Eines Tages saß Marti Schruer mit einigen Freundinnen zusammen, in heiterer Runde tauschte sich die Tischrunde über Traumberufe aus. Alle staunten, als Schruer von ihrem Traum erzählte: Bestatterin wolle sie werden, erklärte sie ihren Zuhörerinnen.
Diese Richtung hat sie später tatsächlich eingeschlagen, und dies auf eine Weise, die ebenso atemberaubend wie altertümlich ist: Die frühere Lehrerin aus Überlingen am Ried (Kreis Konstanz) organisiert die häusliche Aufbahrung von Toten. Vor 20 Jahren gründete die heute 65-Jährige ihr eigenes Unternehmen "Letzte Reise" in Singen, das die Aufbahrung in der eigenen Wohnung fördert, erklärt und begleitet.
So wie die meisten Menschen in ihrer vertrauten Umgebung sterben wollten, könnten sie dort auch aufgebahrt werden, sagt Schruer. Doch was einst normal war, ist längst ausgelagert. Heute melden sich die meisten Familien nach dem Tod gleich beim Bestatter, dessen erste Aufgabe es ist, den Leichnam schnell zu holen. In großen Kühlhäusern oder Zellen in Aufbahrungshallen findet ein buchstäblich kühler Abschied statt. Schruer hält diese Entwicklung für verhängnisvoll. "Damit vergeben wir eine große Chance", sagt die gebürtige Niederländerin. "Wir versäumen die Chance auf einen würdigen Abschied, dem wir viel Zeit geben." In einer Leichenhalle sei diese Würde nicht gegeben.
Sie sieht in der Hausaufbahrung eine "Schatzkiste" und meint das wörtlich. Denn das Loslassen gelinge auf diese Weise deutlich besser als an einem fremden, gemieteten Ort. Hausaufbahrungen sind auch gesetzlich erlaubt - die Höchstdauer regeln Landesgesetze. In Baden-Württemberg darf ein Leichnam 36 Stunden im Haus bleiben, auf Antrag sogar bis zu 72 Stunden. Die Verwesung, die viele fürchten, setzt nach 24 bis 48 Stunden ein.
Marti Schruer, die früher auch im Hospiz in Singen tätig war, hilft Angehörigen bei diesem fremd gewordenen Ritual. Sie vermittelt zwischen Bestattern, die sofort in Aktion treten, und der Familie. Hinter dem sofortigen Ruf nach dem Bestatter steckt viel Unsicherheit, etwas falsch zu machen. Sobald die Profis informiert sind, läuft das große Rad an, in dem die Angehörigen mehr mitlaufen als mitleben. Die "Letzte Reise"-Gründerin will diese Zeit anders nutzen. Die Aufbahrung in den eigenen vier Wänden bildet einen wertvollen Zwischenraum zwischen Tod und Einsargen.
Ein Anruf mit der Bitte um Beistand hat sie auch schon nachts ereilt. Schruer sieht sich nicht als Konkurrentin zu Bestatterinnen und Bestattern, da es ihr nur um die würdige Begleitung in den ersten Stunden nach dem Tod eines Menschen geht. Dennoch gehen die einschlägigen Firmen zu ihr eher auf Distanz. Ein toter Mensch, so scheint die stille Übereinkunft zu lauten, gehört nach dem Ableben schnell aus dem Haus geschafft. Da ist die Maschinerie des Bestatters hilfreich - teuer, ablenkend, effizient.
Für die Begleitung stellt sie 400 Euro in Rechnung, für die Beratung 40 Euro. Am Markt etabliert ist sie nicht, auch wenn viele Menschen grundsätzlich Interesse an der Hausaufbahrung bekunden. Zu fremd, zu unheimlich erscheint vielen die leblose Hülle eines Menschen, den sie ganz anders kannten.