Geld wird in Kreuzschlitz gesteckt
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In dieser Ausgabe von evangelisch kontrovers widmet sich Autor Dr. Alexander Ma´ßmann der Frage: Inwiefern sollten die Kirchen finanziell unabhängig vom Staat sein?
Kolumne: evangelisch kontrovers
Sollten Staat und Kirche schärfer getrennt werden?
In Deutschland wird verstärkt über das Verhältnis von Politik und Kirchen debattiert. Wie ist die staatliche Unterstützung der Kirchen zu bewerten? Unser Ethik-Experte Alexander Maßmann gibt eine Einschätzung ab.

Für dieses Jahr hat die Bundesregierung ein Gesetz angekündigt, mit dem die sogenannten Staatsleistungen an die Kirchen abgegolten werden. Das hatte schon die Weimarer Verfassung 1919 so festgelegt. Der Staat zahlt jährlich hunderte Millionen Euro an die Kirchen. Dabei handelt es sich nicht um die Kirchensteuer, die ja nur Mitglieder zahlen, sondern um Entschädigungen für historische Enteignungen kirchlicher Fürstentümer und kirchlichen Besitzes.

Weil zugleich die Mitgliedszahlen der Kirchen deutlich sinken, ist das mit einer grundsätzlichen Diskussion des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche in Deutschland verbunden. Oft heißt es, "die Trennung" zwischen Staat und Kirche müsse konsequenter durchgeführt werden. Was ist an dieser Meinung dran?

Keine Staatskirche

Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 hat unser heutiges Grundgesetz wesentlich mitbestimmt, wie sich auch bei den Staatsleistungen an die Kirchen zeigt. Die Weimarer Verfassung legte erstmals fest, dass keine Staatskirche bestehe. Zuvor waren die regionalen Obrigkeiten – z.B. der Kaiser, der zugleich König von Preußen war – die obersten Bischöfe in ihren jeweiligen Gebieten. Die Möglichkeit, aus der Kirche auszutreten, wurde erst nach und nach geregelt, auf regional uneinheitliche und oft sehr restriktive Weise. Ein Kirchenaustritt war eigentlich nicht vorgesehen. Gemessen an diesen traditionellen, staatskirchlichen Verhältnissen kann man den Wandel der Weimarer Republik als eine Trennung von Kirche und Staat bezeichnen.

Das Grundgesetz spricht nicht von einer "Trennung"

Demgegenüber ist nicht klar, was gemeint sein sollte, wenn man heute eine Trennung von Kirche und Staat verlangt. Tatsächlich verwenden weder die Weimarer Verfassung noch das Grundgesetz der Bundesrepublik den Begriff der Trennung. Es ist noch nicht einmal ausdrücklich die Rede von einer weltanschaulichen Neutralität des Staates. Diese Formulierung ist zwar sinnvoll. Doch wenn humanistische Gruppen davon sprechen, die gegenwärtigen Beziehungen zwischen Staat und Kirchen widersprächen "der" Trennung von Staat und Kirche, die die Verfassung angeblich vorsehe, missverstehen sie das Grundgesetz.

Vorsicht Schwurbelgefahr

Wenn wir üblicherweise von einer "Trennung" von Kirche und Staat reden, ist daran zumindest so viel richtig, dass klare Missbräuche ausgeschlossen werden: Der Staat verpflichtet Bürger:innen oder Amtsträger:innen nicht auf irgendeine religiöse Einstellung und übernimmt nicht die Aufgaben der Kirchenleitung.

Dennoch ist der Begriff der "Trennung" von Kirche und Staat nicht hilfreich, weil er auf den ersten Blick so wirkt, als wäre damit eine strikte Minimierung der Zusammenarbeit gemeint. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass man den Begriff der Trennung ganz unterschiedlich verstehen kann. Liegt eine Trennung bereits vor, wenn besonders enge Verflechtungen gelöst sind, oder erst dann, wenn es gar keine Interaktion mehr gibt? Viele Ehepartner, die sich mit der Ehescheidung für eine "Trennung" entschließen, kooperieren zum Beispiel weiterhin aktiv in der Erziehung und Versorgung der Kinder.

