Die kontroverse politische Diskussion um eine Regelung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafrechts erreicht auch die Kirchen. Nachdem sich bereits der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dafür ausgesprochen hatte, strafrechtliche Vorschriften zumindest teilweise zu streichen, plädiert auch die Diakonie für eine Entkriminalisierung früher Abtreibungen. Kritik an dieser neuen Haltung kommt vom Ökumenischen Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK).
Die Konstruktion im Strafrecht, dass Schwangerschaftsabbrüche zwar gesetzeswidrig, aber bei Beachtung von Vorschriften straffrei bleiben, entspringe einem gesellschaftlichen Kompromiss, der sich als tragfähig erwiesen habe und der nicht "unbedacht" aufgekündigt werden sollte, heißt es in einer Erklärung der Vorsitzenden des Arbeitskreises, des ehemaligen pfälzischen Kirchenpräsidenten Christian Schad und des katholischen Essener Bischofs Franz-Josef Overbeck, die dem Evangelischen Pressedienst vorliegt.
Sie warnen mit Verweis auf die Debatte in anderen Ländern über Abtreibung sogar von einer "Gefahr einer Vertiefung gesellschaftlicher Gespaltenheit". "Einer solchen Entwicklung sollten Christen nicht unvorsichtig Vorschub leisten", heißt es in der Stellungnahme des ÖAK, die das kürzlich von der EKD veröffentlichte Papier nicht direkt erwähnt, sich aber auf konkrete Punkte daraus bezieht.
In der vergangenen Woche hatte der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine Stellungnahme veröffentlicht, in der er sich für eine Entkriminalisierung früher Abtreibungen ausspricht. Nach Vorschlag des Rates könnten Schwangerschaftsabbrüche in Zukunft erst ab der 22. Schwangerschaftswoche strafrechtlich geregelt werden. Davor könne es eine Fristenregelung geben, die es Frauen etwa bis zur 12. Schwangerschaftswoche ermöglicht, einen Abbruch nach vorheriger Beratung vornehmen zu lassen.
Einer vollständigen Entkriminalisierung von Abtreibungen tritt auch der Rat entgegen.
Die Stellungnahme richtet sich an die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission, die eine rechtliche Neuregelung von Abtreibungen außerhalb des Strafgesetzbuches prüft. Bislang sind Schwangerschaftsabbrüche im Paragraf 218 des Strafgesetzbuches geregelt.
Wann beginnt das Lebensrecht?
Die Vorsitzenden des ÖAK schreiben, dass die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs "ein fein austariertes Konzept" darstelle, das den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz des ungeborenen Lebens ebenso wie die Rechte der Frau sicherstelle. Dabei diene die Verortung im Strafrecht auch dazu, das Lebensrecht des ungeborenen Kindes im Bewusstsein der Menschen, der Gesellschaft und des Staates wachzuhalten.
Schad und Overbeck widersprechen der Überlegung des EKD-Rates, von einer kontinuierlichen Zunahme des Lebensrechts des Ungeborenen und der Schutzpflicht ihm gegenüber im Verlauf der Schwangerschaft auszugehen. Ihrem Papier liegt die Überzeugung zugrunde, dass das menschliche Leben mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt. Sie schreiben daher: "Lebensschutzkonzepte, die dem Menschen, der sich als Mensch und nicht zum Menschen entwickelt, von vorneherein und prinzipiell je nach Entwicklungsstufe und extrauteriner Lebensfähigkeit einen abgestuften Lebensschutz zubilligen, verbieten sich in dieser Perspektive."
Diakonie: Beratung brauch Freiwilligkeit
Derweil veröffentlichte auch die Diakonie ihre Stellungnahme zur Diskussion um den Paragrafen 218, der Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich verbietet, nach einer Beratung und innerhalb einer bestimmten Frist aber straflos stellt. Sie plädiert wie die EKD, die Regeln im Strafrecht für frühe Schwangerschaften zu streichen. "Die derzeitige Situation, den Lebensschutz zu regeln, indem der Abbruch unter Strafe steht, ist unbefriedigend und nicht zeitgemäß", heißt es darin.
Anders als die EKD will die Diakonie auch nicht an einer Beratungspflicht vor einem Abbruch festhalten. Ein Beratungsgespräch, das die Selbstbestimmung der Schwangeren ernst nehme, sich an deren Konflikt orientiere und Perspektiven öffnen könne, habe "einen freiwilligen Charakter zwingend nötig", konstatiert sie in ihrer Stellungnahme. Eine Beratungspflicht "suggeriert ein Bild der beratungsbedürftigen Schwangeren als außer Stande, zu unreif oder unverantwortlich, eine verantwortungsbewusste und reiflich überlegte Entscheidung zu treffen", heißt es darin weiter.