Wolfgang Schäuble hat mehr als ein halbes Jahrhundert die deutsche Politik maßgeblich mitgestaltet. 1972 wurde der gebürtige Freiburger im Wahlkreis Offenburg erstmals in den Bundestag gewählt und hatte das dortige Direktmandat bis zu seinem Tod inne. Er war damit der dienstälteste Abgeordnete der deutschen Parlamentsgeschichte seit 1871.
Der Protestant würdigte die Kirchen immer wieder für ihre Arbeit. Er bedauerte, dass immer weniger Menschen den Kirchen angehören und betonte, dass ihm der Glaube in der Politik helfe. "Ich finde man muss Christ sein, um sich überhaupt diesen Fragen stellen zu können. Denn wenn man glauben würde, wir müssen die Probleme alleine lösen - ich würde verzweifeln", sagte der ehemalige Finanzminister inmitten der Flüchtlingskrise auf dem Evangelischen Kirchentag 2015 in Stuttgart.
Einen Ausschnitt aus dem Interview mit Jörg Bollmann können Sie hier ansehen:
Politiker und Kirchenvertreter würdigen Schäuble
Mit Wolfgang Schäuble verliere das Land "einen außergewöhnlichen Politiker", sagte die badische Landesbischöfin Heike Springhart dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Mit ihm verlieren wir einen Menschen, der sein Leben und seine Kraft der demokratischen Kultur in unserem Land geschenkt hat, auch unter schwierigen Bedingungen. Er war ein bodenständiger Schwarzwälder und ein weitsichtiger Europäer." Die badische Landeskirche trauere "um einen engagierten evangelischen Christen, einen Kämpfer für Versöhnung". Die Landesbischöfin wird in der ersten Januarwoche die Trauerfeier für Schäuble gestalten.
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, hat den verstorbenen CDU-Politiker Wolfgang Schäuble als "Ausnahmepolitiker" gewürdigt. "Mit seiner Persönlichkeit hat er Deutschland geprägt, mit unermüdlichem Einsatz, politischer Hingabe, visionärem Blick und mutigen Entscheidungen", sagte der Limburger Bischof am Mittwoch auf Anfrage des Evangelischen Pressedienstes (epd).
Fünf Jahrzehnte von acht Lebensjahrzehnten habe Wolfgang Schäuble dem Bundestag angehört, erinnerte Bätzing: "Dabei hat er immer wohlwollend und konstruktiv-kritisch den Weg der katholischen Kirche in Deutschland begleitet. Dafür bin ich ihm zutiefst dankbar."
Der Einsatz Schäubles zum Wohle Deutschlands und Europas könne nicht hoch genug geschätzt und gewürdigt werden. "Ob deutsch-deutscher Einigungsvertrag, Euro-Stärkung, Rettungsschirme oder eine Konsolidierung der bundesweiten Finanzen - in allen Themen war er zu Hause und zeigte eine Präsenz im öffentlichen Raum, die ihresgleichen sucht." Er verneige sich in Dankbarkeit und Respekt vor dieser "Persönlichkeit, dem Politiker, Christ und Mensch Wolfgang Schäuble", fügte Bätzing hinzu.
Verlust des engsten Freundes und Ratgebers
CDU-Parteichef Friedrich Merz hat in einer Nachricht an die Unionsfraktion im Bundestag seine Trauer über den Tod Wolfgang Schäubles ausgedrückt. "Unser Land verliert mit Wolfgang Schäuble eine über Jahrzehnte prägende Persönlichkeit der deutschen und europäischen Politik", schrieb Merz, der auch Fraktionsvorsitzender ist, am Mittwoch an die Abgeordneten von CDU und CSU. "Ich persönlich verliere meinen engsten Freund und Ratgeber, den ich in der Politik je hatte", heißt es weiter in der Nachricht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt.
Mit Schäuble verliere man "einen herausragenden Parlamentarier, der seinen Wahlkreis Offenburg mehr als 51 Jahre im Deutschen Bundestag vertreten hat", schreibt Merz. Als Bundesinnen- und Bundesfinanzminister habe Schäuble über viele Jahre hohe Staatsämter ausgeübt, als Bundestagspräsident das Parlament umsichtig und anspruchsvoll nach innen und nach außen repräsentiert, würdigte Merz die Verdienste des CDU-Politikers.
