Mit gemischten Gefühlen begehen Abtreibungsgegner in den USA den 50. Jahrestag des als "Roe vs. Wade" bekannten Grundsatzurteils vom 22. Januar 1973. Das Urteil gab Frauen das Recht, eine Schwangerschaft abzubrechen.
Wohl kein Spruch des Obersten US-Gerichts ist so umstritten. Im Juni 2022 hat dasselbe Gericht "Roe vs. Wade" mittels konservativer Mehrheit unter den Richtern jedoch annulliert. Manche Bundesstaaten haben seither Restriktionen und Verbote eingeführt. Eine Zeitenwende für das ganze Land konnten die Abtreibungsgegner allerdings nicht durchsetzen.
Seit dem Ende von "Roe" könne man "unzählige unschuldige amerikanische Leben retten", lobte die Präsidentin des "Lebensschützer"-Verbandes "March for Life", Jeanne Mancini. Die neuen Anti-Abtreibungsgesetze in einigen US-Bundesstaaten richten sich gegen medizinisches Personal. Frauen hingegen werden eher als Opfer klassifiziert. Manche Gegnerinnen und Gegner verlangen auch Strafen für die Frauen. Weniger kontrollierbar ist für die Gegner die medikamentöse Abtreibung. Die US-Arzneimittelbehörde hat vor Kurzem den Zugang zu "Abtreibungspillen" erleichtert. Befürworter des Rechts auf Abtreibung haben mancherorts mit Erfolg gegen Restriktionen mobilisiert.
Es war eine andere Zeit vor 50 Jahren. Der Republikaner Richard Nixon regierte als US-Präsident. Am 22. Januar 1973 urteilte das Oberste Gericht der USA unter Federführung des vom Nixon ernannten Richters Harry Blackmun, der Staat dürfe das Recht auf Abtreibung mindestens bis zur Lebensfähigkeit des Fötus nicht einschränken. Das war eine Sensation. Damals konnte man noch nicht abschätzen, wie sehr das Thema Abtreibung die Nation spalten würde.
Bürgerbewegungen forderten Selbstbestimmung
Abtreibung war vor "Roe" nur in wenigen Bundesstaaten erlaubt. Die Bürger-Bewegungen der 60er Jahre forderten Selbstbestimmung der Frauen. Die Kirchen waren beim Thema Abtreibung nicht auf einer Linie. Die römisch-katholische Kirche war eindeutig dagegen. Bei der größten protestantischen Kirche der USA, dem Südlichen Baptistenverband, zeigte sich ein ambivalentes Bild. 1971 betonte der Verband die "Heiligkeit des menschlichen Lebens", befürwortete jedoch Gesetze, Schwangerschaftsabbrüche bei "Vergewaltigung, Inzest sowie klaren Hinweisen auf schwere Missbildung des Fötus" zu erlauben und bei Gefahr für die emotionale, psychische oder physische Gesundheit der Schwangeren. Heute ist die Kirche wie die katholische Kirche auch entschieden gegen das Recht auf Abtreibung.
Der Fernsehsender NBC berichtete am 22. Januar 1973, die rechtliche Frage sei erledigt. Unter dem Druck katholischer, und im Laufe der Jahre auch evangelikaler Abtreibungsgegner wurde die Abtreibungsfrage politischer Orientierungspunkt: Die Republikanische Partei wurden zur Anti-Abtreibungspartei. Befürworter des Rechts wählten die Demokratische Partei.
Aus Sicht der Gegner hat sich die republikanische Strategie zumindest vorübergehend ausgezahlt. In der Partei reihten sich Abtreibungsgegner ein im Kulturkampf für "Familienwerte" und für die Rückkehr zu der von Ex-US-Präsident Donald Trump gepriesenen großen Vergangenheit. Trump hat in seiner Amtszeit zwei Anti-Abtreibungsrichter und eine Richterin ernannt, die "Roe" vergangenes Jahr gekippt haben.
13 Bundesstaaten verbieten Abtreibung generell
Laut Gesundheitsinstitut "Kaiser Family Foundation" haben daraufhin 13 der 50 Bundesstaaten Abtreibung verboten, vornehmlich im Süden der USA. In acht Staaten existieren weitreichende Restriktionen. In fünf Staaten ist noch nicht entschieden. Legal ist Abtreibung in 24 - und damit knapp der Hälfte - der Bundesstaaten, darunter Kalifornien und New York.
62 Prozent der US-Amerikaner sind laut dem Washingtoner Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center der Ansicht, Abtreibung sollte in allen oder den meisten Fällen legal sein. Bei den Zwischenwahlen im November stimmten vier Bundesstaaten für Maßnahmen zum Schutz des Rechts auf Abtreibung.
Ex-Präsident Trump hat sich kürzlich auf seiner Plattform Truth Social zu Wort gemeldet. Viele republikanische Politiker hätten das Thema verpfuscht, besonders mit extremen Forderungen. Damit verliere man viele Wähler. Wie langlebig dieser Positionswandel ist, wird sich erweisen.