Partner oder die Partnerin beim Tanzen oder Judo brauche, ist auch Glauben eine Gemeinschaftspraxis. Gerade diese Frage der Haltung, dieses Miteinander, wollen wir vermitteln. Als Christinnen und Christen stehen wir für diese Werte und ich hoffe, dass wir davon etwas auch während der Europameisterschaften vermitteln können.