Anonyme Frau fasst schwangeren Bauch einer anderen anonymen Frau an
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Sollte Leihmutterschaft in Deutschland erlaubt werden?
Kolumne evangelisch kontrovers
Leihmutterschaft: Sollte Deutschland Rechtslage ändern?
Durch eine Leihmutter könnten Paare, die an der Kinderlosigkeit leiden, ein Kind bekommen. Doch in Deutschland ist das verboten, wie in den meisten europäischen Ländern auch. Sollte das geändert werden? Dazu ein Beitrag unseres Ethik-Experten Alexander Maßmann.

Die Leihmutterschaft wird wieder diskutiert. Mit einer Leihmutterschaft ist gemeint, dass eine Frau ein Baby für andere austrägt, die ihrerseits mit einem unerfüllten Kinderwunsch ringen. In Deutschland ist die Leihmutterschaft zwar verboten, wie in der Mehrzahl der europäischen Länder. In Großbritannien dagegen ist die nichtkommerzielle Leihmutterschaft erlaubt, und im Frühjahr wurde ein Gesetzesvorschlag zur Liberalisierung der Praxis vorgestellt. Italien dagegen hat gerade das Verbot der Leihmutterschaft verschärft. Mit einer Leihmutterschaft könnten etwa auch schwule Paare ein Kind bekommen.

In den einschlägigen Lehrbüchern der theologischen Ethik kommt das Thema zwar praktisch nicht vor, doch kürzlich war ihm etwa eine Folge des Podcasts "Anders Amen"  gewidmet. Außerdem ist diesen August ein Buch zum Thema erschienen: "My Body, Their Baby" , von der amerikanischen Theologin Grace Y. Kao ("Eine progressiv-christliche Sicht der Leihmutterschaft"). Sie berichtet darin, wie sie selbst als Leihmutter ein Baby für Freunde ausgetragen hat. Vor allem aber begründet sie aus theologisch-ethischer Perspektive, weshalb sie die nichtkommerzielle Leihmutterschaft befürwortet. Dabei verdient die Leihmutter nicht finanziell, erhält aber eine Aufwandsentschädigung. Für Kao ist eine nichtkommerzielle Leihmutterschaft unter bestimmten Bedingungen eine außerordentliche Möglichkeit, die Liebe Gottes an Freunde weiterzugeben.

Sollte die nichtkommerzielle Leihmutterschaft vielleicht in Deutschland legalisiert werden? Kao setzt die liberalen Verhältnisse in Kalifornien voraus, wo die Leihmutterschaft auf kommerzieller und nichtkommerzieller Basis rechtens ist. Im Vereinigten Königreich, den Niederlanden, Dänemark und Portugal, aber auch in Australien und Kanada ist dagegen die nichtkommerzielle Leihmutterschaft legal, während die kommerzielle Variante untersagt ist. Einer Legalisierung der nichtkommerziellen Leihmutterschaft stehe ich jedoch skeptisch gegenüber.

Wie funktioniert das?

Bei einem Paar bleibt der Kinderwunsch unerfüllt. In einem Labor kann dann eine Eizelle mit einer Samenzelle befruchtet werden, die beide von diesem Paar stammen. Diese befruchtete Eizelle wird dann auf eine andere Frau, die Leihmutter, übertragen, mit dem Ziel ihrer Schwangerschaft. Sie trägt das Baby dann aus und übergibt es schließlich dem Paar, von dem die Geschlechtszellen stammen. Genetisch ist die Leihmutter also nicht mit dem Baby verwandt. Das Paar nennt man die sozialen oder intendierten Eltern. Eine andere Variante besteht darin, dass die Schwangerschaft der Leihmutter mit dem Samen des Mannes (der auch der soziale Vater ist) herbeigeführt wird und mit der Eizelle der Leihmutter.

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Soll Deutschland die nichtkommerzielle Leihmutterschaft legalisieren?

