Seit Verteidigungsminister Boris Pistorius vor zwei Monaten seine Vorgängerin ablöste, ist die Bundesregierung nicht mehr gleichmäßig mit ebenso vielen Frauen wie Männern besetzt. Das war aber ein Wahlversprechen von Kanzler Olaf Scholz. Seit Jahrzehnten sind Quotenregelungen ein Streitpunkt des öffentlichen Lebens: Soll man einen bestimmten Mindestanteil an Ämtern mit Frauen besetzen, um die Chancengleichheit von Männern und Frauen zu gewährleisten?
Die CDU beschloss vor einem halben Jahr, dass der Frauenanteil in den Parteivorständen durch eine Quote nach und nach auf 50 Prozent klettern soll. In der Wirtschaft sind börsennotierte Unternehmen inzwischen gesetzlich verpflichtet, dafür zu sorgen, dass zumindest eine Frau im Vorstand vertreten ist, sofern der mindestens drei Personen umfasst. Doch die Zahl der Frauen in den Vorständen beträgt immer noch lediglich 17 Prozent. In Aufsichtsräten müssen schon seit längerem 30 Prozent der Mitglieder weiblich sein – 2026 wird das auf 40 Prozent steigen.
Was ist von der Quote zu halten, und hat in dieser Diskussion auch die christliche Ethik etwas beizutragen?
Männerquote
Für die Quote spricht, dass Frauen trotz Eignung nicht den Sprung in eine verantwortungsvolle Position schaffen, weil Entscheidungen in Männer-Netzwerken gefällt werden. Diejenigen in Führungspositionen fördern diejenigen, die ihnen ähnlich sind. Tatsächlich herrscht allzu oft eine Männerquote. In Deutschland sind nur 15 Prozent der Chefärztinnen weiblich, obwohl Frauen schon seit langem unter Medizinstudierenden in der Mehrheit sind. Frauen mit guten Qualifikationen werden benachteiligt.
Alexander Maßmann wurde im Bereich evangelische Ethik und Dogmatik an der Universität Heidelberg promoviert. Seine Doktorarbeit wurde mit dem Lautenschlaeger Award for Theological Promise ausgezeichnet. Publikationen in den Bereichen theologische Ethik (zum Beispiel Bioethik) und Theologie und Naturwissenschaften, Lehre an den Universitäten Heidelberg und Cambridge (GB).
Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Während der Covid-Pandemie kam es oft dazu, dass Frauen sich zunehmend aus dem Berufsleben zurückzogen, weil Schulen geschlossen waren und mehr Betreuungsarbeit anfiel. Deshalb muss die Vereinbarkeit von Beruf und Familie verbessert werden. Als etwa die CDU über die Quote beriet, waren einige Frauen dagegen. Sie meinten, Frauen müssten zuerst von den Arbeiten zuhause entlastet werden. Zu dem Zeitpunkt hatte jedoch die CDU 16 Jahre lang die Kanzlerin gestellt. Anscheinend braucht es zuerst eine größere Anzahl von Frauen in Entscheidungspositionen.
Geschlechtsblindheit?
Doch anstatt das eine Geschlecht gegenüber dem anderen zu bevorzugen, sollte man nicht besser dafür sorgen, dass die besten Kandidat:innen das Amt erhalten unabhängig vom Geschlecht? Sollten wir "geschlechtsblind" sein, so wie manche angesichts von Fördermaßnahmen für Schwarze in den USA sagen, sie seien "farbenblind"?
Wenn das klappen würde, wäre das ideal. Im Journalismus hat sich die Repräsentation von Frauen in den vergangenen zehn Jahren deutlich verbessert. Das ging zwar auch ohne Quote, doch dazu bedurfte es deutlichen Drucks, und noch immer kommt ein Leitmedium wie die FAZ (Frankfurter Allgemeine Zeitung) bei Herausgebern und Redaktionsleitungen komplett ohne Frauen aus.
In der Wirtschaft dagegen war eine politische Initiative gescheitert, mit der sich Unternehmen ab 2011 verpflichteten, den Frauenanteil in den Vorständen freiwillig zu erhöhen, ohne formale Quote. Das lag nicht an mangelnden Kandidatinnen, denn als sich abzeichnete, dass die nun bestehende Quotenregelung zum Gesetz wird, gingen die Zahlen in der Tat nach oben. Wenn andererseits in einem bestimmten Bereich nur sehr wenige Frauen entsprechende Qualifikationen haben, ist die Quote natürlich nicht sinnvoll.
Das Verdienstprinzip
Dass ohne die Quote ein Mann die Position erhielte, bedeutet also nicht einfach, dass er fachlich besser geeignet sei und dass die Quote seine Würdigkeit herabstufe. Dass die Quote dem Verdienstgedanken widerspreche, stimmt so allgemein nicht. Ebenso irren wir uns, wenn wir meinen, wenn sich alle einen Ruck geben, könnten wir die Ämtervergabe auch ohne Quote überall geschlechtergerecht und fair gestalten.
