Fernseher/TV-Tipp
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Samstag, 3. Juni, ZDFneo, 19.45 Uhr
TV-Tipp: "Browser Ballett"
"Browser Ballett" ist eine Satire auf Talkshows und will dahin gehen, wo es weh tut. Doch scheint die einstmals erfrischende Respektlosigkeit der online-Anfänge inzwischen dem fernsehgerechten Mainstream gewichen zu sein.

Juryarbeit kann mitunter zäh sein, weil auch die vermeintlichen Perlen eines Fernsehjahres die Erwartungen nicht immer erfüllen. Als sich die Grimme-Preis-Jury 2019 mit "Bohemian Browser Ballett" befasste, war die Freude indes einmütig und groß: Die für das das junge Online-Angebot "funk" von ARD und ZDF entstandenen satirischen Schnipsel zeichneten sich durch eine erfrischende Respektlosigkeit aus. Ein besonderes Merkmal der von Schlecky Silberstein (alias Christian Brandes),  Christina Schlag und Raphael Selter konzipierten Beiträge war ihre Fähigkeit, komplexe Sachverhalte in erstaunlich kurzer Zeit auf den Punkt zu bringen. 

Im vergangenen Herbst ist die Satire-Marke vom SWR zum ZDF gewechselt, wo sie beim Tochtersender Neo nun erstmals auch im klassischen Fernsehen zu sehen ist. Mittlerweile heißt das Format nur noch "Browser Ballett", aber offenbar ist mehr auf der Strecke geblieben als der böhmische Titelanteil.

Von der Kürze, in der einst die Würze lag, kann bei den geplanten sechs Ausgaben à 30 Minuten, die sich jeweils auf ein Thema konzentrieren, ohnehin keine Rede mehr sein. Kurze Sketche, sagt Silberstein, "werden dem wachsenden Facettenreichtum des Spätkapitalismus nicht immer gerecht. Manchmal braucht es für die erfolgreiche Gegenwartsbewältigung einen ganzen Film. So können wir mit unserer Satire auch mehr in die Tiefe gehen und verschiedene Perspektiven abbilden."

Was in der Theorie plausibel klingt, könnte sich für die Fans des Formats als Geduldsprobe erweisen. Die Premierenausgabe ist eine Talkshow-Parodie (ab 31. Mai in der ZDF-Mediathek), deren einziges Alleinstellungsmerkmal allerdings der Tabubruch ist: Russland rächt sich für die deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine mit dem Abwurf einer Atombombe. Berlin ist aufgrund einer technischen Panne zwar verfehlt worden, aber dafür liegt nun Herne im Herzen des Ruhrgebiets in Schutt und Asche; schätzungsweise 50.000 Menschen sind gestorben. Das ist nicht lustig und schürt die Ängste vieler Deutscher, die in der Tat eine derartige Eskalation des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine befürchten.

Andererseits soll Satire ja dahin gehen, wo’s weh tut, und mit dem Entsetzen seine Scherze treiben. Der humoristische Ansatz gilt jedoch vor allem dem Rahmen: Selbst im Angesicht des Todes sind die vier Studiogäste nicht in der Lage, ein konstruktives Gespräch zu führen; auch der Moderator bleibt seiner Rolle bis zum bitteren Ende, als Russland erneut Berlin ins Visier nimmt und ein Countdown die Minuten bis zur Apokalypse zählt, treu. 

Die typischen Talkshow-Elemente sind allerdings so gut parodiert, dass sie den Vorbildern zum Verwechseln ähnlich sind. Das war zwar auch schon bei Olli Dittrichs Persiflage "Das TalkGespräch" (2014) der Fall, aber der Komödiant hat damals sämtliche Teilnehmer gespielt: Dank einer speziellen Kameratechnik war es möglich, dass die von ihm verkörperten Gäste auch bei Fahrten oder Schwenks gleichzeitig agieren konnten. Solche kostspieligen Kabinettstückchen hat das Brennpunkt-Gespräch vom "Browser Ballett" nicht zu bieten.

Stattdessen nimmt Autor Raphael Selter die vier Prototypen aufs Korn: Der TV-Philosoph will das Publikum dazu bringen, Krisen als Chance zu betrachten, er hat darüber auch ein Buch geschrieben, das der mit ihm befreundete Moderator mehrfach anpreist. Die Klimaaktivistin ist der Meinung, die Menschheit habe ganz andere Probleme, die Altfeministin sagt, die jungen Frauen von heute steckten "knietief in den Rollenbildern der Fünfzigerjahre". Komplettiert wird die Runde durch einen Seriendarsteller ("GZSZ"-Urgestein Wolfgang Bahro), dem die Mitwirkung in einem Weltkriegsfilm nicht gut bekommen ist, wie seine Parolen verdeutlichen ("Jeder Schuss ein Russ’"). Weil sich die junge Aktivistin an ihrem Stuhl festklebt, darf sie am Schluss nicht mit den anderen im Keller Schutz suchen. Zwischendurch informiert eine Außenreporterin mit blutenden Augen über die Lage in Herne.

Fabian Hinrichs interpretiert den Moderator als besserwisserische und gönnerhafte Mischung aus Markus Lanz und Frank Plasberg, und auch die Gäste sind in ihren Klischees recht gut getroffen. Einen erneuten Grimme-Preis wird es zumindest für diese Ausgabe höchstwahrscheinlich trotzdem nicht geben; "Browser Ballett" wäre nicht das erste Format, dem der Wechsel in den Mainstream nicht gut bekommt. Als nächstes geht es am 24. Juni in einer fiktiven Dokumentation um die Geschichte der sogenannten Reichsbürger. Die weiteren Folgen werden in großen Abständen über den Sommer und Herbst verteilt.