Auch dann, wenn keine Staatskirche besteht, sind Formen der Kooperation von Kirche und Staat in zahlreichen Schattierungen denkbar. Hier ist der Begriff der Trennung problematisch, da er unklar ist. Man kann sich trennen und trotzdem in bestimmten Bereichen kooperieren, wie es gegenwärtig geschieht. Deshalb ist auch die Ansicht nicht sinnvoll, dass "die" Trennung von Kirche und Staat in Deutschland "hinke". Wer den Begriff einer Trennung zwischen Staat und Kirche in heutigen Debatten betont, begibt sich in Schwurbelgefahr. Anstatt so allgemein über das Verhältnis von Kirche und Staat im Ganzen zu sprechen, muss man jenseits der schwammigen Schlagworte auf spezifische Fragestellungen reinzoomen.

Religion als Privatangelegenheit?

Oft zu hören ist auch, der Staat solle Religion strikt als Privatangelegenheit behandeln. Teilweise tut er das zum Glück: Niemand darf zu bestimmten religiösen Einstellungen gedrängt werden. Doch auch darüber hinaus darf laut Grundgesetz niemand aus religiösen Gründen benachteiligt werden. Doch die Kirchen erhalten Sendezeit im öffentlichen Rundfunk, während andere Religionen und Gruppen dort fast leer ausgehen. Auch werden Schulkinder zunächst zum Religionsunterricht an den Schulen eingeteilt; für eine nicht-religiöse Alternative (Ethik oder ähnliches) müssen die Eltern sie erst gesondert anmelden. Es kann meiner Meinung nach sinnvoll sein, einzelne Vorrechte der Kirchen kritisch zu prüfen. Doch sollte man diese Vorrechte prinzipiell und rundweg kritisieren?

Dass die Kirchen in der Öffentlichkeit besondere Anerkennung erfahren, ist meines Erachtens sinnvoll, auch wenn man die Ausgestaltung im Einzelnen kritisch prüfen kann. Die Kirchen leisten etwas Wesentliches für die Gesellschaft, vergleichbare Gruppen in dem Sinne aber nicht oder weniger. So war neulich zu lesen, wie ein kleiner Ort in Bayern und einer in Mecklenburg-Vorpommern zahlreiche Flüchtlinge aufnehmen sollten. Beide Male waren die Bürger:innen sehr besorgt. In Bach in Bayern hat die Unterbringung von 150 Geflüchteten schließlich funktioniert, während die Bürger:innen in Upahl im Nordosten auf die Barrikaden gingen. Zwar sind die beiden Orte wirtschaftlich und demographisch nicht ganz vergleichbar. Doch über den bayerischen Ort hieß es außerdem: "Der zivilgesellschaftliche Ru?ckhalt geht im Wesentlichen von der Kirche und von hilfsbereiten Frauen aus." 

Kirchlichkeit und Rechtsextremismus

In Ostdeutschland dagegen ist der kirchliche Beitrag zum sozialen Gewebe vor Ort deutlich schwächer. Insgesamt bringen sich dort weniger Menschen in Kirchen und Verbänden ein. Deshalb finden rechtsradikale Kreise dort teilweise ein Vakuum in der Zivilgesellschaft vor und können sich leichter entfalten. Das bahnt sich womöglich auch in Upahl an. Selbstverständlich neigen Nicht-Christen nicht als solche zum Rechtsextremismus, doch die gegenläufige Entwicklung von Kirchlichkeit und Rechtsextremismus ist für Ostdeutschland empirisch belegt.

Umfrage

Sollten die verschiedenen Formen staatlicher Unterstützung für die Kirchen drastisch reduziert werden?

Auswahlmöglichkeiten

Menschen betrachten ihre Religion nicht als Privatsache, sondern packen aufgrund ihrer religiösen Identität Aufgaben an und tragen zu einem gelingenden gesellschaftlichen Leben bei. So dient das Engagement der Kirchen auch der Humanität und der Rechtsstaatlichkeit vor Ort. Deshalb ist es auch sinnvoll, dass der Staat seinerseits Religion nicht in aller Konsequenz als Privatsache behandelt, sondern diejenigen Gruppen fördert, die konstruktiv zur Zivilgesellschaft beitragen. Das liegt im legitimen Eigeninteresse des humanitären Rechtsstaates.