Auswahlmöglichkeiten

Kommerzielle Leihmutterschaft: international

Bekannt ist die Leihmutterschaft in der Ukraine. Laut einem Bericht  greifen besonders Kunden aus Italien, Rumänien, Deutschland und Großbritannien auf ukrainische Agenturen zurück, denen sie etwa 40.000 Euro zahlen. Ukrainische Frauen tragen dann die Babys der Kunden aus, die sie nach neun Monaten in Empfang nehmen. Die Leihmütter erhalten dafür einen Teil der Gebühr, möglicherweise über die Hälfte. Lange reisten Menschen aus dem Westen auch nach Indien, um ihr Kind dort austragen zu lassen, doch das hat Indien vor vier Jahren verboten.

Die internationale, kommerzielle Leihmutterschaft wird meines Erachtens zurecht kritisiert. Eine Schwangerschaft bringt reale medizinische Belastungen und Gefahren mit sich, und natürlich ist sie eine sehr persönliche Angelegenheit. Doch Frauen instrumentalisieren aus materieller Not ihren Leib auf eine sehr persönliche, seelisch bedeutsame Weise. 

Zwar geben Ukrainerinnen auch an, sie wollten den Kunden eine Freude bereiten. Doch Leihmutter und Kind werden kaum Gelegenheit haben, einander kennenzulernen. Das ist nicht nur ein Defizit für das Kind, dessen Biografie damit deutlich fragmentarisch bleibt. Auch kann sich die Leihmutter nicht an der Gemeinschaft mit einer Familie erfreuen, zu deren Zustandekommen sie unter großen Kosten beigetragen hat. Es entsteht der Eindruck, die Kunden profitieren einseitig von der Notlage der Frauen. Sonst wäre ja anzunehmen, dass sich auch manche Ukrainerinnen für die nichtkommerzielle Leihmutterschaft (mit Aufwandsentschädigung) entscheiden.

Nichtkommerzielle Leihmutterschaft

Die Rechtslage in Deutschland ist traditionell, und vermutlich gilt das in der Breite auch für das moralische Empfinden. Deshalb ist Kaos Ansicht in Deutschland provokant: Die nichtkommerzielle Leihmutterschaft ist eine Möglichkeit, einem befreundeten Paar die Liebe Gottes zu erweisen, wenn dieses Paar mit der Kinderlosigkeit hadert. Doch Kaos Position hat einiges für sich. Beruhend auf einer ernsthaften, auch spirituellen Selbsteinschätzung gehen Frauen eigenständig auch im Bereich der Fruchtbarkeit mit ihre leiblichen Identität um, selbst wenn sie sich gegen gesellschaftliche Konventionen richten.

Kao stützt sich auf ihre eigenen Erfahrungen, wenn sie mehrere Kriterien angibt, denen eine moralische, nichtkommerzielle Leihmutterschaft folgen sollte. Vor allem sollten Leihmutter und intendierte Eltern eine Vertrauensbeziehung aufbauen, in der sie vor Beginn der Leihmutterschaft alle Eventualitäten besprechen. Was für Aufwandsentschädigungen soll es geben? Was passiert, wenn das Kind zum Beispiel mit Behinderung auf die Welt kommt? Anschließend sollte für beiden Seiten Rechtssicherheit geschaffen werden. Das soll für die Leihmutter aber auch die Möglichkeit beinhalten, aus dem Vertrag auszusteigen, wenn sie ihre leibliche Integrität gefährdet sieht.

Ziel des Prozesses ist eine persönliche Beziehung, die den Tag der Entbindung weit überdauert. Das Kind soll eine langfristige, persönliche Beziehung zur Leihmutter aufbauen können, und die Leihmutter soll auch von den sozialen Eltern fast die Wertschätzung eines Familienmitglieds erfahren. Insgesamt kommt es darauf an, ob die Leihmutter ihre geistliche Berufung darin erkennt, diesem Paar zu einem Kind zu verhelfen. So könne die nichtkommerzielle Leihmutterschaft eine Bereicherung sowohl für die Leihmutter als auch für die sozialen Eltern sein.

