An diesem Tag hat Deutschland das Budget an nachhaltig nutzbaren Ressourcen und ökologisch verkraftbaren Emissionen für das gesamte Jahr 2024 laut Germanwatch aufgebraucht. Demnach verbraucht Deutschland in einem Jahr ungefähr dreimal so viel, wie das eigene Ökosystem bereitstellen kann. Damit säge die Menschheit "in gewisser Weise den Ast ab, auf dem sie sitzt", sagt Latif.
Den Berechnungen werde der ökologische Fußabdruck zugrunde gelegt, der sich aus den Faktoren Ernährung, Wohnen, Konsum und Mobilität berechnet. Dies könnte zwar nur eine grobe Schätzung sein, erklärt Latif. "Klar ist aber, dass die Welt viel mehr Ressourcen verbraucht als die Natur nachliefern kann", betont der Professor für Ozeanzirkulation und Klimadynamik sowie maritime Meteorologie am Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel.
Auch wenn die Emissionen von China oder den USA noch höher sind, zeige der deutsche Erdüberlastungstag am 2. Mai, dass Deutschland die Erde stärker belastet als viele andere Länder, sagt Latif. Insofern sei Deutschland international nicht glaubwürdig, wenn es von anderen Ländern mehr Anstrengungen in Sachen Nachhaltigkeit verlange. Latif: "Nehmen wir als Beispiel den CO2-Ausstoß: Unsere jährlichen Pro-Kopf-Emissionen betragen etwa acht Tonnen, in Indien sind es nur zwei."
Dass trotz jahrelanger Klimadiskussion das Umsteuern zu mehr Nachhaltigkeit stockt, wundert den Klimaforscher nicht: "Wir Menschen sind Egoisten. Wir tun nur etwas, wenn wir einen Nutzen davon haben." Deswegen benötige es Anreize. Nachhaltige Produkte müssten erschwinglich sein, seien aber teuer. Latif: "Um es auf den Punkt zu bringen: Umweltzerstörung lohnt sich finanziell, im Kleinen wie im Großen."
Wissenschaftiche Transparenz zum Vertrauensaufbau
Der Forscher sieht es als vordringliche Aufgabe der Politik, Deutschland nachhaltiger zu gestalten. "Wir benötigen systemische Veränderungen." Aktuell schaut der Wissenschaftler jedoch mit Sorge auf anstehende Wahlen und die Umfrageerfolge der AfD, die am menschengemachten Klimawandel zweifelt. "Das ist eine Tragödie", betont Latif. Das Vertrauen in die Wissenschaft schwinde. "Wir scheinen auf dem Weg in 'postfaktische Zeiten' zu sein, in denen wissenschaftliche Erkenntnisse zu einer Meinung unter vielen werden." Die Wissenschaft müsse transparenter werden, mit Menschen sprechen und ihre Arbeit erklären.
Abgesehen von der Politik könne jeder einzelne Mensch zu mehr Nachhaltigkeit beitragen. Wer etwa Ökostrom beziehe, könne seine eigene kleine Energiewende machen. "Oder ein persönliches Tempolimit haben, so wie ich. Ich fahre nur 100 km/h auf der Autobahn", sagt Latif. "Zuallererst müssen wir die Verschwendung stoppen", sagt der Forscher. In Deutschland würden jährlich rund elf Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen, die mit einem großen Ressourceneinsatz erzeugt wurden. Latif: "Das hat mit Wohlstand nichts zu tun und ist nur dumm."