In einer solchen Situation blieben ständige Gespräche zwischen Polizei und Protestierenden wichtig. Vor Ort gebe es Maßnahmen zur Deeskalation. Im Fokus der Öffentlichkeit seien jedoch eher Gewaltakte, wie Steinwürfe und aggressiven Rangeleien, beklagte Zick.
epd: Bei der Räumung von Lützerath beklagen Aktivisten Gewalt der Polizei. Die Polizei warnt vor gewaltbereiten Extremisten unter den Protestierenden. Wie schätzen Sie die Gewaltbereitschaft in Lützerath ein?
Andreas Zick: Vor Ort sind unterschiedliche Gruppen, auch Menschen, die sich auf sehr aggressive Auseinandersetzungen und Gewalt einrichten, Steine werfen und sich aggressiv verteidigen. Aber der Protest gegen die Räumung wird auch von den Behörden als bürgerlicher Protest und Widerstand bezeichnet. Das heißt: Es ist ein klassischer Protest gegen die Räumung - mit vielen Menschen, die Gewalt ablehnen.
Was für Menschen kommen bei den Protestaktionen zusammen?
Zick: Das Spektrum der Protestierenden vor Ort sowie der Unterstützer in den sozialen Netzwerken reicht von Klimaaktivsten - vielen jungen Menschen, für die der Stopp des Klimawandels zur Notlage wird - bis zu den Menschen vor Ort, die zusehen, wie Umwelt und ihre Heimat verschwinden. Sobald Steine fliegen, reagiert die Mehrheit der Demonstrierenden mit Mahnung an friedlichen Widerstand. Ihnen geht es um den gewaltfreien Widerstand, zu dem auch bei der Räumung immer wieder hingewiesen wird in den Gruppen.
Auf welche Traditionen gründet sich der Protest?
Zick: Der Protest ist Teil einer Protestbewegung, die in der Tradition des gewaltfreien Widerstandes steht. Hinweise auf eine abgesprochene Legitimierung von Gewaltwiderstandshandlungen gibt es nicht. Dass es aggressiver wird, liegt nahe, weil die Enttäuschung und das Ungerechtigkeitsempfinden derzeit mit jeder Stunde steigen. Auch muss man sehen, dass Menschen, die den Protest von außen für ungerechtfertigt halten, die Aktionen jetzt schon als Gewalt beurteilen. Es kommt jetzt darauf an, die Hürden für Gewalt zu erhöhen.
"Der Protest ist Teil einer Protestbewegung, die in der Tradition des gewaltfreien Widerstandes steht"
Welche tieferen Motive sehen Sie hinter den Protestaktionen?
Zick: Es gibt zunächst viele Menschen, die eine extrem tiefe Enttäuschung erfahren. Lützerath ist zum Symbol der Wende des Klimawandels geworden. Es geht um mehr als den Ort. Es geht darum, welche Haltung der grün-christdemokratischen Landesregierung, des Staates und der öffentlichen Ordnung mit der Räumung sichtbar wird. Es gibt auch kleine Gruppen, die die Auseinandersetzung suchen, sobald die Ordnungskräfte näherrücken. Direkte, offensive Angriffe scheinen derzeit nicht der Fall. Es geht um die Verteidigung eines abgesteckten Raumes.
Kann die Situation ähnlich eskalieren wie auf dem G-20-Gipfel in Hamburg 2017?
Zick: Die Dimension beim G-20-Gipfel war anders: Es kamen gewaltbereite Gruppen aus vielen Ländern nach Hamburg, die den "Schwarzen Block" ausmachten. In Hamburg ist die Situation eskaliert, als es zu direkter Konfrontation zwischen Polizei und dem Block im engen Schanzenviertel kam. Für die Gewalt später waren vor allem Gruppen zuständig, denen es nicht um das Thema ging, wie die Plünderungen, die Autobrände und so weiter zeigten. In Lützerath gibt es eine eher bürgerliche Mitte, die viel einflussreicher ist, die Aktionen werden mit Medien besprochen. Die Antifa oder andere Gruppen scheinen sich nicht angesagt zu haben.
Sehen Sie nach dem Beginn der Räumung überhaupt noch eine Aussicht auf Deeskalation?
Zick: Es gibt bereits viele Deeskalationsmomente. Es braucht ständige Gespräche zwischen Polizei und Protestierenden, es sind Deeskalationsexperten vor Ort. Vieles davon sehen wir nicht. Die Gewaltakte, wie Steinwürfe und aggressiven Rangeleien sowie die Widerstandsaktionen sind im Fokus.
Wie könnte eine Konfliktlösung aussehen?
Zick: Das Fatale ist in Lützerath die Aussichtslosigkeit und die daraus entstehende Mischung aus Hoffnungslosigkeit und Wut. Es wäre gut, wenn jede Form der Gewalt auf allen Seiten dokumentiert und gut aufgearbeitet wird. Selbst bei der Räumung sollte es weitere Gespräche und Signale geben, mit den Klimaaktivisten im Gespräch zu bleiben. Es ist schließlich auch zu beachten, dass selbst die Räumung nicht das Ende der Geschichte ist.