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14. April, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Praxis mit Meerblick: Rügener Sturköpfe"
"Immer bereit" lautete der treffende Arbeitstitel dieses sechzehnten Films aus der Reihe "Praxis mit Meerblick" mit Tanja Wedhorn: Das Drama zeigt eindringlich, wohin es führt, wenn Menschen aus helfenden Berufen ihre "Work-Life-Balance" aus den Augen verlieren, weil sie rund um die Uhr für andere da sind.

Unter diesem fehlenden Ausgleich leiden sämtliche Heldinnen und Helden des Alltags freitags im "Ersten", ganz gleich, ob ihr Engagement dem Kopf ("Käthe und ich") oder dem Körper ("Die Eifelpraxis") gilt: Sie ruhen nicht eher, bis ein Problem gelöst ist. Bislang hat in den entsprechenden Geschichten meist nur das Privatleben gelitten, aber natürlich hat es auch körperliche Konsequenzen, wenn ein Beruf zur Berufung wird; und davon handelt "Rügener Sturköpfe".

Die Geschichte beginnt mit einem Ausflug: Nora Kaminski (Wedhorn) macht mit ihrer neuen Liebe Max (Bernhard Piesk) eine Bootstour, als der Kapitän (Jochen Nickel) plötzlich zusammenbricht. Der erfahrene Seebär erklärt den Vorfall zur Bagatelle, hat aber kurz drauf einen epileptischen Anfall plus Atemstillstand. Eine Kernspintomografie bestätigt Noras Verdacht: Henk Busch hat einen Hirntumor und muss so bald wie möglich operiert werden.

Im wirklichen Leben wäre der Fall mit der Einlieferung des Mannes ins Krankenhaus für die Ärztin erledigt, aber weil sie solche Patienten stets auch als Schutzbefohlene betrachtet, gerät sie mitten hinein in einen Geschwisterzwist: Buschs Schwester Julia (Tessa Mittelstaedt), eine Berufssoldatin, will ihren Bruder verklagen, weil er ihr den Pflichtanteil am Erbe der kürzlich verstorbenen Mutter vorenthält. Nun droht sich Drama zur Tragödie zu entwickeln: Busch verlässt die Klinik, um das Elternhaus gegen die vermeintlich gierige Schwester zu verteidigen.

Geschickt verknüpft Marcus Hertnecks Drehbuch die zentrale Episodenhandlung mit der familiären Ebene, denn Julia Busch bittet Noras Sohn Kai (Lukas Zumbrock), Henk zu verklagen. Angesichts des schwerkranken Kapitäns überkommen den jungen Anwalt nicht nur Skrupel, sondern auch grundsätzliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit seines Tuns. Ausgerechnet jetzt macht ihm sein früherer Professor ein Angebot, das seinen beruflichen Vorstellungen viel eher entspricht: Er soll in Berlin für eine erkrankte Dozentin einspringen und anschließend promovieren. Aber da ist ja noch Anna, die kleine Tochter seiner Freundin Mandy (Morgane Ferru), Noras Praxishilfe; die beiden bewältigen schon jetzt nur mit Mühe die typischen organisatorischen Herausforderungen, mit denen berufstätige Paare zu kämpfen haben.

Bis hierhin ist das alles nicht ungewöhnlich für "Praxis mit Meerblick", wären da nicht Noras Aussetzer: Tagsüber nickt sie immer wieder ein, selbst im Rettungswagen, doch dafür kann sie nachts nicht schlafen. Auch das kennen viele Menschen: Man fällt todmüde ins Bett, macht aber kein Auge zu, weil einem tausend Sachen durch den Kopf gehen. Eine gründliche Untersuchung bleibt ohne Befund, körperlich ist Nora völlig gesund; erst ein Gespräch mit ihrem Praxiskollegen Stresow (Benjamin Grüter), der auch Psychotherapeut ist, führt zu einer beunruhigenden Diagnose, die die Ärztin zunächst nicht wahrhaben will. 

Die Inszenierung führte Jan R?ži?ka, seit vielen Jahren Stammkraft der Freitagsfilme im "Ersten"; "Rügener Sturköpfe" ist bereits seine zehnte Regiearbeit bei "Praxis mit Meerblick", er hat auch den ersten Film der 2017 gestarteten Reihe gedreht. Hertneck arbeitet ebenfalls regelmäßig für die ARD-Tochter Degeto, die diesen Sendeplatz verantwortet, es ist sein sechstes Drehbuch für die Reihe. Für seine im Kern durchaus auch mal schweren Themen findet er meist eine leichte Verpackung, doch diesmal hat er komplett auf die typischen kleinen Heiterkeiten am Rande verzichtet. Selbst die Nebenebene mit Michael Kind als bekennender Verehrer von Freizeitkleidung aus Ballonseide, der gern von der "guten alten Zeit" schwärmt und damit die DDR meint, bietet nicht die gewohnten Anlässe für harmloses Amüsement am Rande. Trotzdem ist der Tonfall des Films nicht dramatisch, obwohl es außerdem noch um die bipolare Störung von Noras Schwester geht: Aufgrund der verordneten Psychopharmaka erlebt Franziska (Tina Amon Amonsen) die Welt, als sei sie von ihr durch eine Glasscheibe getrennt; sie will jedoch unbedingt zurück ins Leben. Dass der Film trotz all’ dieser unterschiedlichen Aspekte nicht überfrachtet wirkt, ist ein Kunststück für sich, und zum Glück für Nora gibt es mit dem offenbar grenzenlos geduldigen Max einen Fels in der Handlungsbrandung.