Leopard-2 Panzer bei einer Übung in Swietoszow, Polen
Michal Dyjuk/AP/dpa
Leopard-2 Panzer in Polen. Dort werden jetzt auch ukrainische Soldaten ausgebildet. Doch soll die militärische Unterstützung noch weitergehen?
Kolumne: Evangelisch kontrovers
Weitere Waffen für die Ukraine?
Zum Jahrestag des russischen Angriffs auf die Ukraine diskutieren viele erneut eine pazifistische Option, plädieren für Verhandlungen. Unser Ethik-Experte Alexander Maßmann erläutert, warum er nichts davon hält.

Am 24. Februar jährt sich der Angriff Russlands auf die Ukraine. Letzte Woche veröffentlichten Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht eine Petition, in der sie den Bundeskanzler aufriefen, alle Schritte zu stoppen, die zu einer Eskalation des Konflikts beitragen können. Auch Margot Käßmann, die ihren entschiedenen Pazifismus theologisch begründet, hat unterzeichnet. Ich meine dagegen: Diese Petition ist eine Gedankenlosigkeit.

Die Petition erkennt an, dass Olaf Scholz sich kritisch zur Lieferung von Kampfjets an die Ukraine ausgesprochen hat. Was verlangen die Initiatorinnen der Petition also konkret? Mit großer Suggestivkraft rufen sie ihm zu, er solle "jetzt" Halt machen. Auch wenn die Autorinnen das nicht offen aussprechen: Laut ihnen soll Deutschland die Zusage von Kampfpanzern zurücknehmen und das schwere Gerät doch nicht liefern. Anstatt neuer Waffen beschwört die Petition Verhandlungen.

Welchen Sinn kann der erneute, reflexhafte Ruf nach Verhandlungen haben, der Gespräche als Gegensatz zur militärischen Unterstützung versteht? Abgesehen davon, dass Deutschland an Glaubwürdigkeit verliert, wenn es die Zusage der Kampfpanzer nun wieder kassiert – von der Krim-Annexion bis zum russischen Einmarsch hat Europa kontinuierlich auf Verhandlungen gesetzt. Doch auf die entsprechenden Minsker Abkommen gehen Pazifist:innen mit keiner Silbe ein.

Russland käme seinem Ziel näher

Die internationalen Versuche einer Verhandlungslösung haben über sieben Jahre gedauert. Ihr Scheitern wurde offenkundig, als die russischen Panzer vor einem Jahr in Richtung Kiew rollten. Und um das erneute Vorrücken der russischen Panzer aufzuhalten, soll man nun also – verhandeln?

Im Unterschied zu "Minsk" sind heute weder Kiew noch Moskau zu echten Verhandlungen bereit. Dennoch heißt es, Deutschland solle der Ukraine die militärische Unterstützung entziehen. Dann wird die Ukraine in der Tat zu Verhandlungen genötigt sein. Doch damit würde man den Falschen erpressen, denn zugleich nähme man Putin jeglichen Anreiz zum Dialog. Russland käme seinem Ziel näher, sich die Ukraine komplett einzuverleiben.

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Es steht zu befürchten: Noch mehr ukrainischen Eltern würden ihre Kinder weggenommen, Zivilist:innen würden auch an anderen Orten misshandelt und ermordet. In pazifistischer Absicht das Jesus-Wort "Selig sind, die Frieden stiften" zu zitieren, wäre deplatziert. Wer heute noch Verhandlungen gegen militärische Hilfe ausspielt, verwendet den Gedanken der Verständigung als Feigenblatt, um die eigene Gedankenlosigkeit zu kaschieren.

Das sechste Gebot

Christliche Pazifisten verweisen auf das sechste Gebot: Du sollst nicht töten. Aus dem Ersten Weltkrieg wird überliefert, dass ein evangelisches Gebetbuch dieses Gebot mit einem Sternchen versah und erklärte: "Gilt nicht im Krieg". So einfach wie damals darf man es sich natürlich nicht machen.

