In der Debatte um eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs plädiert die evangelische Kirche für eine teilweise Streichung strafrechtlicher Vorschriften. "Die EKD tritt dafür ein, Regulierungen des Schwangerschaftsabbruchs für bestimmte Konstellationen auch außerhalb des Strafrechts zu formulieren", heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an die von der Bundesregierung eingerichtete Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin.
Dem Rat der EKD gehe es "um den größtmöglichen effektiven Schutz des Lebens nicht gegen die Rechte der Frau, sondern durch deren Stärkung", erklärte die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus. Man wolle einen Impuls für eine sachliche Debatte zu einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs geben.
"Vollständige Entkrimininalisierung nicht vertretbar"
Diese "Fortschreibung" der eigenen Position berücksichtige eine gesellschaftliche Entwicklung, die die Perspektive der schwangeren Frau und ihre reproduktiven Rechte stärker in den Blick nehme. Der Rat der EKD betont aber auch, dass er eine "vollständige Entkriminalisierung" des Schwangerschaftsabbruchs wegen der Verpflichtungen des Staates für den Schutz des Lebens für "nicht vertretbar" halte. Zudem plädiert er weiter für eine verpflichtende Beratung der Schwangeren vor einer Abtreibung.
Evangelische Frauen sind von der EKD überrascht
Dem Dachverband Evangelischer Frauen in Deutschland reicht die Initiative der EKD nicht. Der Verband hatte die Abschaffung des Abtreibungsverbots im Strafrechtsparagrafen 218 gefordert. Die Theologin Susanne Paul, die kürzlich in das Präsidium des Dachverbandes gewählt wurde, sagt: "Wir waren überrascht und auch erfreut, dass die EKD das Selbstbestimmungsrecht der Frau jetzt neu und stark bewertet."
Das EKD-Plädoyer gehe aber nicht weit genug. "Wir wenden uns weiter gegen die Beratungspflicht, die immer auch wie ein Misstrauensvotum gegenüber den Frauen wirkt." Die EKD begründe die Beratungspflicht damit, dass für manche Frauen die Beratung nicht erreichbar sei. "Hier sehen wir aber die Notwendigkeit, die Beratungen diversitätssensibel und barrierefrei auszubauen, aber nicht die Pflicht zur Beratung zu stärken", sagt Paul.
Auch stimmen die Evangelischen Frauen nicht mit dem teilweisen Verbleib im Strafrecht zu, sondern fordern den kompletten Auszug aus dem Strafrecht und verweisen auf das Schwangerschaftskonfliktgesetz, das Sanktionen in bestimmten Fällen ermöglicht.
Das Schwangerschaftskonfliktgesetz könnte um eine Fristenregelung außerhalb des Strafgesetzbuchs ergänzt werden, erklärte die Mitgliederversammlung des Verbandes am Montag in Hannover. Die Beendigung einer ungewollten Schwangerschaft und die Nachsorge müssten Kassenleistungen sein. Dem Dachverband zufolge wurde die Erklärung von der Mitgliederversammlung am 5. Oktober "mit überwältigender Mehrheit" beschlossen.
Der Rat der EKD sieht folgendes vor: Es soll eine "abgestufte Fristenkonzeption" geben, bei der zwischen den verschiedenen Schwangerschaftsstadien unterschieden werden soll. Dem Recht des Ungeborenen auf Leben in der Abwägung mit dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren sei mit fortschreitender Schwangerschaft zunehmendes Gewicht einzuräumen, begründet die EKD ihren Vorschlag.
EKD: Entscheidung in den ersten zwölf Wochen
Über die Fristen selbst sei noch näher zu diskutieren, heißt es in der Stellungnahme, die selbst zwei Zeiträume als Orientierung nennt. Spätestens ab der sogenannten extrauterinen Lebensfähigkeit, die üblicherweise ab der 22. Schwangerschaftswoche angesetzt werde, "sollte ein Schwangerschaftsabbruch strafrechtlich geregelt und nur in klar definierten Ausnahmefällen zulässig sein". Hinsichtlich möglicher anderer oder weiterer Fristen müsse ausgelotet werden, wie viel Zeit der Schwangeren minimal eingeräumt werden sollte, um eine verantwortliche Entscheidung zu treffen. Das könnten die ersten zwölf Wochen nach Empfängnis sein, heißt es in der Stellungnahme.
Das Plädoyer für eine weitere Beratungspflicht begründet der Rat der EKD mit der "irreversiblen Tragweite" eines Schwangerschaftsabbruchs, den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz des ungeborenen Lebens und der Autonomie betroffener Frauen. "Gerade Frauen, deren Selbstbestimmungsrecht durch ökonomische Abhängigkeiten oder ihre Freiheitsansprüche in Frage stellende Strukturen eingeschränkt ist, können von einem bloßen Rechtsanspruch auf psychosoziale Beratung unter Umständen keinen Gebrauch machen", argumentiert die EKD.
In seiner Stellungnahme fordert der Rat der EKD zudem mehr Aufmerksamkeit für die Rahmenbedingungen, die mit dafür verantwortlich seien, dass sich Frauen und Paare für oder gegen ein Kind entscheiden. Das gelte etwa bei der Frage nach ausreichendem Wohnraum, zuverlässiger Kinderbetreuung sowie ökonomischer Sicherheit durch Arbeitsmöglichkeiten und -bedingungen, die es ermöglichen, Familie und Beruf, auch als Alleinerziehende, miteinander zu vereinbaren.
Vor dem Hintergrund der politischen Debatte um eine mögliche Abschaffung des Strafrechtsparagrafen 218, nach dem Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich verboten, in bestimmten Fristen nach einer verpflichtenden Beratung aber straffrei möglich sind, hat auch die evangelische Kirche ihre Haltung dazu auf den Prüfstand gestellt. Bislang war sie für die geltende rechtliche Regelung eingetreten, die von Kritikern vermehrt als Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht von Frauen angesehen wird. Die katholische Deutsche Bischofskonferenz indes ist gegen Veränderungen der Rechtslage.
Die von der Bundesregierung berufene Kommission für reproduktive Selbstbestimmung berät, ob und wie Abtreibungen außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt werden sollen. Im kommenden Frühjahr soll sie Vorschläge vorlegen.