Getty Images/iStockphoto/vicnt
24. November, ARD, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Tatort: Siebte Etage"
"Siebte Etage" beginnt mit einer Aufzugfahrt. Anschließend wandert die Kamera durch die Räumlichkeiten und führt die Beteiligten ein. Der Film endet, wie er begann: Wieder fährt die Kamera in den siebten Stock, doch nun repräsentiert sie den Blick eines Freiers und somit jedes vierten Zuschauers,

Kaja wollte zwar, dass ihr Bruder rausgeworfen wird, aber so hatte sie sich das nicht vorgestellt: Malik Zeman liegt tot auf dem Bürgersteig. Theoretisch könnte er auch beim Fensterputzen aus dem siebten Stock gefallen sein, aber es gibt Hinweise, dass jemand nachgeholfen hat. Um rauszufinden, wer den jungen Mann auf dem Gewissen hat, müssen sich Max Ballauf und Freddy Schenk (Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär) in ein Milieu begeben, mit dem sie sonst eher selten zu tun haben. Für den Großteil des Publikums gilt das erst recht: Malik war Hausmeister in einem Bordell. Das Haus ist ein offizieller Puff mit festen Regeln. Die Frauen, die hier ihre Körper verkaufen, sind alle selbstständig, Zuhälter haben keinen Zutritt. Das Geschäft ist lukrativ, vor allem für die Betreiber: Die Zimmermiete beträgt 160 Euro pro Tag.

Dramaturgisch orientiert sich das Drehbuch der Grimme-Preisträger Eva und Volker A. Zahn zunächst am klassischen Krimikonzept. Bei den Befragungen zeigt sich alsbald, dass gleich mehrere Frauen nicht gut auf Malik zu sprechen waren, allen voran die frühere Prostituierte Chiara (Sabrina Setlur), die sich um die Nägel der Sexarbeiterinnen kümmert: Malik hat bei einer windigen Investition ihre Altersversorgung verzockt. Kurz drauf wird allerdings auch Chiaras Leiche gefunden. Sie ist mit einem Stein erschlagen worden; die Wucht der Schläge lässt auf erhebliche Wut schließen. 

Die Story ist interessant, das Ambiente ohnehin, wobei Regisseur Hüseyin Tabak sorgsam darauf geachtet hat, dass die Kamera (Lukas Gnaiger) behutsam vorgeht. Die Sexarbeiterinnen nehmen zwar werbende Posen ein, sobald ein Kunde den Flur betritt, aber der Film vermeidet jede Form von Fleischbeschau: Die Frauen werden weder vorgeführt noch ausgestellt. Dazu passt auch das Verhalten der Kommissare, die sich geradezu vorbildlich unvoreingenommen verhalten. 

"Siebte Etage" beginnt mit einer Aufzugfahrt. Anschließend wandert die Kamera durch die Räumlichkeiten und führt die Beteiligten ein. Der Film endet, wie er begann: Wieder fährt die Kamera in den siebten Stock, doch nun repräsentiert sie den Blick eines Freiers und somit jedes vierten Zuschauers: 25 Prozent der Männer, tut Norbert Jütte (Roland Riebeling) zwischendurch kund, haben schon mal für Sex bezahlt. Der Kriminaloberkommissar weiß Bescheid, schließlich war er früher in Wuppertal bei der Sitte.

Damals hat er sich in eine Prostituierte verliebt, seither kennt er auch eine der Sexarbeiterinnen. Dass er den Kollegen beides verschweigt, bringt ihm prompt Ärger ein, denn Cosima gehört zu den Verdächtigen. Aus alter Verbundenheit bittet sie ihn, für sie zu bürgen: Sie will ihre Kinder zu sich nehmen und sucht eine Wohnung, will der Vermieterin aber nicht verraten, wie sie ihren Lebensunterhalt verdient. 

An dieser Stelle, etwa in der Mitte des Films, unterbricht Tabak den Handlungsfluss und lässt Senita Huskić aus ihrer Rolle fallen. Sie schaut direkt in die Kamera und spricht zum Publikum: "Warum kann ich nicht sein wie jeder andere Mensch auch? Ich arbeite hart, ich zahle Steuern, ich halte mich an alle Gesetze. Aber wenn ich eine Wohnung will, dann muss ich lügen." Sie belüge außerdem ihren Körper und ihre Seele: "Es ist nicht meine Vagina, die schmerzt. Es ist meine Seele." Der Vortrag passt überhaupt nicht zu Cosima und wirkt entsprechend aufgesetzt. Später dürfen ihre Kolleginnen ebenfalls ihre Geschichte erzählen.

Besonders berührend ist das Schicksal von Jasmin (Antonia Bill): Seit der Vater weiß, dass sie sich prostituiert, hat er den Kontakt abgebrochen; sie darf nicht mal zur Beerdigung ihrer Mutter. "Das Leben ist kein Film", stellt sie am Schluss desillusioniert fest, als ein Privatbesuch bei einem Kunden als kleiner Ausflug in "Pretty Woman"-Gefilde äußerst schmerzhaft endet. "Es gibt Schlimmeres als den Tod", sagt eine der Frauen zu Beginn. Trotzdem war es dem Ehepaar Zahn ausdrücklich wichtig, "nicht in die Klischeefalle zu tappen und den Prostituierten eine stereotype Opferrolle zuzuschreiben." Auch Tabak sagt, der "Tatort" soll den Frauen "Gesicht und Stimme" geben.

In diesem Sinn ist nicht zuletzt eine provokante Schnittfolge zu verstehen, die erst einige Männer beim Orgasmus und dann den toten Malik auf dem Obduktionstisch zeigt. Der Film sein Anliegen mit den Monologen jedoch allzu aufdringlich vor sich her; das tut gerade einem Krimi selten gut. Interessant ist allerdings ein eher hintergründiger Aspekt: Die Bordellszenen sind in einem echten "Eros-Center" entstanden, der Betrieb lief während der Dreharbeiten weiter.