Andererseits bin ich froh, dass die Alliierten der beiden Weltkriege dem sechsten Gebot nicht biblizistisch gefolgt sind. Auch heute kann man die militärische Unterstützung der Ukraine keinesfalls mit den Ideologien der Weltkriege gleichsetzen. Vielmehr ist es die Russisch-Orthodoxe Kirche, die eine aggressive Kriegsideologie theologisch rechtfertigen will. Angesichts dessen kann zur Eindämmung willkürlicher Gewalt verteidigende Gewalt legitim sein. So haben wir vor drei Wochen, am Holocaust-Gedenktag, der Befreiung von Auschwitz begangen – und es war nicht die Bekennende Kirche, die das Konzentrationslager befreit hat.

Die Frage nach Konsequenzen

Viele Menschen haben Angst vor einem Ausufern des Krieges. Würden weitere Waffenlieferungen Putin verleiten, die Gewalt noch weiter zu eskalieren? Ganz ausschließen kann man das nicht. Dennoch ist eine kontrollierte Unterstützung der Ukraine mit Waffen das kleinere Übel. Der Krieg würde eher ausufern, wenn der Westen die Ukraine nicht militärisch unterstützt, weil Russland mittelfristig an den Grenzen der Ukraine nicht halt machen wird. Die Drohung mit Atomwaffen wird Putin nicht vom Tisch nehmen, wenn er damit schon jetzt Erfolg hat.

Auch an anderen Orten beobachten Potentaten genau, wie der Westen reagiert, wenn man Gewalt gegen Zivilisten anwendet und mit Atomwaffen droht. China erhebt Ansprüche auf Taiwan und könnte verstärkt auf seine nuklearen Sprengköpfe hinweisen. Auch der Iran und Nordkorea sehen mit Interesse, was sie von Putins Drohen mit der Bombe lernen können. Außerdem werden sich auch andere Mächte um Atomwaffen bemühen, wenn sich der Westen erpressbar zeigt.

Doch auch ohne Atomwaffen fragen sich Staaten, ob der Westen sich wegduckt. Sie spekulieren darauf, dass wir auch bei möglichen militärischen Übergriffen ihrerseits  wegschauen. Erdo?an möchte aggressiv gegen die Kurden vorgehen und der Türkei Teile Syriens einverleiben. In Serbien gibt es starke Stimmen, die Teile Bosnien-Herzegowinas und das Kosovo für sich reklamieren.

Ausblick

Der Ukraine weitere militärische Unterstützung zu versagen, heißt, den Kopf in den Sand zu stecken. Nach sieben Jahren fruchtloser Verhandlungen und einem Jahr des Kriegs bedeutet ein christlicher Radikalpazifismus in diesem Konflikt einen Missbrauch der Bibel. Doch heißt das, dass Deutschland der Ukraine auch Kampfjets liefern soll?

Es fragt sich, ob Deutschland in absehbarer Zeit überhaupt einsatzbereite Flugzeuge liefern kann. Beim Typ "Tornado" scheint das unrealistisch, und in der britischen Presse hieß es, der "Eurofighter " eigne sich nicht für den Einsatz in der Ukraine. Wie dem auch sei – die Frage der Jets ist zweitrangig. Kein Land muss alle Waffengattungen bedienen. Auch muss Deutschland keineswegs eine internationale "Führungsrolle" anstreben – das kommt mir etwas wichtigtuerisch vor. Bedeutender ist, dass Deutschland seine Militärproduktion ankurbelt und dort, wo Deutschland der Ukraine hilft, verlässlich ist.

Zum Jahrestag für Frieden demonstrieren?

Offensichtlich würde ich politische Veranstaltungen pazifistischer Art meiden. An einem Friedensgebet teilzunehmen, das keine politische Kundgebung ist, bleibt natürlich legitim. Im Zweifelsfall ist es sinnvoll, die Parteilichkeit für die Ukraine mit einem Schild oder der blau-gelben Flagge auszudrücken. Und falls Sie bereits eine pazifistische Petition unterschrieben haben: Darf ich Sie bitten, die Betreiber der Seite zu kontaktieren, um Ihre Unterschrift zurückzunehmen?