Dem Prinzip, dass wir Positionen ohne Ansehen des Geschlechts denen geben, die sie verdienen, steht entgegen, was die christliche Tradition die Sünde nennt. Der Theologe Reinhold Niebuhr nahm etwa die Sünde in seinem christlichen Realismus sehr ernst. Was er zur Demokratie sagte, gilt gleichermaßen von der Frauenquote: "Die Fähigkeit des Menschen zur Gerechtigkeit macht Demokratie möglich, doch die Neigung des Menschen zur Ungerechtigkeit macht die Demokratie nötig."
Ist die Quote unfair?
Dennoch ist es im Einzelfall denkbar, dass ein Mann mit besseren Qualifikationen den Posten nicht erhält aufgrund einer Frauenquote. Kritiker wenden ein, dass die Quote in der entscheidenden Frage der fachlichen Eignung falsche Kompromisse macht, um durch soziale Manipulation wünschbare gesellschaftliche Resultate zu erzielen. Der innere Sinn etwa einer Anwaltskanzlei bestehe aber in der sachgemäßen Auslegung des Rechts. Die Teilhabe beider Geschlechter an Ämtern sei demgegenüber ein sachfremder Gesichtspunkt, der nichts mit der Juristerei an sich zu tun hat. Die Quote würde Unternehmen für ihnen fremde Ziele instrumentalisieren. Deshalb müsse es in der Anstellung von Jurist:innen allein um juristische Fähigkeiten gehen und nicht ums Geschlecht. Doch diese Kritik irrt an zwei Stellen.
Die Quote macht auch fachlich Sinn
Erstens kommt die Quote längerfristig durchaus der fachlichen Eigenlogik des Unternehmens oder der Partei zugute. Unternehmen mit einem ausgewogeneren Geschlechterverhältnis leisten oft bessere Arbeit als die klassischen Männerverbände. Während der Covid-Pandemie waren etwa die Infektionsraten in Ländern geringer, an deren Spitze Frauen standen (Norwegen, Finnland, Island und Dänemark, verglichen mit Schweden, Irland und Großbritannien). Dabei geht es aber letztlich nicht um die eine Person an der Spitze. In der Regel hat die Beteiligung von Frauen einen positiven Einfluss, sobald sie mehr als ein Drittel der Mitarbeiter:innen in Verantwortungspositionen ausmachen.
Zweitens lässt sich der innere Sinn eines Unternehmens oder einer Partei nicht allein auf einen einzelnen fachlichen Zweck allein begrenzen, eine einzige Kernkompetenz, die durchs Produkt definiert wird. Laut dem Grundgesetz gilt, dass Eigentum verpflichtet und dem Gemeinwohl dienen muss (Art. 14 GG – so schon die Weimarer Reichsverfassung). Es wäre zu abstrakt, den Sportartikelhersteller allein auf die Sportartikel selbst zu reduzieren, so als ob die im luftleeren Raume produziert würden.
Stellvertretung
Die Quote verlangt von den Bürger:innen das, was der Theologe Dietrich Bonhoeffer Stellvertretung nannte – auch wenn er Quoten nicht kannte. Oft wird die Quote dafür sorgen, dass die Eignung einer Frau für ein Amt angemessen berücksichtigt wird. Doch unter Umständen erhält ein Mann eine Position nicht, obwohl er leicht bessere formale Qualifikationen vorweisen kann. Hier bedeutet Stellvertretung eine Identifikation mit der gemeinsamen Sache, für die man sich einsetzt und die man mit einer gewissen "Hingabe an den anderen Menschen" verfolgt. Denn Fairness im beruflichen Leben lässt sich kaum herstellen, ohne dass jemand vorübergehend einen Nachteil in Kauf nimmt. Der männliche Bewerber ist gefragt, ob er sich nicht auch die Interessen der Mitbewerberin und der Gesellschaft zu eigen machen kann und so im Verzicht stellvertretend auch für sie handeln kann. Das ist ein bescheidener Beitrag im Vergleich dazu, dass Christus in einem umfassenderen Sinn stellvertretend für alle Menschen gehandelt und sein Leben für sie hingegeben hat.
Ausblick
Der Sinn der Quote kann sich nicht darin erschöpfen, einen gewisse Anzahl von Frauen in Ämter zu bringen. Ihr Sinn ist auch, dass Frauen in Verantwortungspositionen einen neuen Beitrag leisten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Damit ist die Quote ein sinnvolles Instrument.
Heißt das, dass Kanzler Scholz nun einen Minister entlassen muss, um an seiner Stelle eine Frau einzusetzen? Ich würde ihn nicht so streng an der versprochenen Geschlechterparität messen, denn das hieße, ihn in Haftung zu nehmen auch für Koalitionspartner. Mit einem Frauenanteil von 20 Prozent ist die FDP von Männern bestimmt ist wie sonst nur die AfD. Zählt man außerdem die Leitungsebene direkt unter den Minister:innen, also Staatssekretäre und Staatsminister, hinzu, ist das Geschlechterverhältnis im Kabinett insgesamt ausgewogen.