Deutschland verliere einen scharfen Denker
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erklärte, Deutschland verliere "einen prägenden Christdemokraten, der gerne stritt und dabei doch nie aus dem Blick verlor, worum es geht in der Politik: das Leben der Bürgerinnen und Bürger besser zu machen". So lange wie kein anderer sei Schäuble Mitglied des Bundestags gewesen. Im Kurznachrichtendienst X würdigte Scholz den Verstorbenen als "scharfen Denker, leidenschaftlichen Politiker und streitbaren Demokraten".
Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) sagte, das Land verliere "einen leidenschaftlichen Verteidiger unserer parlamentarischen Demokratie". Sein politisches Erbe, die parlamentarische Demokratie nie für selbstverständlich zu halten, bleibe Auftrag für alle politisch Verantwortlichen. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) schrieb bei X: "Kaum ein Politiker hat die jüngste deutsche Geschichte und unsere demokratische Kultur so geprägt wie Wolfgang Schäuble."
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bezeichnete Schäuble als "großen Staatsmann". Er habe das demokratische Nachkriegsdeutschland wie wenige andere verkörpert und habe bis zuletzt in Verantwortung für das Land gewirkt. Der Linken-Politiker Dietmar Bartsch nannte Schäuble einen "herausragenden Demokraten".
"Überragende Persönlichkeit"
Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) hat den verstorbenen CDU-Politiker Wolfgang Schäuble als überragende Persönlichkeit und Vorbild gewürdigt. "Ich trauere um einen Politiker, der unser Land in vielfältiger Weise geprägt hat", schrieb Merkel in einer am Mittwoch verbreiteten Erklärung. Schäuble habe zu den "Architekten der Deutschen Einheit" gehört, sei Vordenker der deutsch-französischen Freundschaft und leidenschaftlicher Europäer gewesen. "Als junge Ministerin war Wolfgang Schäuble mir politischer Lehrmeister", ergänzte Merkel, die ebenso wie Schäuble in den 90er Jahren dem Kabinett von Helmut Kohl (CDU) angehörte.
Als Innenminister und Finanzminister sei Schäuble wiederum "Anker" ihrer eigenen Kabinette gewesen, erklärte Merkel. "Gespräche mit ihm waren für mich immer eine intellektuelle Bereicherung", ergänzte die frühere Bundeskanzlerin. Sie habe seine Disziplin bewundert, "auch sich selbst gegenüber, die er trotz und mit seiner Querschnittlähmung nach einem Attentat aufbrachte". "Er wurde damit Millionen Menschen ein Vorbild", erklärte Merkel.
Auch aus den Religionsgemeinschaften kamen anerkennende Worte über die Leistungen Schäubles. Der Zentralrat der Juden erklärte auf der Plattform X, Schäuble habe sein Leben in den Dienst des Landes gestellt und sei ein enger Freund der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland gewesen.
Der gebürtige Freiburger Schäuble war 1972 im Wahlkreis Offenburg erstmals in den Bundestag gewählt worden. Der promovierte Jurist, der neben Rechts- auch Wirtschaftswissenschaften studiert hatte, übernahm 1984 als Bundesminister für besondere Aufgaben erstmals ein Regierungsamt.
In den 90er Jahren war er als Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag eine wichtige Stütze für Kanzler Helmut Kohl, doch nach der Wahlniederlage der Unionsparteien 1998 kam es zum Bruch. Im Zug der CDU-Spendenaffäre gab Schäuble nach nicht einmal anderthalb Jahren im Februar 2000 den Parteivorsitz auf und zog sich auch von der Spitze der Fraktion zurück.
Während der Kanzlerschaft Merkels war Schäuble nochmals Innen-, später Finanzminister. In der zurückliegenden Wahlperiode von 2017 bis 2021 war er Bundestagspräsident. Seit einem Attentat 1990 war der evangelische Christ Schäuble gelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen.