Miriam Hähnel, die ihren Posten am Comenius Institut am 1. September 2023 angetreten hat, wünscht sich, dass Kinder endlich ernst genommen werden. "Sie wollen nicht von oben herab behandelt werden", sagt Hähnel. Dem entgegen steht ihrer Ansicht nach die Einstellung in den Leitungsgremien der Kirche, die finanzielle Mittel immer weiter kürzen. Das gespart werden muss, sei klar. Aber: "Wir verlieren Kinder gerade aus dem Blick", warnt sie.
Auch Friederike Schwetasch (Vorsitzende des Gesamtverbands für Kindergottesdienst in der EKD) kritisiert, dass die evangelische Kirche die Arbeit mit Kindern vernachlässigt. "Da ist leider sehr viel dran", bestätigt Hähnel. Das läge zum einen noch an der Pandemiezeit, in der Kinder gesamtgesellschaftlich vernachlässigt wurden. "Wir wissen mittlerweile alle, dass wir Kinder in dieser Zeit allein gelassen haben." In vielen Gemeinden wurde nicht nur an dem Angebot für Kinder gespart, sondern auch an dem für Erwachsene. "Aber natürlich brauchen Kinder ein ‚Du‘ beim Lernen, sonst wird es schwierig für sie." Viele kirchliche Mitarbeiter haben es dennoch geschafft, aus der Not eine Tugend zu machen, erzählt Hähnel. "So genannte Kindergottesdienste aus der Tüte waren der Renner in der Zeit."
Corona hat die Defizite beschleunigt, glaubt Hähnel. Das Problem sei nicht neu. Sinkende Mitgliederzahlen, weniger Anmeldungen für die Konfirmandenarbeit, Formate von Gottesdiensten, die vor Corona schon schleppend liefen, würden immer schlechter oder gar nicht mehr angenommen. Die Probleme seien vielfältig und in dieser Zeit seien viele Arbeitsbereiche aus dem Blick verloren gegangen, die auch zuvor nicht einen allzu hohen Stellenwert gehabt haben, auch die Kirche mit Kindern.
Das Problem sei, dass bei der pädagogischen Arbeit in den Gemeinden zu sehr gespart werde, finanziell und wertschätzend. "Aber Kinder sind nicht erst die Kirche von morgen. Sie sind bereits die Kirche von heute. Sie wollen auf Augenhöhe wahrgenommen und auch beteiligt werden. Das trauen wir Kindern häufig nicht zu."
Auch würden die Gemeindepädagogen heute vermehrt in anderen pfarramtlichen Bereichen eingesetzt und hätten für die jungen Gemeindemitglieder schlicht keine Zeit mehr. "Wir hören viel von den Mitarbeiter:innen, dass sie wenig Unterstützung erhalten, sei es seitens der Kichenvorstände oder von Pfarrer:innen, die keine zeitlichen Ressourcen dafür haben." Die Pfarrstellen würden nicht mehr wie früher besetzt, und es gehe eher um die Verwaltung eines Mangels, als um neue Perspektiven. Hähnel befürchtet: "Wenn wir jetzt nicht aufpassen, verlieren wir die Kinder und die Familien."
Kirche mit Kindern ist vielfältig und bunt
Dabei sei der Kindergottesdienst heute vielfältig und bunt. Im Vergleich zum Gottesdienst vor zehn Jahren halte man es heute kreativ. Der traditionelle Gottesdienst am Sonntagvormittag: Es gibt ihn noch, aber er wird durch ein unglaublich vielfältiges Angebot bereichert. Eine sehr positive Entwicklung, findet die Referentin. "Heute richtet sich das Angebot für Kinder nach den örtlichen Strukturen." Es gäbe nicht mehr nur ein Konzept, vielmehr werde geschaut, was die Menschen vor Ort eigentlich brauchten. "Ein gemeinsamer Gottesdienst kann kreative Impulse haben, man kann aber auch zusammen essen." Statt einen wöchentlichen Gottesdienst zur selben Zeit anzubieten, wird er vielleicht einmal im Monat für mehrere Stunden oder den ganzen Tag angeboten.
Viele Eltern seien dankbar, wenn sie die Kinder in einem guten Angebot aufgehoben wissen, kämen aber dann gerne zum Abschluss dazu. Der Gottesdienst sei immer öfter nicht am Sonntag. "Dieser Tag ist für die meisten Familien ein kostbares Gut", sagt Hähnel. Die Kinder seine heute verstärkt in Betreuung und stark in einen fordernden Alltag eingebunden. Da wollen Familien den Gottesdienst gemeinsam feiern und nicht getrennt. "Am Schönsten sind die Gottesdienste, wo Kinder ernst genommen und in die Mitte gestellt werden. Wo man mit ihnen gestaltet und nicht über sie hinweg."
Gerade heute seien feste und verlässliche Ansprechpartner für Kinder notwendig. "Aber auch Familien brauchen diese Verlässlichkeit", sagt Hähnel. Immer wieder werde behauptet, dass Familien keinen Bezug mehr zur Kirche haben. "Das können wir aus unserer Arbeit nicht bestätigen", widerspricht sie. Im Gegenteil, immer mehr Kinder und Eltern wollten keine Zaungäste mehr sein. "Sie wollen das Angebot mitgestalten."
Nicht nur auf die Defizite schauen
Für die Lösung des Dilemmas hat Hähnel einen simplen Vorschlag: "Wir sollten viel mehr darauf schauen, was alles möglich ist und nicht immer nur auf die Defizite. Wir sollten auf den Wachstum schauen, den wir in den Gemeinden erleben. Die ehrenamtlich Mitarbeitenden und Hauptamtlichen sind mit Herzblut dabei. Kinder fühlen sich angenommen. Erwachsene merken, das etwas sie anspricht. Die Kirche wird gebraucht." Damit die Arbeit für Kinder qualitativ bleibt, wünscht sie sich von der Kirche mehr Wertschätzung. "Nicht nur für die Mitarbeiter:innen, auch für die, die zu uns kommen. Die merken dann, das sie der Kirche wichtig sind."
Ab Donnerstag, 21. September, gibt es aktuelle Konzepte für Kindergottesdienste für die kommenden drei Jahre als PDF zum kostenfreien Download auf der Seite des Gesamtverbandes für Kindergottesdienste.