Die Erfahrung der Leihmütter

Kao stützt sich auf empirische Untersuchungen, die bei der weit überwiegenden Zahl von Leihmüttern positive Ergebnisse festhalten. Psychologische Beeinträchtigungen sind bei Kindern, die von einer Leihmutter ausgetragen wurden, praktisch nicht nachweisbar. Außerdem haben vielfache Befragungen von Leihmüttern ergeben, dass nur sehr wenige zweifeln, ob sie tatsächlich das Kind an die intendierten Eltern überreichen sollen. Eine klare, große Mehrheit der Leihmütter, ob kommerziell oder nicht, erlebt das Arrangement als emotionale Bereicherung.

An einer typischen Studie dieser Art möchte ich allerdings ein Fragezeichen anbringen. Oft befragen Studien nicht allzu viele Leihmütter, und deshalb ist eine bestimmte Analyse vieler verschiedener solcher Studien aus den USA – die Metastudie Ciccarelli und Beckman 2005  – von Bedeutung.

Die Autorinnen räumen ein, dass die Mütter in den Interviews vermutlich teilweise dem Druck der Konvention nachgegeben und so geantwortet haben, wie es kulturellen Normen entspricht, nämlich positiv. Dennoch bleibt bemerkenswert, dass sich mit großer Regelmäßigkeit in zahlreichen Studien der Eindruck festigt: Amerikanische Leihmütter blicken gerne auf ihre Schwangerschaft und die Übergabe des Babys zurück.

Hinzu kommt aber noch ein methodologisches Problem. Leihmutterschaften sind offiziell nur unvollständig dokumentiert; die amerikanischen Statistiken bestehen aus freiwilligen Angaben. Außerdem beruhen die empirischen Studien auf den freiwilligen Interviews der Leihmütter. Insgesamt wären hier mehr Informationen notwendig: Wie viele Leihmutterschaften haben wirklich stattgefunden? Wie viele Leihmütter wurden zu Interviews eingeladen? Und vor allem: Wie viele Interview-Einladungen haben tatsächlich zu einem Interview geführt? Die Autorinnen erwägen nicht, dass sich Leihmütter mit negativen Erfahrungen möglicherweise keinem Interview unterziehen wollen. Wir können also nicht einschätzen, ob oder wie diese Studien von den Erfahrungen der Leihmütter abweichen.

Nichtkommerzielle Leihmutterschaft im Vereinigten Königreich

Kao rät nachdrücklich, dass Frauen sich nicht vorschnell für die Leihmutterschaft entscheiden sollen. Sie sollten sich intensiv und kritisch vorbereiten, gemeinsam mit den intendierten Eltern. Das dürfte wesentlich zu positiven Resultaten beitragen. Sollte man vielleicht vor diesem Hintergrund die nichtkommerzielle Leihmutterschaft in Deutschland legalisieren? Für diese Diskussion bieten Erfahrungen aus dem Vereinigten Königreich wertvolle Hinweise, die ein öffentliches Ethik-Komitee kürzlich in einem Bericht zusammengefasst hat. 

In Großbritannien stellte eine Studie fest, dass von 108 Leihmüttern die Hälfte zum wiederholten Male ein fremdes Kind austrugen. Das lässt aufhorchen, bedenkt man, dass Schwangerschaft und Entbindung echte Strapazen bedeuten können. Anders als Kao es für wünschenswert hält, waren laut dieser britischen Studie außerdem nur in 10 von 108 Fällen die sozialen Eltern Freunde oder Verwandte der Leihmutter. 

Weiter steht zu bedenken, dass es sozialen Eltern möglich wäre, von Anfang an klar erhöhte "Aufwandsentschädigungen" in Aussicht zu stellen, um das Einverständnis der Leihmutter überhaupt erst zu gewinnen. Damit würden sie aber aus dem nichtkommerziellen Bereich, den der Gesetzgeber erlaubt, heimlich in den kommerziellen Bereich wechseln. Meines Erachtens fragt sich, ob diejenigen Frauen, die zum wiederholten Male die Leihmutterschaft wählen, das tun.

