Seit dem historischen Urteil des Obersten Gerichts der USA im Juni hat nach Berechnungen der "Washington Post" rund ein Drittel aller Frauen den Zugang zu Abtreibungsmöglichkeiten in ihren Bundesstaaten verloren. 13 der 50 Bundesstaaten haben nach einer Übersicht des Familienplanungsinstituts Guttmacher Institute bereits umfassende oder sehr restriktive Abtreibungsverbote eingeführt. Mehrere Staaten dürften in Kürze folgen. Nach dem Urteil des Supreme Courts liegen Abtreibungsgesetze nun in den Händen der Bundesstaaten.
Die politischen Rahmenbedingungen haben sich verschoben - wie Umfragen und einige Wahlen nach dem Urteil zeigen, in manchen Punkten aber auch zu Ungunsten der Abtreibungsgegner. So machen sich die Befürworterinnen des Rechts auf Abtreibung Hoffnung auf eine stärkere Mobilisierung. Viele Jahre hätten Politiker ohne große Konsequenzen Abtreibungsverbote fordern können, sagte die Chefin des "Zentrums für reproduktive Rechte", Nancy Northup, im Sender MSNBC. Seit dem Urteil werde jedoch klar, "was es wirklich bedeutet, Abtreibung zu verbieten".
Bei einer Umfrage des Pew Research Center erklärten 57 Prozent der Befragten, sie seien nicht einverstanden mit dem Urteil. Im August sagten 56 Prozent, die Abtreibungsfrage sei bei ihrer Entscheidung zu den Kongress- und Gouverneurswahlen im November ein wichtiger Faktor. Vor dem Urteil waren es lediglich 43 Prozent. Vor allem bei demokratischen Wählerinnen und Wählern sei dieses Thema wichtiger geworden, hieß es.
Große Hoffnung machte den Befürwortern der Volksentscheid in Kansas vor einem Monat. Die Menschen im US-Staat im Mittleren Westen stimmten bei hoher Beteiligung zu rund 60 Prozent für die Beibehaltung eines Paragraphen in der Verfassung des Staates, der das Recht auf Abtreibung schützt. Analysen zeigten, dass auch zahlreiche Wähler des früheren US-Präsidenten Donald Trump nicht für die Abschaffung votierten. Trump hatte bei seiner verlorenen Präsidentschaftswahl 2020 mit 56 Prozent noch eine deutliche Mehrheit in Kansas geholt.
Wahlsieg in New York für Demokraten
Ende August siegte der Demokrat Pat Ryan bei Nachwahlen zum Repräsentantenhaus im Staat New York mit der Warnung, es gehe auch um das Recht auf Abtreibung. Als Sensation galt die Niederlage der ehemaligen republikanischen Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin Anfang September bei der Kongress-Nachwahl in Alaska. Während sie das Urteil des Obersten Gerichts begrüßt hatte, sprach sich ihre Konkurrentin und Wahlsiegerin Mary Peltola von den Demokraten klar für das Recht auf Abtreibung aus.
Auch der demokratische Präsident Joe Biden bezieht bei dem Thema nun deutlich Position. Der Katholik tut sich mit Abtreibung schwer. 2007 schrieb er in seiner Autobiografie, er lehne Abtreibung ab, wolle seine Ansichten anderen aber nicht aufzwingen. Doch jetzt hat er das Urteil des Obersten Gerichts scharf kritisiert und ein Dekret unterzeichnet, gering verdienenden Frauen bei der Reise in andere Staaten zum Schwangerschaftsabbruch finanziell zu helfen.
Die ehemals vereinten Abtreibungsgegner dagegen suchen seit ihrem Erfolg im Obersten Gericht nach einer neuen Strategie. Manchen Gruppen verlangen Gesetze, Embryo und Fötus als Person einzustufen. Die Präsidentin des Antiabtreibungsverbandes Susan B. Anthony Pro-Life America, Marjorie Dannenfelser, warnte in der "Washington Post" jedoch, man dürfe nicht zu weit gehen, denn damit "rettet man niemanden". Sie lehnte Forderungen ab, Schwangeren sogar Reisen in andere Staaten zu Abtreibungen zu verbieten.
Bei den Zwischenwahlen im November wird sich zeigen, ob das Thema Abtreibung die Wählerinnen und Wähler tatsächlich weiter zugunsten der Demokraten mobilisieren kann. In mehreren Bundesstaaten sind zudem Volksbegehren für das Recht auf Abtreibung in Vorbereitung. Kalifornien, Kentucky und Vermont wollen darüber bereits im November abstimmen.