Fernseher vor gelbem Hintergrund
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14. November, ARD, 20.15 Uhr:
TV-Tipp: "Seeland: Dämonen"
Manchmal, heißt es gegen Ende dieses zweiten "Seeland"-Krimis, "muss man ein Leben zurücklassen, um zu überleben." In solchen Fällen sperrt die menschliche Psyche die zur Hölle gewordenen Erinnerungen einfach weg.

Der Mann, der mit klaffender Kopfwunde in einem Konstanzer Hotel aufwacht, empfindet seine Amnesie allerdings keineswegs als Akt der Gnade, denn seine Vergangenheit ist komplett gelöscht. Zur gleichen Zeit wird auf dem Grund des Bodensees ein gesunkenes Motorboot entdeckt, gesteuert von einer Leiche. Dass die beiden Ereignisse zusammengehören, versteht sich von selbst, aber die Geschichte, die Stefanie Veith und Michael Comtesse nun entwickeln, ist von einer zunehmend faszinierenden Komplexität: Je mehr Puzzlestücke das Quartett von der Kripo Konstanz zusammenträgt, desto rätselhafter wird der Fall. 

Der 2022 ausgestrahlte erste "Seeland"-Film wirkte zunächst wie eine aufgeblasene Vorabendepisode, mauserte sich aber dann doch noch zu einem sehenswerten Krimi. Ungewöhnlich war vor allem die Hauptfigur: Mit Hauptkommissarin Elena Barin (Hayal Kaya) ermittelte zum ersten Mal eine Person mit Transidentität. "Dämonen" hingegen – Regie führte erneut Holger Haase – ist rundum gelungen, was neben dem Drehbuch in erster Linie an der bemerkenswerten Kameraarbeit von Lena Katharina Krause liegt. Das gilt zwar auch für die wunderschön anzuschauenden Zwischenschnitte auf die tiefstehende Sonne über den Wellen, aber solche Kalenderbilder sind bei Bodenseeproduktionen im Preis inbegriffen. Ungleich eindrucksvoller ist der gelungene Versuch, dem Film eine besondere Anmutung zu geben, und das nicht nur wegen des leichten Grünschleiers, der über vielen der dank einer leichten Grobkörnigkeit rau wirkenden Bilder liegt. 

Die kunstvolle Kameraarbeit dient jedoch keinem Selbstzweck, sondern stets der Geschichte, und die wird immer verzwickter, zumal die Lösung des Rätsels weit in der Vergangenheit liegt. Immerhin stellt sich recht bald heraus, um wen es sich bei dem toten Steuermann handelt. Auf diese Weise führt die Spur schließlich in ein seit langer Zeit leerstehendes ehemaliges Kinderheim, in dessen Keller das Team auf eine alte Funkanlage und Pläne für ein unterirdisches Gefängnis stößt.  

Jetzt wandelt sich der Krimi zum Thriller: Irgendwo im Wald ist ein Mann in einer Kiste vergraben. Ein Ventilator versorgt ihn mit Atemluft, doch irgendwann ist der Akku leer; die Zeit läuft unbarmherzig ab. Mehr noch als die allein durch die Strahlen der Taschenlampen illuminierten Kellerszenen sorgen die Aufnahmen aus der Kiste für eine beklemmende Atmosphäre: Einzige Lichtquelle sind die nacheinander verlöschenden Leuchtdioden des Akkus. 

Einen weiteren Countdown-Effekt erreicht Haase durch die Smartwatch-Ziffern auf Barins Partner Achim Schatz (Julian Bayer), dessen Zündschnur immer kürzer wird. Das ist zwar verständlich, aber ansonsten wirkt der Kollege im Vergleich zu seiner gelassenen Chefin etwas übertrieben wie eine tickende Zeitbombe. Davon abgesehen sind die Darbietungen ausnahmslos schlüssig.

Tilman Strauß verkörpert die Verzweiflung des Mannes ohne Gedächtnis, der sich im Hotel als "Moritz Muhl" angemeldet hat, ebenso glaubwürdig wie Lasse Myhr die Todesangst des Gefangenen. Neben der gestalterischen und schauspielerischen Qualität sorgt gerade die Konzeption der Geschichte für Nervenkitzel: Regelmäßig eingestreute Erinnerungsfetzen an ein gemeinsames traumatisches Kindheitserlebnis lassen keinen Zweifel daran, dass sich die beiden Männer kennen. Während die Gegenwartsbilder oftmals düster sind, haben Haase und Krause ausgerechnet diesen Vorfall in ein idyllisches Sommerlicht getaucht. Vom Rest des Films heben sich die Rückblenden zudem durch eine Änderung des Bildformats ab. 

Ein weiteres Indiz für die Bedeutung des ästhetischen Konzepts ist die Farbe Rot, die sich prägnant durch die Erzählung zieht: die digitalen Ziffern auf der Uhr von Schatz, die Leuchtdioden in der Kiste, das Dialogfinale in einer ganz in Rot gehaltenen ehemaligen Kantine. Die Verwirrung des Hotelgasts verdeutlichen Krause und Haase unter anderem durch ein Kippen der Kamera in der Längsachse, aber eindrucksvoller ist neben den Unterwasseraufnahmen eine Einstellung, in der die Kamera vom Verlies durchs Wurzelwerk an die Oberfläche und dann in die Höhe steigt. Noch verblüffender ist ein technisches Kabinettstückchen, mit dessen Hilfe es gelungen ist, sowohl den Bildvordergrund mit dem vermeintlichen Moritz Muhl wie auch Kommissar Schatz im Hintergrund gestochen scharf zu zeigen.