Am Tag nach der Großkundgebung gegen die Abbaggerung von Lützerath und der darunter liegenden Braunkohle im Tagebau Garzweiler II ziehen die Veranstalter und die Polizei Bilanz. Die Bewertungen fallen unterschiedlich aus. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) NRW zog am Sonntag in Düsseldorf eine vorläufige positive Bilanz und würdigte das Einsatzkonzept der Aachener Polizei als deeskalierend. Das Eindringen in den Tagebau sowie das Überwinden des Sicherheitszauns um den Weiler Lützerath habe verhindert werden können, mit zugleich "viel Raum" für friedlichen Protest auf der genehmigten Demo-Strecke, erklärte die GdP.
Aktivisten und Veranstalter hingegen warfen auf einer Pressekonferenz am Sonntag Einsatzkräften in einzelnen Fällen Gewalt gegen Demonstranten vor. Sie betonten aber, die Verantwortung für die Konfrontation am Tagebau liege letztlich in der Politik, vor allem bei der schwarz-grünen Landesregierung, die sich für eine fortgesetzte Braunkohleförderung bis 2030 entschieden habe, obwohl die Kohle unter Lützerath für eine gesicherte Energieversorgung nicht gebraucht werde.
Auf der Pressekonferenz würdigten die Vertreter von "Ende Gelände", "Alle Dörfer bleiben" und "Fridays for Future" die große Teilnahme von Zehntausenden Menschen an dem Protest rund um Lützerath als Zeichen der Hoffnung für den Klimaschatz in Deutschland und weltweit. In der kommenden Woche sollen weitere friedliche Aktionen "mit der ganzen Bandbreite des zivilen Ungehorsams" folgen, unter anderem ein Aktionstag am 17. Januar.
Darya Sotoodeh von "Fridays for Future", Christopher Laumanns von "Alle Dörfer bleiben" und Charly Dietz von "Ende Gelände" äußerten scharfe Kritik an der schwarz-grünen NRW-Landesregierung. Diese müsse die Räumung stoppen. Die Mehrheit der Bevölkerung wolle keinen weiteren Braunkohleabbau, sagte Laumanns. Die Zerstörung von Lützerath, wo sich am Sonntag in einem Tunnel noch Aktivisten aufhielten, sei eine "Blamage für Deutschland", vor allem für die Partei der Grünen. Laumanns verwies auf die Forderung von 500 Wissenschaftlern nach einem Moratorium, da die Erkenntnislage eindeutig sei: "Die Braunkohle wird nicht gebraucht."
Die Veranstalter der Demo betonten, dass sie als Aktionskonsens einen friedlichen Protest befürworten. Mit Blick auf die Menschen, die sich eigenständig am Samstag abseits der genehmigten Demonstration zur Abrisskante begeben hatten, sagte Dietz von "Ende Gelände", es gebe eine Bandbreite des zivilen Ungehorsams. Der Konsens beinhalte Gewaltfreiheit, Einzelne hätten "aus Wut" zu anderen Mitteln gegriffen.
Zu der Großkundgebung von Umweltverbänden, Klimabündnissen und lokalen Initiativen waren am Samstag trotz Regen und Sturm nach Schätzungen der Polizei 15.000, nach Veranstalterangaben 35.000 Menschen ins rheinische Braunkohlerevier gekommen. Unter ihnen waren auch die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg und Luisa Neubauer von "Fridays for Future Deutschland". Die Demonstration zwischen Keyenberg und Lützerath verlagerte sich im Verlauf des Tages auf verschiedene Stellen.
Während vielerorts der Protest gegen die Räumung und den Abriss des Weilers Lützerath friedlich verlief, war es vor allem an der Abbruchkante zum Tagebau und am Absperrzaun rund um die nicht mehr bewohnte Ortschaft zu Konfrontationen zwischen Einsatzkräften und Demonstranten gekommen. An den beiden Stellen hätten vielfach vermummte Personen "erheblichen Druck auf polizeiliche Sperren ausgeübt und diese zum Teil durchbrochen", teilte die Polizei mit. Um Menschen vom Eindringen in den Tagebau abzuhalten, seien Pfefferspray, Schlagstöcke und Wasserwerfer eingesetzt worden. Die Polizei bezifferte am Sonntag die Zahl der verletzten Einsatzkräfte auf über 70. Die Zahl umfasse Verletzungen durch Gewalt von Demonstranten sowie Unfälle in schwierigem Terrain.
Iza Hofmann vom Sanitäter-Team der Demo-Organisatoren sprach am Sonntag mit Blick auf die Kundgebung am Samstag von einer hohen Zahl verletzter Demonstranten im "zwei- bis dreistelligen Bereich" und kritisierte unnötige Gewalt durch die Polizei. Mehrere Menschen seien lebensgefährlich verletzt worden. Hofmann sprach von Knochenbrüchen und Kopfverletzungen. Detaillierte Angaben wolle sie nicht machen, um die Betroffenen vor einer Strafverfolgung durch die Polizei zu schützen. Die Polizei sagte dem WDR, von lebensgefährlich Verletzten sei ihr nichts bekannt. Insgesamt wisse die Polizei von zehn Fahrten von Rettungswagen. Einen Rettungshubschrauber-Einsatz könne man nicht bestätigen.
Die Journalistengewerkschaft dju in ver.di NRW zog seit der Räumung Lützeraths eine überwiegend negative Bilanz der Pressefreiheit. Zwar sei es gelungen, im Dialog mit den Verantwortlichen von RWE und der Polizei zu bleiben, erklärte die Gewerkschaft am Sonntag in Düsseldorf. Dennoch seien Übergriffe auf Medienvertreter durch von RWE beauftragte Security-Firmen, die Polizei und Demonstranten dokumentiert worden. Der zeitweise Zwang zur polizeilichen Akkreditierung, die Körperverletzungen durch RWE Security und die Polizei sowie ein teilweise schikanöses Verhalten der Einsatzkräfte seien wesentliche Einschränkungen der Pressefreiheit gewesen.