Seit vergangener Woche wird in Deutschland wieder über die gesetzliche Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen diskutiert. Hintergrund: Am 15. April wird eine Kommission der Bundesregierung eine entsprechende Empfehlung abgeben, dass Schwangerschaftsabbrüche in einem frühen Stadium - anders als bisher - nicht mehr als Straftat deklariert werden sollen. Die Unions-Parteien kritisieren die Pläne und wollen die aktuelle Regelung beibehalten.
Sabine Simon, Leiterin der Staatlich anerkannten Beratungsstelle für Schwangerschaftsfragen im Evangelischen Beratungszentrum München, erzählt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd), warum sie eine Änderung befürworten würde und warum die Politik auch über kostenlose Verhütungsmittel nachdenken sollte.
epd: Frau Simon, in Deutschland wird darüber debattiert, ob Schwangerschaftsabbrüche in einem frühen Stadium legal sein sollen. Was meinen Sie?
Sabine Simon: Ich bin dafür, dass Schwangerschaftsabbrüche innerhalb der ersten zwölf oder 14 Wochen legalisiert und nicht mehr als rechtswidrige und nur in Ausnahmefällen straffreie Straftat im Strafgesetzbuch definiert werden. Das wäre meines Erachtens eine richtige, zeitgemäße und angemessene Entscheidung, die nicht dazu führen würde, dass die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche steigt.
Warum sind Sie sich da so sicher?
Simon: Vielen Frauen ist gar nicht bewusst, dass ein Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Woche bislang offiziell als Straftat gilt. Das bekommen sie dann oft erst in den Pflichtberatungsgesprächen mit. Nach meiner Erfahrung hat das aber auch noch keine Frau davon abgehalten, einen Abbruch vornehmen zu lassen.
In den vergangenen Tagen ist eine hitzige Debatte darüber entbrannt. Vor allem die Unions-Parteien wehren sich mit zum Teil harschen Worten gegen eine mögliche Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Warum eigentlich?
Simon: Gegner von Schwangerschaftsabbrüchen geht es ja nach eigenem Bekunden um den Schutz des ungeborenen Lebens - dass also mehr Frauen sich für ihr ungeborenes Baby entscheiden. Und da zeigen Studien seit Jahren recht klar, was die Politik tun müsste, um die Zahl der ungewollten Schwangerschaften zu verringern: Es braucht unter anderem eine gute Aufklärung und einen kostenlosen Zugang zu Verhütungsmitteln, zumindest für Frauen mit geringem Einkommen. Da hat Deutschland einen Nachholbedarf. Verhütungsmittel, insbesondere die für Frauen, sind ja nicht gerade günstig. Und dennoch wird es, trotz der besten Prävention, immer ungeplante und unerwünschte Schwangerschaften geben. Das muss man einfach sehen.
"Abtreibungsgegner gehen seit Jahren immer mehr in die Offensive."
Die bayerische Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) sieht den gesellschaftlichen Frieden in Gefahr, wenn Paragraf 218 abgeschafft würde. Ist es wirklich so schlimm?
Simon: Nein, ich sehe das etwas anders. Meines Erachtens gab es eigentlich noch nie einen wirklichen gesellschaftlichen Konsens oder "Frieden" in der Debatte um den Schwangerschaftsabbruch. Das wird vielleicht auch nie der Fall sein.
Insbesondere Abtreibungsgegner gehen doch seit Jahren immer mehr in die Offensive. Wir müssen doch nur in die USA schauen. Auch hierzulande trauen sich viele Ärzte aus Angst vor radikalen Abtreibungsgegnern nicht, die Eingriffe anzubieten. Unter anderem deshalb haben wir auch eine so mangelhafte medizinische Versorgung für ungewollt schwangere Frauen. Und auf der anderen Seite gibt es seit einigen Jahren auch wieder ein breites Engagement von vielen Menschen, vor allem der jüngeren Generation, für eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Wir dürfen, wie ich finde, dieser Debatte nicht ausweichen.
Deutschland hat die UN-Frauenrechtskonvention vor vielen Jahren ratifiziert und wird regelmäßig gerügt für die Regelung im Strafgesetzbuch. Was genau wird Deutschland vorgeworfen?
Simon: Das sind wohl im Wesentlichen drei Punkte, die neben der Kritik an der strafrechtlichen Regelung immer wieder genannt werden: die Pflichtberatung, die drei Tage Wartezeit nach der Beratung und die fehlende generelle Kostenübernahme von Schwangerschaftsabbrüchen. Das alles entspricht im Übrigen auch nicht den aktuellen Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation zum Schwangerschaftsabbruch.
