Dessau-Roßlau ist berühmt als Stadt des Bauhauses, der legendären Architekturschule der klassischen Moderne. Doch auch ein ganz anderes Gebäude prägte einst das Bild der Stadt - wenn auch nur für 30 Jahre. 1908 erhielt die jüdische Gemeinde nach mehreren kleineren Vorgängerbauten endlich ein repräsentatives Gotteshaus.
Nur drei Jahrzehnte später, in der Reichspogromnacht am 9. November 1938, fiel es dem Terror der Nationalsozialisten zum Opfer. Am Sonntag wird diese Wunde wieder geheilt. Im Beisein von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) und dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, wird die neue Synagoge vier Jahre nach der Grundsteinlegung eröffnet. Es ist der erste Synagogen-Neubau in Sachsen-Anhalt seit der Wiedervereinigung und einer der ersten in Ostdeutschland.
Bis dahin war es für die jüdische Gemeinde ein weiter Weg mit einigen Verzögerungen und steigenden Baukosten. Etwa 4,8 Millionen Euro wird der Neubau wohl am Ende kosten, nur 1,7 Millionen Euro waren bei Baubeginn vorgesehen. 90 Plätze wird die Synagoge haben, 60 für Männer und 30 für Frauen.
Der Neubau der Synagoge, die nach dem in Dessau geborenen Komponisten Kurt Weill benannt ist, wurde von anhaltischen Kirchengemeinden mehrerer Konfessionen unterstützt. Die Landeskirche Anhalts hat den Bau der Synagoge seit 2018 jährlich mit einer Gottesdienstkollekte gefördert.
Neubau als Zeichen der Zugehörigkeit
Joachim Liebig, Kirchenpräsident der Evangelischen Landeskirche Anhalts, sagt dazu: "Mit unseren jüdischen Schwestern und Brüdern sind wir glücklich, dass 85 Jahre nach der barbarischen Zerstörung des letzten jüdischen Gotteshauses in Dessau durch das NS-Regime eine neue Synagoge mit Gemeindezentrum entstehen konnte. Der Neubau ist auch ein wichtiges Zeichen: Jüdisches Leben hat einen festen Platz in Deutschland. Zugleich erleben wir gerade erschütternde Angriffe auf jüdische Menschen und Einrichtungen. Antisemitismus droht wieder hoffähig zu werden."
Insgesamt 260 Mitglieder zähle die Dessauer Gemeinde derzeit, sagte Verwaltungsleiter Aron Russ. Die Gemeinde habe zuletzt durch den Zustrom von Ukrainern jüdischen Glaubens einen leichten Aufschwung genommen. Nachdem die Mitgliederzahl in den vergangenen Jahren vorwiegend aus demografischen Gründen leicht gesunken sei, habe man jetzt 16 Personen neu aufnehmen können.
Nach Mauerfall erwachte jüdische Gemeinde erneut
Bisher trafen sich die Gläubigen im benachbarten, denkmalgeschützten Rabbinerhaus, das auch als Kantorhaus bezeichnet wird. Das zusammen mit der alten Synagoge errichtete Gebäude hat ebenfalls eine besondere Geschichte: Hier wuchs der Komponist Kurt Weill (1900-1950) auf, dessen Vater Albert von 1898 bis 1920 als Kantor der damals rund 600 Mitglieder starken Gemeinde tätig war. An diese Tradition will man anknüpfen.
18 Jahre nach Albert Weills Weggang hörte die Gemeinde für viele Jahre auf zu existieren. Die Nazis setzten im Novemberpogrom 1938 die Synagoge in Brand und plünderten sie. Nach dem Zweiten Weltkrieg lag Dessau in Trümmern, und lange lebten fast gar keine Juden mehr in der Stadt, sagt Aron Russ. Das änderte sich grundlegend erst nach dem Fall der Mauer 1989/90.
Anfang der 1990er Jahre zogen viele Kontingentflüchtlinge aus der früheren Sowjetunion nach Deutschland, unter ihnen zahlreiche Juden. Die jüdische Gemeinde erwachte zu neuem Leben, Ende 1994 wurde sie neu gegründet. Seit 1996 ist das ehemalige Kantorenhaus wieder Sitz der Gemeinde. Doch ein repräsentatives Gotteshaus, wie es einst die alte Synagoge in der Steinstraße war, die - nur wenige Meter vom jetzigen Neubau entfernt - mit ihrem Davidstern auf der Kuppel weithin sichtbar war, fehlte der Gemeinde bisher.
2015 ließ die Kurt-Weill-Gesellschaft nach Angaben der Stadt Dessau-Roßlau eine erste Studie für einen Neubau in Auftrag geben. Jetzt, 85 Jahre nach der Zerstörung, steht fast an gleicher Stelle, nur 300 Meter vom Rathaus entfernt, ein moderner, barrierefreier Bau.