Und es gehört zur guten Tradition solcher Reihen, dass sich Ermittler:innen erst recht in ihre Fälle verbeißen, wenn die Vorgesetzten die Sache für erledigt erklären und bei Zuwiderhandlung gar mit Suspendierung drohen.
Zumindest in dieser Hinsicht folgt "Das Recht zu schweigen", die siebzehnte Episode der stets mindestens sehenswerten ZDF-Reihe "Helen Dorn" mit Anna Loos, den bewährten Konventionen. Der treffendere Arbeitstitel "Tödliches Vermächtnis" deutet allerdings an, dass es nicht bloß um die übliche Aufklärung eines Mordes geht.
Das Opfer, Rolf Kanther, war Chef eines Unternehmens, das intelligente Zieloptik produziert; ein hochsensibler Bereich, der auch für das Verteidigungsministerium von großer Bedeutung ist. Peer Sailer, Kanthers Kompagnon, demonstriert Dorn die jüngste Errungenschaft der Firma: eine lasergesteuerte Präzisionswaffe, mit der zum Beispiel der sogenannte finale Rettungsschuss bei einer Geiselnahme sein Ziel garantiert nicht verfehlt. Diesen besten Freund des Opfers spielt Peter Lohmeyer; Sailer gehört somit zumindest aus Publikumssicht selbstredend automatisch zum Kreis der Verdächtigen.
Ein Mordmotiv hätte der Geschäftspartner ebenfalls, wie sich bei der Testamentseröffnung rausstellt. Kanther hat seine Firmenanteile seiner Tochter Sonja (Sina Martens) vererbt, was die Witwe (Ursina Lardi) sichtlich schockiert. Vater und Tochter hatten bis vor Kurzem jahrelang keinen Kontakt, weil sie ihm den Wunsch, seine Nachfolgerin zu werden, nicht erfüllen wollte.
Noch reservierter fällt allerdings die Reaktion von Sailer aus, denn der ermordete Partner hat Sonja auch die Patente vermacht, und ohne die ist das Unternehmen, das demnächst für viel Geld verkauft werden soll, quasi wertlos. Schon allein dieser Rahmen ist hochinteressant, aber dann setzt Friedemann Fromm noch eins drauf. Er ergänzt die Handlung um ein Ereignis, das vor langer Zeit stattgefunden hat, nun kommt auch Dorns längst pensionierter Vater Richard (Ernst Stötzner) ins Spiel; es geht um einen uralten Fall.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
"Das Recht zu schweigen" ist der dritte "Helen Dorn"-Beitrag des vielfachen Grimme-Preisträgers ("Unter Verdacht", "Die Wölfe", "Weissensee"), aber der erste, für den er auch das Drehbuch geschrieben hat. Wie Fromm die verschiedenen Handlungsebenen miteinander verknüpft und immer wieder neue Aspekte ins Spiel bringt, ist beeindruckend; den Rest besorgen die gute Bildgestaltung (Heinz Wehsling) und die wirkungsvolle Krimimusik (Christoph Zirngibl).
Trotz des Hightech-Hintergrunds fesselt der Film nicht zuletzt durch seine menschliche Komponente. Ein übergeordnetes Thema ist etwa das Schweigen der Väter. Ihren Vater habe stets eine Art Wolke umgeben, sagt Sonja über den alten Kanther; eigentlich wisse sie gar nicht, was für ein Mensch er gewesen sei. Für die beiden Dorns gilt das nicht minder. Beim entsprechenden Schlüsselmonolog über die Geheimnisse, die Eltern vor ihren Kindern hüten, ist auch Sailer dabei - das Gespräch findet in Richards Kneipe statt. Die Idee mit Sailers Marotte, eine Art Zaubertrick mit einem Fünf-Mark-Stück, der in Dorn eine Erinnerung an das Jahr 1986 weckt, ist vielleicht ein bisschen weit hergeholt, aber immerhin originell.
Bei aller Spannung ist der darstellerisch ohnehin vorzügliche Film auch ein großes Vergnügen. Fromm ist nicht gerade ein ausgewiesener Komödienregisseur, aber viele Szenen mit Helen Dorn und Kriminaltechniker Weyer haben echte Sitcom-Qualität. Das liegt neben dem Kontrast zwischen der asketischen Kommissarin und ihrem treuen Sancho Pansa, der seine Korpulenz mit großer Würde trägt, natürlich auch an den amüsanten Wortgefechten, zumal der diesmal hingebungsvoll mit Gender-Sternchen hantierende Kollege bei der Spurensuche im Wald eine heftige Aversion gegen alles offenbart, was da kreucht und fleucht. Aber Tristan Seith ist weit mehr als der lustige Dicke, dessen Rolle darin besteht, die Hauptfigur möglichst souverän wirken zu lassen.
Die Momente mit der angeschmachteten Rechtsmedizinerin (Nagmeh Alaei) sind schon seit einigen Filmen ein heiterer roter Faden. Sehr sympathisch ist auch eine kleine Referenz in eigener Sache, als Fromm mit einem Song von Johnny Cash auf seinen ersten "Dorn"-Film verweist.