Tausende Menschen haben am Samstag in Lützerath für den Erhalt des von der Abbaggerung durch den Braunkohletagbau betroffenen Ortes demonstriert. Vom Nachbardorf Keyenberg zogen sie in Höhe der Ortslage, die seit Mittwoch wegen der anstehenden Abbaggerung von der Polizei geräumt wird. Nachdem die Versammlung zunächst weitgehend friedlich verlief, wurde nach Angaben eines Polizeisprechers am Nachmittag Pyrotechnik auf Beamte gefeuert. Zugleich gelang es einigen Teilnehmern, die Polizeiketten zu durchbrechen und in den Tagebau vorzudringen. Laut einem Sprecher befanden sich die Aktivisten zunächst "im oberen Kranz" des Tagebaus.
Zu den Teilnehmerzahlen gab es unterschiedliche Aussagen. Während die Veranstalter wie Campact und BUND von 35.000 Teilnehmern sprachen, schätzte die Polizei die Zahl auf etwa 10.000. Mehrere Rednerinnen und Redner forderten auf der Kundgebung einen Stopp der Räumung des Weilers Lützerath und verlangten von der Politik eine entschiedenere Klimapolitik, um die auf dem Pariser Klimagipfel vereinbarte Grenze einer Erderwärmung von 1,5 Grad Celsius zu erreichen. Der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Olaf Bandt, erklärte, dass die drohende Abbaggerung der Kohle unter Lützerath "fachlich-wissenschaftlich nicht zu rechtfertigen" sei.
"Die Abbaggerung von Lützerath wird nicht nur den Konflikt um die Kohle im rheinischen Revier weiter anheizen, sondern auch die Klimakrise befeuern", erklärte Bandt. Das Vorziehen des Kohleausstiegs im Rheinland auf das Jahr 2030 klinge zwar gut, "aber der damit verbundene Kohleausstiegspfad hält nicht, was er verspricht: Der Beschluss spart fast kein Kohlendioxid ein und lässt nahezu alle Kraftwerke bis 2030 durchlaufen."
Auch der Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Jülich, Jens Sannig, erinnerte an die negativen Folgen des Kohleabbaus. "Heute merken wir: Es nützt nichts, den Ausstieg 2030 zu feiern, wenn bis dahin mehr Kohle abgebaut und verbrannt wird, als mit den Klimazielen von Paris vereinbar ist. Dagegen wehren wir uns weiterhin. Es ist nicht verantwortbar", betonte der Theologe. Zudem sei die Förderung der Kohle in Lützerath nicht notwendig, denn es "gibt rationellere und modernere Energietechniken". "Lasst die Kohle hier unter der Erde!", sagte Sannig, der auch für die Klima-Allianz Deutschland sprach.
Der Anwohner David Dresen aus Kuckum, einem der fünf von der Abbaggerung verschonten Dörfer, warf dem Energiekonzern RWE und der schwarz-grün geführten NRW-Landesregierung vor, massiven Druck auf die Landwirte auszuüben, die noch Ackerland oder Wiesen rund 200 Meter hinter Lützerath besitzen, ihr Land zu verkaufen.
Zuvor hatte sich der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach zufrieden mit dem bisherigen Verlauf der Räumung des Weilers Lützerath gezeigt. Gewalttätige Angriffe auf Polizisten seien weitgehend ausgeblieben. "Im Großen und Ganzen war es friedlich", sagte er dem Fernsehsender Phoenix zum Auftakt der Demonstration. Das "einsatztaktische Konzept" sei aufgegangen.
Am Samstag hatte die Polizei die Räumung des inzwischen von Sicherheitszäunen umgebenen Weilers Lützerath fortgesetzt, unter anderem wurden einzelne Aktivisten aus Bäumen geholt. Der Konzern RWE ließ weiter Gebäude abreißen und Bäume roden. Zu den beiden Aktivisten in einem Tunnel habe es mehrere, aber erfolglose Gesprächsversuche gegeben, sagte Weinspach. Feuerwehr und THW seien nun für den weiteren Kontakt zuständig.
Thunberg ruft zu weiteren Protesten auf
Die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg hat auf der Demonstration für den Erhalt des von Abbaggerung betroffenen Ortes Lützerath zu weiteren Protesten und Widerstand aufgerufen. "Solange die Kohle im Boden ist, ist dieser Kampf nicht vorbei", sagte sie am Samstag in einer Rede zum Abschluss der Kundgebung. "Wir haben nicht vor, aufzugeben", rief sie den Teilnehmern der Demo zu.
Die Klimaaktivistin nannte es "eine Schande", dass Deutschland trotz der Klimakrise weiter Verträge mit Energieunternehmen wie RWE abschließe, die Kohle abbauen und verfeuern würden. Die große Zahl an Teilnehmern auf der Demo lobte die Schwedin als "Zeichen der Hoffnung". Die Resonanz zeige, dass die Veränderungen in der Klima- und Umweltpolitik nicht "von den sogenannten Entscheidungsträgern" in Politik und Wirtschaft erzielt würden, sondern von den "Menschen, die in Baumhäusern sind, die hier auf der Straße sind".
Theologen unterstützen friedlichen Protest
Theologen aus Deutschland und Österreich solidarisieren sich mit dem friedlichen Protest gegen die Räumung und Abbaggerung des Weilers Lützerath für die Braunkohlegewinnung. Die rund 20 Erstunterzeichnerinnen und Unterzeichner einer am Samstag veröffentlichten Petition betonen die Bedeutung friedlicher Protestaktionen und fordern ein Moratorium für die Räumung Lützeraths.
Die Theologen, Pfarrer, Wissenschaftler und Lehrenden an Universitäten verweisen besonders auf die lokale Initiative "Kirche(n) im Dorf lassen", die seit 2020 kontinuierlich Gottesdienste an der Tagebaukante feiere "und so ihrem Glauben an den Gott des Lebens, der den Schrei der Armen und den Schrei der Erde gehört hat, Ausdruck verleihen".
"Die Ausweitung des Tagebaus Garzweiler II ist Gewalt gegen zahlreiche Menschen, insbesondere im globalen Süden, und unsere gesamte Mitschöpfung", heißt es in der auf dem Portal "y-nachten.de" veröffentlichten Petition. Die Ausweitung des Braunkohletagebaus auf Lützerath sei trotz der Energiekrise nicht notwendig und breche die völkerrechtliche Verpflichtung, das 1,5-Grad- Ziel einzuhalten.
Die ökumenische Initiative "Kirchen im Dorf lassen" entstand aus dem lokalen Widerstand gegen den Tagebau in den bedrohten Dörfern und gegen den Abriss von Dörfern und ihren Kirchen. Die Initiative ist eine Basisbewegung von Christinnen und Christen, die sich als Teil der lokalen und globalen christlichen Klimabewegung sehen.