Selbst wenn das nicht so ist, wäre zu erwägen, ob die praktischen und moralischen Überlegungen vor der Leihmutterschaft mit der nötigen Sorgfalt durchgeführt wurden. Hier lautet natürlich eine Rückfrage: Sollte ich als Mann im patriarchalen Gestus Frauen vorwerfen, sie würden nicht sorgfältig in ihrem besten Interesse entscheiden? Das wäre zu debattieren. Zu bedenken ist aber auch, dass in den USA kommerzielle Agenturen anscheinend Leihmütter sorgfältig auswählen und ihnen mit praktischer Hilfe und psychologischer Beratung zur Seite stehen. Das heben Ciccarelli und Beckman in ihrer Studie besonders hervor. In Großbritannien dagegen gibt es nur nichtkommerzielle, ehrenamtliche Leihmutterschafts-Organisationen. 

Also: Überlegen nichtkommerzielle Leihmütter in GB mit der nötigen Sorgfalt, was etwa zu tun ist, wenn das Kind mit einer Behinderung zur Welt kommt? Haben sie ausreichend Unterstützung, sollten sie etwa um ihrer Gesundheit willen zu der Meinung gelangen, dass eine Abtreibung angezeigt ist? Was tun, wenn die Leihmutter postnatale Depressionen bekommt, wie es etwa bei 10 % aller Mütter nach der Entbindung geschieht?

Außerdem wird berichtet, dass bei der Hälfte der britischen Leihmutterschafts-Arrangements die Leihmutter aus einem anderen Land stammt, besonders aus den USA und der Ukraine. Dass dort wiederum kommerzielle Praktiken eine bedeutende Rolle beim Zustandekommen der Leihmutterschaft eine Rolle spielen, ist stark zu vermuten – doch in GB wird dieses Arrangement als nichtkommerziell dargestellt.

Ausblick

Kaos Erfahrungsbericht und ihre Überlegungen zur nichtkommerziellen Leihmutterschaft sind auch aus ethischer Sicht sehr eindrücklich. Sie setzen jedoch mit den Verhältnissen in Kalifornien einen anderen rechtlichen und gesellschaftlichen Kontext voraus als in Europa und besonders in Deutschland.

Sollte es in Deutschland zu Reformen kommen, ist eine Legalisierung der kommerziellen Leihmutterschaft unwahrscheinlich. Denkbar wäre vielleicht die nichtkommerzielle Leihmutterschaft, die vereinzelt auch in anderen europäischen Ländern legal ist. Hier könnten Frauen fragen: Kann man Frauen die Möglichkeit der Leihmutterschaft rechtlich vorenthalten, wenn sie sie sich wünschen?

Ich stimme Kao darin zu, dass die nichtkommerzielle Leihmutterschaft moralisch nicht einfach verwerflich ist, sondern unter bestimmten Bedingungen wertvoll sein kann. Es fragt sich aber im deutschen Kontext, ob eine Legalisierung der nichtkommerziellen Leihmutterschaft bei einer bedeutenden Anzahl von Frauen zu Problemen führen kann. Die Beispiele aus dem Vereinigten Königreich legen die Vermutung nahe, dass zumindest in Einzelfällen die nichtkommerzielle Leihmutterschaft dort heimlich zur illegalen Praxis der kommerziellen Variante wird. Sprechen die Leihmütter britischer Kinder in Interviews über ihre Schwangerschaft, herrscht zumindest ein gesellschaftlicher Druck, die Leihmutterschaft auf einer nichtkommerziellen Basis als emotional bereichernd darzustellen. Dieser moralische Druck ist größer als in den USA. Denn in GB ist eine kommerzielle Rechtfertigung der Leihmutterschaft, die man zumindest als partielle Erklärung der Praxis erwägen sollte, keine realistische Möglichkeit.

Diese Lage kann unter Umständen problematische Folgen für die Frauen haben. Wenn kommerzielle Abmachungen illegal sind, kann keine professionelle Agentur mit Rat und Tat zum Gelingen der Leihmutterschaft beitragen. Komplikationen bei der Schwangerschaft können wiederum zu einem Zerwürfnis mit den intendierten Eltern führen, und die Leihmutterschaft wäre nicht mehr die positive Erfahrung, als die die oft geschildert wird. Außerdem ist das Problem zu bedenken, dass unter dem Vorwand eines nichtkommerziellen Arrangements Leihmütter aus dem Ausland hergebracht werden.