"Bayern bietet laut ELSA-Studie wenig Einrichtungen an, die Abbrüche anbieten."
Wie steht eigentlich Bayern da?
Simon: Laut ELSA-Studie, die vor wenigen Tagen veröffentlicht wurde, ist Bayern unterversorgt, was Einrichtungen angeht, die Abbrüche anbieten. Deutschlandweit gibt es 85 Landkreise, wo man länger als 40 Minuten mit dem Auto bis zur nächsten Einrichtung, die einen Abbruch vornehmen kann, bräuchte. Zahlreiche davon liegen in Bayern.
Hat sich denn etwas seit dem abgeschafften Werbeverbot vor zwei Jahren getan? Hat sich die Versorgung für die Frauen verbessert? Oder lassen jetzt mehr Frauen eine Abtreibung durchführen?
Simon: Ich kann alles letztlich mit Nein beantworten. Allein das Wort "Werbeverbot" finde ich schon irreführend. Kein Arzt hat meines Wissens je für Abbrüche geworben - im Sinne von drei zum Preis von zwei. Es geht um sachliche Informationen darüber, bei wem oder wo ein Abbruch vorgenommen werden kann und wie er abläuft. Mehr nicht.
Die Zahl der Abbrüche in Deutschland hat sich seit Jahren um die 100.000 pro Jahr eingependelt. In Bayern waren es im Jahr 2022 rund 12.500 Abbrüche. Der deutschlandweite Anstieg der Abbrüche in 2022 und vielleicht auch in 2023 ist sicher nicht auf diese Änderung zurückzuführen, da sind sich alle Experten einig.
Ich habe auch gar nicht wahrgenommen, dass Arztpraxen oder Kliniken seitdem mehr auf ihrer Homepage informieren oder ihre Adresse auf der Seite der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung veröffentlichen. Im Gegenteil: Es ist für betroffene Frauen immer noch mühsam, herauszufinden, wo man eine Schwangerschaft beenden kann. Und die Versorgungslage in Bayern, ist, wie gesagt, in vielen Teilen auch nicht besser geworden.
"Kirche spricht sich für eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bis zur zwölften Woche aus."
Sie arbeiten in einer evangelischen Beratungsstelle. Was sagt denn eigentlich Ihre Kirche zu Schwangerschaftsabbrüchen?
Simon: Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Diakonie Deutschland und die Evangelische Konferenz für Familien- und Lebensberatung (EKFUL) durften für die Kommission jeweils eigene Stellungnahmen verfassen. Die Antworten sind bei allen drei sehr differenziert ausgefallen, wie ich finde. Grundsätzlich sprechen sich alle drei für eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bis zur zwölften Woche aus sowie für eine Beratungsstruktur. Ob es dabei weiterhin eine verpflichtende psychosoziale Beratung geben sollte, dazu gibt es unterschiedliche Schlussfolgerungen und noch keine abschließende Haltung. Ich kann mich mit allen Stellungnahmen sehr gut anfreunden, weil sowohl die Frauen respektvoll mit ihren Rechten in den Blick genommen werden als auch der Schutz des ungeborenen Lebens.
Vor allem die Unions-Parteien und konservative Stimmen warnen vor einem Wegfall der Pflichtberatung. Was sagen Sie dazu?
Simon: Da schlagen tatsächlich zwei Herzen in meiner Brust. Grundsätzlich mal: Frauen sollen natürlich nicht bevormundet oder als Opfer behandelt werden. Die meisten wissen, was sie tun und was sie wollen. In unserer Beratungsstelle konnten wir in den vergangenen Jahren Frauen und Paaren wirklich weiterhelfen - sei es mit letztlich entscheidungsrelevanten, rein sachlichen Informationen oder sonstigen wichtigen Impulsen für ihre weiteren Lebensthemen. Die kommen ja oft bei einer ungeplanten Schwangerschaft hoch.
Und in der Mehrzahl der Fälle berichten die Frauen uns, dass sie sich durch das Gespräch entlastet fühlen. Die meisten sagen uns aber auch, dass sie vermutlich freiwillig nicht gekommen wären - aus Scham, aus Angst vor Belehrungen und Beeinflussung, aus Unwissenheit, was professionelle psychosoziale Beratung eigentlich ist. Die Hemmschwelle, eine Beratung aufzusuchen, ist einfach auch für viele hoch. Von daher: Sollte eine Pflichtberatung wegfallen, dann sollte man sich klarmachen, dass einige Frauen durchs Raster fallen, und überlegen, wie man diese doch erreicht.