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Sonntag, 4. Juni, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Hochamt für Toni"
Anrufe aus der Vergangenheit bedeuten selten etwas Gutes; zumindest nicht im Krimi. Trotzdem schwant Kommissar Voss (Fabian Hinrichs) erst mal nichts Böses, als Marcus Borchert, ein alter Freund aus gemeinsamen Berliner Studienzeiten und mittlerweile Pfarrer in der Oberpfalz, ihn zum Gottesdienst einlädt.

"Es geht um Toni", begrüßt der Priester den Polizisten, Details werde er im Verlauf seiner Predigt verkünden, doch dazu kommt es nicht mehr: Als der Gottesmann auf sich warten lässt, schaut der Küster, wo er bleibt, und findet ihn erstochen in der Sakristei. Der Laptop, den Borchert samt Beamer einsetzen wollte, ist verschwunden, ebenso einige wertvolle Kreuze, weshalb der zuständige Kollege keinen Zweifel hat, dass es sich um Raubmord handle; in der Nähe gibt es eine JVA für Jugendliche, die dort im offenen Vollzug leben.

Tatsächlich stellt sich später raus, dass ein Junge in die Sache verwickelt ist, aber der Fall ist natürlich viel komplizierter: Antonia Hentschel, einst Voss’ große Liebe, hat sich im Winter des vergangenen Jahres umgebracht. Möglicherweise wollte Borchert, der früher mit den beiden eine menage à trois gebildet hat, der einflussreichen Familie Hentschel offenbaren, dass Tonis Tod doch nicht so eindeutig war, wie ihn die Polizei damals dargestellt hat; aber sein Geheimnis hat er mit ins Grab genommen.

Die Geschichte ist ohnehin faszinierend, aber durch die persönliche Betroffenheit des Nürnberger Kommissars, der im fremden Dezernatsgebiet keine Befugnisse hat, wird sie natürlich doppelt interessant. Voss, von Hinrichs diesmal sehr verletzlich und mit Trauerflor verkörpert, nistet sich in der Hoffnung, doch noch irgendwelche Hinweise zu finden, im Pfarrhaus ein. Aber der Mörder ist ihm zuvorgekommen: Die Wohnung ist gründlich durchsucht worden.

Auf die Mithilfe von Tonis Familie kann er ohnehin nicht zählen: Der Vater (André Jung) führt die Sippe im Stil eines Patriarchen der alten Schule und verleugnet seine verstorbene Tochter, die Brüder (Johannes Allmayer, Sebastian Zimmler) lassen Voss auflaufen, und das Interesse der Mutter (Marita Breuer) scheint sich darauf zu beschränken, den Schein zu wahren.

Einzig Eva (Sina Martens), die jüngste des Geschwisterquartetts, hat ein Interesse daran, Licht ins Dunkel zu bringen. Dass sie der verstorbenen Toni aus Voss’ Erinnerungen wie eine Zwillingsschwester gleicht, sorgt beim Kommissar verständlicherweise für gewisse Irritationen. Während die beiden die Reste der Hütte aufsuchen, in der sich Toni angeblich eingeschlossen und verbrannt hat, werden sie beschossen.

Kollegin Ringelhahn (Dagmar Manzel) erfährt von einer Anwältin, dass Hentschel sein Unternehmen den Söhnen vermachen und die erstgeborene Toni ausbooten wollte; eine entsprechende Klage der Tochter wäre wohl erfolgreich gewesen. Das Nürnberger Kripo-Duo geht daher von Mord aus, und da sich die Hütte in Franken befindet, kann ihnen der oberpfälzische Kollege nicht mehr dazwischenfunken.

Bernd Lange, Autor unter anderem der vor der letztjährigen WM ausgestrahlten herausragend guten Fußballserie "Das Netz – Spiel am Abgrund", hielt es zunächst für gewagt, "einen Kriminalfall weniger aus der Überlegung nach einem Verbrechen, sondern aus einer Lebensbetrachtung heraus zu entwickeln", aber genau daraus resultiert der Reiz dieses Films, der sich mehr und mehr zur Familientragödie entwickelt: Voss, in gewisser Weise die tragische Figur der Geschichte, hat sich damals nicht getraut, der Freundin seine Liebe zu gestehen, und so ist "Hochamt für Toni" auch ein Drama über die möglichen und die tatsächlichen Wege des Lebens.

Regisseur Michael Krummenacher hat zuletzt unter anderem "Preis der Freiheit" (2019, ZDF) gedreht, einen aufwändigen Dreiteiler über den Untergang der DDR. Sein "Tatort"-Debüt ist nicht minder sehenswert: Bildgestaltung (Jakob Wiessner) und Musik (Ina Meredi Arakelian) sind von der gleichen Qualität wie das Drehbuch, die Rückblenden in die gemeinsame Berliner Zeit des Trios sind geschickt integriert, die Arbeit des Regisseurs mit dem Ensemble ist ohnehin ausgezeichnet; fast noch berührender als die Freundschaftsszenen zwischen Voss und Ringelhahn sind jene Momente, in denen auf er ihre Fragen nur mit hilflosen Blicken reagieren kann, weil er selbst die Antworten nicht weiß.

Der dritte Akt ist dank diverser Überraschungen und einem Telefonat mit dem Jenseits der krönende Höhepunkt dieses ausgezeichneten "Tatorts", der zudem die letzte Arbeit von Stephanie Heckner war. Die hochgeschätzte Leiterin der BR-Redaktion Reihen und Mehrteiler ist im Frühjahr verstorben.