Körperschaften öffentlichen Rechts

Wer Religion nur als Privatsache betrachtet, greift dagegen zu kurz. Eine humanitäre, rechtsstaatliche Gesellschaft ist auf bürgerschaftliches Engagement angewiesen, das viele Menschen aber nicht leisten. Diejenigen Gruppen, die zum bürgerschaftlichen Engagement ermutigen, im Sinne von Humanität und Rechtsstaatlichkeit, können als Körperschaften öffentlichen Rechts anerkannt werden und gewisse Gegenleistungen erhalten. Der Status der Kirchen als solcher Körperschaften gehört in Deutschland zum öffentlichen Leben. Demgegenüber ist die Forderung, Religion strikt als Privatsache zu betrachten, nicht nur unhistorisch, sondern auch politisch und juristisch unterbelichtet.

Auch andere Gruppen können profitieren

Neben den großen Kirchen sind z.B. auch der kirchenkritische Humanistische Verband Deutschlands und andere Gruppen Körperschaften öffentlichen Rechts. Wenn es um den Beitrag der Verbände zur Zivilgesellschaft geht, sollten wir aus kirchlicher Sicht nicht die theologischen Differenzen hervorheben – so bedeutend sie auch sind –, sondern die Gemeinsamkeiten im zivilgesellschaftlichen Engagement. Sobald andere Gruppen ähnlich breite Teile der Bevölkerung repräsentieren und praktisch dem Gemeinwohl verpflichtet sind, sollten sie gesellschaftliche Anerkennung erhalten, ähnlich wie es die Kirchen tun.

Sexualisierte Gewalt

Eine Gruppe kann dagegen nicht Körperschaft öffentlichen Rechts sein, wenn begründete Zweifel an ihrer Rechtstreue bestehen. Hier schlägt das Problem der sexualisierten Gewalt in den Kirchen zu Buche. Man muss die Missbrauchskrise auch in ihrer Bedeutung für den rechtlichen Status der Kirchen bedenken. Besonders für die katholische Kirche ist es an der Zeit, die staatlichen Behörden um aktive Hilfe bei Ermittlungen im kirchlichen Bereich zu bitten, um eventuelle Zweifel an der Rechtstreue der Kirchen zu zerstreuen.

Fazit

Die Beziehungen zwischen Staat und Kirche sind ein schwieriges Feld, und viele Gesichtspunkte habe ich hier nicht behandelt – etwa den Klassiker Kirchensteuer. Dass die sogenannten Staatsleistungen an die Kirchen nun abgegolten werden sollen, hat über 100 Jahre deutscher Verfassungsgeschichte für sich. Darüber hinaus profitieren die Kirchen noch auf andere Arten vom Staat. Da die Mitgliedszahlen der Kirchen deutlich sinken, ist es legitim, über bestimmte Formen der staatlichen Unterstützung der Kirche zu debattieren. Ein Bereich, in dem die wohlwollende Zusammenarbeit mit dem Staat den Kirchen sogar geschadet hat, ist die staatliche Nicht-Einmischung in die Aufklärung sexualisierter Gewalt in den Kirchen. Zuerst zu bedenken sind hier natürlich die Opfer selbst, doch auch um ihrer eigenen Integrität willen sollten die Kirchen eine kritische staatliche Initiative begrüßen.

In der deutschen Zivilgesellschaft insgesamt sind die Kirchen aber nach wie vor die großen Player, mit deutlich mehr Mitgliedern als Gewerkschaften oder Parteien. In der Gestaltung der Gesellschaft sind sie sehr einflussreich. Kirchlich gebundene Menschen setzen z.B. dem Rechtsextremismus oft die Nächstenliebe entgegen und zeigen das auch praktisch. Ähnliches kirchliches Engagement ist auch im karitativen Bereich zu verzeichnen. In dieser Situation die Religion prinzipiell zur Privatsache zu erklären und die praktische Unterstützung für die Kirchen radikal zu kürzen, wäre ein Eigentor für alle, die dem humanitären Rechtsstaat verbunden sind. Auch sollte der unpräzise Begriff der Trennung von Kirche und Staat nicht im Sinne eines Abbruchs der Beziehungen verstanden werden. Andere Gruppen, etwa aus dem kirchenkritisch-humanistischen Bereich, könnten die Lücke, die dann entstünde, nicht annähernd schließen.