Das klassische Erdgrab auf dem Friedhof sei für viele Menschen nicht mehr der angemessene Ort zum Trauern, sagte Achenbach in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst. Viele wollten die Urne sogar am liebsten mit nach Hause nehmen und fänden auch Wege dafür. Deshalb halte er die Bestattungspflicht in Deutschland für überholt, sagte er zum Tag des Friedhofs am 17. September.
Die Zahl der Sargbestattungen und somit der bepflanzten, großen Gräber auf Friedhöfen nimmt ab. Urnen in pflegeleichten Mauernischen, Friedwälder oder Sammelurnengräber werden beliebter. Was sagt dieser Trend darüber aus, wie Menschen heute trauern?
Thomas Achenbach: Trauer ist per se ein sehr individueller Prozess. Aber an bestimmten Punkten gibt es gewisse Ähnlichkeiten. In meinen Begleitungen stelle ich immer wieder fest, dass es eine Sehnsucht gibt, einen Ort zu haben, an dem man dem Toten nahe sein kann. Wir brauchen das Gefühl, da ist der Verstorbene. Das war lange Zeit klassischerweise das Grab. Auch das hat sich individualisiert. Viele Menschen möchten sich diesen Ort sogar zu Hause in der eigenen Wohnung oder dem eigenen Garten einrichten. Das ist der gesellschaftliche Trend, dass Trauerprozesse sich komplett individualisieren.
Ist das also eine positive Entwicklung?
Achenbach: Aus meiner Perspektive könnte sich da sogar noch viel mehr tun. Wir sind in Deutschland, was Friedhöfe und Bestattungspflichten angeht, in ein starres, jahrhundertealtes Konzept eingebunden. Das ist nach meiner Auffassung längst überholt. Das führt sogar dazu, dass manche Bestatter inzwischen die Regeln weit auslegen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Achenbach: Manche Bestatter bieten zum Beispiel an, einen Teil der Asche aus der Urne in ein kleines Gefäß zu füllen. Das kann der Hinterbliebene dann als Halskette tragen. Es ist unklar, ob das angesichts der in Deutschland geltenden Bestattungspflicht legal ist. Der Trauerprozess ist ein so harter Prozess. Wenn wir da etwas schaffen können, was den Menschen guttut, ist das doch schön.
Viele Menschen umgehen die Bestattungspflicht, indem sie die Urne in Länder ohne Bestattungspflicht wie die Schweiz oder die Niederlande überführen. Hinterbliebene können in diesem Fall in Deutschland die Urne mit der Asche beim Bestatter abholen, wenn sie ihm versichern, dass sie diese tatsächlich dorthin bringen. Kontrolliert wird das aber nicht. In Grenzregionen kommt es vor, dass Hinterbliebene den Leichnam in die Schweiz beziehungsweise die Niederlande überführen und dort verbrennen lassen. Ob sie die Asche dann dort in der Natur verstreuen oder die Urne wieder mit nach Deutschland zurücknehmen, wird ebenfalls nicht kontrolliert.
"Manche Bestatter bieten zum Beispiel an, einen Teil der Asche aus der Urne in ein kleines Gefäß zu füllen. Das kann der Hinterbliebene dann als Halskette tragen"
Friedhöfe sind aber doch auch Orte der öffentlichen Trauer. Wenn ich die Urne mit nach Hause nehme, kann außer mir niemand vor ihr trauern.
Achenbach: Da kann es tatsächlich auch familiäre Verwicklungen geben. Und das muss man im Blick haben. Aber es gibt Friedhöfe, die sich diesen Entwicklungen öffnen und besondere Angebote machen. Auf dem Friedhof Ohlsdorf in Hamburg und dem Friedhof Ricklingen in Hannover gibt es eine Abteilung, in der Menschen sich selbst einen Trauerort für einen Angehörigen schaffen können, der dort gar nicht begraben liegt. Sie können dort eine Plakette mit einem Namen darauf anbringen lassen. Wenn es Friedhöfen gelingt, sich solche und andere Nischen zu erarbeiten, dann können sie auch weiterhin gut bestehen. Das wäre das Gegenstück zum klassischen deutschen Friedhof, auf dem Hinterbliebene häufig erst mal mit vielen Verboten etwa bezüglich des Grabschmucks konfrontiert werden.
Feste Regeln oder Rituale, wie die Bestattung auf dem Friedhof, bieten auch eine Art Geländer und können so eine Hilfe sein für Trauerprozesse. Ist da die Individualisierung nicht kontraproduktiv?
Achenbach: Regeln und Rituale haben diese Funktion, das stimmt. Aber die Unsicherheit im Umgang mit Tod und Trauer in unserer Gesellschaft sind ohnehin so groß, dass es schon fast egal ist, wann sie einsetzt. Es traut sich ohnehin keiner, diese Themen zur Sprache zu bringen. Spätestens nach einem halben Jahr bröckelt die Empathie für Trauernde. Dabei geht es für viele dann erst richtig los mit der Trauer.
Zudem sind die tradierten Rituale längst nicht mehr allgemeiner gesellschaftlicher Konsens. Da ist es doch besser, wenn es Trauerbegleiter gibt und gute Bestatter sich auch als Berater und Lotsen im Trauerprozess verstehen. Wenn die Regeln gar nicht mehr dem entsprechen, was gewünscht oder nötig ist, sollten sie überdacht werden. So ist es mittlerweile in Bremen auch möglich, unter bestimmten Bedingungen die Asche im eigenen Garten zu verstreuen, anstatt sie zu bestatten.
Sie haben gerade einen Trauerratgeber geschrieben mit 77 Ritualen und Impulsen für Trauernde. Was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste?
Achenbach: Es gibt kein Richtig und kein Falsch beim Trauern. Das A und O ist, dass alles, was die Menschen in diesem Zusammenhang beschäftigt, auch Raum bekommen kann, eben weil es sie so nachhaltig und langfristig beschäftigt. Da ist es dann Gold wert, wenn ich einen schönen Friedhof oder einen anderen schönen Ort habe, an dem ich für mich mein Refugium geschaffen habe, wo Trauer und Tod mal sein dürfen. Denn in der Gesellschaft werden sie immer noch zu oft ausgesperrt.