Vom Frankfurter Rathaus, dem Römer, sind es nur ein paar Schritte bis zur Buchgasse. Jeffrey Myers bleibt unter dem Straßenschild stehen: "Hier ist die Wiege der Buchmesse." Schon früh seien hier Schriften des Reformators Martin Luther (1483-1546) verkauft und diskutiert worden, erzählt der ehemalige Citykirchen-Pfarrer. Und auch einige mutige Frauen hätten vor rund 500 Jahren die Umbruchzeit der Reformation genutzt, um sich öffentlich zu Wort zu melden. Einige dieser "kühnen Frauen" will Myers zum Weltfrauentag am 8. März vorstellen und bietet dazu einen kleinen "Pilgerrundgang" durch die Altstadt von Frankfurt am Main an.
Myers schlendert zur Straßenecke. Hier befand sich früher der Gasthof "Zum Strauß". Als Martin Luther dort 1521 übernachtete, erhielt er Besuch von Katharina von Holzhausen. Die Patrizierfrau war eine Unterstützerin der neuen Glaubensbewegung, sandte ihm Südfrüchte und seinen Lieblingswein, wie Myers erzählt. Auf seiner kleinen Runde spricht er darüber, welche Aufgaben Frauen damals übernahmen: als Gastgeberinnen und Beraterinnen, zuständig für Kommunikation und Schriftverkehr. "Sie hielten ihren Männern den Rücken frei."
Prägnantes Beispiel ist Katharina von Bora, die Ehefrau Luthers. Sie führte Regie im großen Haushalt in Wittenberg, kümmerte sich um die Bankkonten und den Selbstversorgergarten, braute eigenes Bier. Die frühere Nonne, die aus dem Kloster geflohen war, bewirtete die zahlreichen Gäste und Besucher im Hause Luther und sorgte dafür, dass der berühmte Reformator "sein Arbeitsteam um sich scharen konnte", wie es die Gießener Kirchenhistorikerin Athina Lexutt ausdrückt.
Lexutt bestätigt: Ja, es habe einige Frauen gegeben, die in dieser Umbruchzeit öffentlich hervortraten. Elisabeth Cruciger etwa, die zum Kreis um Luther gehörte, dichtete geistliche Lieder und schaffte es mit einem ihrer Texte bis ins evangelische Gesangbuch, "Herr Christ, der einig Gotts Sohn" (EG 67). Argula von Grumbach, eine fränkische Adelige, veröffentlichte 1523 und 1524 mehrere Flugblätter, in denen sie den neuen Glauben verteidigte. Allerdings warnt Lexutt davor, die emanzipatorische Bedeutung der Frauen der Reformationszeit zu überschätzen. "Es sind Einzelgestalten, die sich trotzdem an bestimmte Rollen gehalten haben." Frauen, sagt die Lutherexpertin, sollten gute tragende Mitglieder der Gesellschaft werden, dieser Gedanke sei in der Reformation angelegt. Sie sollten das machen, was sie nach damaliger Auffassung gut konnten - nämlich den Haushalt.
Zu den bekannteren Frauen jener Zeit gehört auch Wibrandis Rosenblatt. Sie habe "eine neue Lebensform" gestaltet, schreibt die Pastorin und Kommunikationsmanagerin Sonja Domröse in ihrem Buch "Frauen der Reformationszeit": Als Ehefrau eines ehemaligen Priesters war sie "eine der ersten Pfarrfrauen". Wibrandis heiratete nacheinander drei bedeutende Reformatoren, die sie jeweils überlebte. Sie wohnte in Basel, Straßburg und Cambridge, bekam elf Kinder und nahm im großen Pfarrhaushalt auch noch Glaubensflüchtlinge auf. Domröse betont, dass neben dem neu aufgewerteten Rollenmodell der Ehefrau und Mutter die Reformation für die meisten Frauen nicht allzu viel zu bieten gehabt habe. Das Modell einer "selbständigen weiblichen Existenz", zum Beispiel als Handwerkerwitwe, habe nach dieser Umbruchzeit keine Akzeptanz mehr gefunden. Frauen sollten stattdessen möglichst schnell wieder heiraten.
Argula von Grumbachs Mut, reformatorische Flugblätter zu veröffentlichen, wurde nicht belohnt. Ihr Ehemann verlor wegen ihrer Publikationen seine Stellung im Dienst der bayerischen Herzöge; die Familie geriet in finanzielle Schwierigkeiten. Argula stellte schon nach gut einem Jahr ihre publizistische Tätigkeit ein. Auch Katharina von Bora, gibt Athina Lexutt zu bedenken, konnte nach Luthers Tod die Güter in Wittenberg nicht halten. Die Wissenschaftlerin sagt: Einige dieser Frauen der Reformation hätten es zwar ins kulturelle Gedächtnis geschafft. "Aber wer würde von Katharina sprechen, wenn es Luther nicht gäbe?" Den Ton hätten die Männer bestimmt. Damals, im 16. Jahrhundert, habe sich die Tür für die Frauen eben nur ein kleines Stück weit geöffnet.
Der kleine Pilgerrundgang durch Frankfurt endet in der Alten Nikolaikirche. Jeffrey Myers setzt sich auf einen der Stühle und sortiert seine Unterlagen. Die Frauen, die er am 8. März vorstellen will, hätten "Positionen eingenommen, die unpopulär, aber richtig waren", sagt er. Für ihn seien sie Vorbilder.