Es sei ein Krieg, der auch den Menschen in Deutschland auf bedrückende Weise ständig nahe sei und die Kirchen in die Verantwortung nehme, sagte der Ratsvorsitzende der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen, Bischof Thomas Adomeit, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Ein Gespräch mit dem Oldenburger Bischof über hilfreiche Gebete, Hoffnungsräume und die Kraft von Netzwerken.
epd: Herr Bischof Adomeit, der russische Angriff auf die Ukraine bewegt ein Jahr nach Kriegsbeginn viele Menschen in Deutschland. Nicht wenige haben Angst - auch davor, dass sich dieser Krieg ausweitet. Wie können die Kirchen die Menschen unterstützen?
Thomas Adomeit: Der Krieg kommt in Echtzeit in unsere Wohnzimmer, er begleitet unseren Alltag. Wir sind nicht im Krieg, aber wir haben mit ihm zu tun, weil er uns sehr nahekommt. Wir spüren Auswirkungen, was beispielsweise Energiepreise und Energiesicherheit angeht oder auch die geflüchteten Menschen, die Familien, die wir aufgenommen haben. In dieser Situation braucht es Orte, um Sorgen auszusprechen. Um zusammenzukommen in Andachten, in Gesprächsrunden, an Kaffeetafeln. Es geht darum, voneinander und aufeinander zu hören. Die Kirchen bieten diese Räume. Es sind Hoffnungsräume. Es geht um die Hoffnung, dass der Krieg nicht das letzte Wort hat.
Was heißt das konkret?
Adomeit: Zunächst geht es um die Stärkung aller, die sich in den Kirchen und den Gemeindehäusern versammeln. Aber auch um die vom Krieg direkt Betroffenen in der Ukraine. Ich bin Menschen begegnet, für die wir gebetet haben und die mir gesagt haben: Das hilft uns, das macht uns stärker, sicherer, gibt uns Gewissheit. Dann geht es darum, unser Miteinander zu stärken: Wir packen gemeinsam an, um Not zu lindern. Wir sprechen gemeinsam darüber, wie wir damit umgehen, wenn wir merken, dass wir mit dem, was wir tun, an Grenzen stoßen. Und, das ist mir ganz wichtig: Wir müssen immer wieder ganz deutlich sagen: Krieg darf niemals Normalität werden. Das muss uns ins Herz geschrieben sein. Gewalt kann im Endeffekt nie eine Lösung sein. Gewalt darf nie das letzte Wort haben, auch wenn der Einsatz von Gewalt in Ausnahmesituationen nicht zu vermeiden ist.
Stichwort Solidarität: Was nehmen Sie da persönlich wahr?
Adomeit: In der Corona-Situation habe ich mich gefragt, was unsere Gesellschaft noch zusammenhält. Wir sind teilweise so auseinandergegangen in unseren Weltbildern. Und dann kam mit dem Krieg eine unglaublich große Bewegung auf, in der viele Menschen im Blick auf das, was in der Ukraine passiert, miteinander unterwegs waren und es noch immer sind. Das ist für mich ein Hoffnungsstrahl in einer sehr bedrückenden Lage. Das zeigt: Unsere Gesellschaft ist fähig, bereit und willens zur Solidarität.
Sie haben von Hoffnungsräumen gesprochen, die die Kirchen öffnen. Gibt es Rituale, die bei Sorgen und Ängsten unterstützen können?
Adomeit: Ein Ritual alleine trägt nicht. Es sind mehrere Aspekte, die zusammenkommen müssen. Da geht es zunächst darum, sich zu versammeln. Dann teilt man seine Sorgen und Ideen und ist im Netzwerk unterwegs, auch mit kommunalen und politischen Akteuren. Wichtig ist auch, mit Blick auf die Beendigung des Krieges die Hilflosigkeit im Gebet vor Gott zu bringen. Beispielsweise mit einem Vaterunser. Das kann tragen, genauso wie ein Segen oder ein Psalmwort. Das habe ich schon oft erlebt, beispielsweise am Sterbebett einer alten Dame, die nichts mehr konnte. Als ich dann im Gebet den Psalm 23 "Der Herr ist mein Hirte" gesprochen habe, hat sie die Lippen bewegt. Das sind Momente der Aktivierung, der Stärkung, des Trostes. Ein Psalm, der vor 3.000 Jahren getröstet hat, tröstet heute auch.
"Ein Psalm, der vor 3.000 Jahren getröstet hat, tröstet heute auch"
Sehen Sie mit Blick auf den Jahrestag des Überfalls auf die Ukraine eine besondere Verantwortung der Kirchen?
Adomeit: Ich habe vorhin gesagt, dass Krieg niemals zur Normalität werden darf. Das müssen die Kirchen laut ansprechen. Letztlich wird ein Krieg niemals zu Ende gehen ohne Verhandlungen, auch wenn diese sich aktuell angesichts der Haltung der russischen Aggressoren leider nicht abzeichnen. Es geht trotzdem immer darum, mit zu bedenken, dass es irgendwann an einen Tisch gehen muss. Das heißt auch, dass wir Menschen dabei stärken müssen, Gespräche zu führen, Gesprächskanäle offenzuhalten, so dünn sie im Moment auch sind. Das ist etwas anderes, als in dieser hoch komplexen Situation öffentlich nach scheinbar einfachen Lösungen zu rufen. Als Kirche müssen wir Hoffnungsräume öffnen, das ist unsere besondere Verantwortung.
Was planen die Kirchen mit Blick auf den Jahrestag an diesem Freitag?
Adomeit: Der Tag ist überall in den Kirchengemeinden in Niedersachsen präsent, durch Kontakte in die Ukraine und zu den Geflüchteten hier. Es gibt eine Reihe von Veranstaltungen, die das Netzwerk zwischen den Kirchen und anderen gesellschaftlichen Akteuren deutlich werden lassen. So wird es in den Regionen beispielsweise Andachten gemeinsam mit Hilfsorganisationen, Kommunen, Stadträten und Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern geben - neben vielen weiteren Andachten und Gottesdiensten. Das ist eine Kraft, die an vielen Orten im Land wirkt, das ist ein Zusammenhalt, der Hoffnung schenkt.