Laut einer Umfrage haben knapp 40% von jungen Menschen Bedenken, Kinder zu bekommen, besonders aufgrund der Klimakrise. Manche meinen gar, aufgrund des des Kohlenstoff-Fußabdrucks des neuen Individuums sollten es sich alle stark überlegen, überhaupt noch Kinder zu bekommen. Wäre also nicht nur Flugscham, sondern auch Kind-Scham angezeigt? Traditionell gilt dagegen im Christentum ein Rollenbild, laut dem junge Menschen bald nach der Heirat Eltern werden. Wie ist hier ethisch zu urteilen?
Das traditionelle christliche Familienbild
Die christliche Tradition hat es kinderlosen Frauen oft unnötig schwer gemacht. Laut der herkömmlichen kirchlichen Moral gehören mehrere Kinder zu einem schöpfungsgemäßen, erfüllten Leben. Vor einem Jahr erinnerte Papst Franziskus etwa Verheiratete, das Kinder-Bekommen nicht zu vergessen. Die Kinderlosigkeit von Jesus und Paulus erklärt die Kirche dagegen traditionell damit, dass ihr Leben besonders der Erlösung diente, was in ihrem Fall die schöpfungsgemäße Bedeutung der Fortpflanzung relativierte. In biblischen Erzählungen wiederum erlebten Frauen Kinderlosigkeit als Schicksalsschlag. Doch der Grund war weniger, dass man die Neugeborenen besonders niedlich fand. Auch die Ansicht, dass mit dem Baby Neues oder Güte und Selbstlosigkeit in die Welt kommt, stammt erst aus der Moderne. Vielmehr ging es den biblischen Erzählungen darum, dass Kinder später ihre Eltern versorgen, und erst deshalb galten Kinder allgemein als Segen.
Bedenken gegen den Kinderwunsch
Dem traditionellen Familienideal steht nicht nur ein immenser sozialer Wandel gegenüber – staatliche Alterssicherung, Berufstätigkeit von Frauen und Empfängnisverhütung. Hinzu kommt, dass nun auch vielen die Überbevölkerung Sorgen bereitet. Seit November leben acht Milliarden Menschen auf der Welt. Außerdem stößt jedes Neugeborene im Laufe seines Lebens viel Treibhausgase aus. Im Durchschnitt emittieren Bundesbürger:innen jeweils etwa 11 Tonnen CO2 pro Jahr. In Zeiten der Klimakrise könne man gegenüber der Menschheit ein neues Kind kaum mehr verantworten.
Alexander Maßmann wurde im Bereich evangelische Ethik und Dogmatik an der Universität Heidelberg promoviert. Seine Doktorarbeit wurde mit dem Lautenschlaeger Award for Theological Promise ausgezeichnet. Publikationen in den Bereichen theologische Ethik (zum Beispiel Bioethik) und Theologie und Naturwissenschaften, Lehre an den Universitäten Heidelberg und Cambridge (GB).
Neben solche allgemeineren Bedenken tritt die individuelle Sorge um das einzelne Kind. Aufgrund der Klimakrise malt man sich ein Leben zwischen Hitzewellen und Sturmfluten aus. Ein solches Leben, so hört man, sei gegenüber dem potentiellen Kind nicht verantwortbar.
Gegen das Argument der Überbevölkerung
Das Bevölkerungswachstum hat sich allerdings bereits deutlich verlangsamt. Zwar wird die Weltbevölkerung in etwa 45 Jahren auf 10 Milliarden ansteigen, doch der Scheitelpunkt des Wachstums dürfte bald darauf erreicht sein. In zahlreichen Gegenden der Welt wächst die Bevölkerung schon jetzt nicht mehr. Wer sich Sorgen über das Wachstum macht, sollte sich am besten für eine Verbesserung der Lebensstandards in Afrika einsetzen, denn bei mehr Bildung und Wohlstand nimmt in der Regel die Reproduktionsrate ab.
In Deutschland dagegen werden schon lange relativ wenig Kinder geboren. Die Gruppe der älteren Menschen wächst im Vergleich zu den Jungen. Während heute 100 Erwerbstätige für etwa 35 ältere Menschen wirtschaftlich aufkommen müssen, werden sie in knapp 30 Jahren 47 Senior:innen versorgen müssen, sofern die Lage bleibt, wie sie ist. Hinzu kommt, dass alte Menschen tendenziell weniger Interesse verspüren, die Gesellschaft zukunftsfähig aufzustellen. Es sind gerade die Schüler:innen, die für den Klimaschutz streiken. Es braucht also viele junge Wähler und nicht weniger, um auch in Zukunft eine Reformpolitik der Nachhaltigkeit auf den Weg zu bringen.
Würden dagegen aufgrund der Sorge um die Zukunft weniger Kinder in Deutschland geboren, dann würden auch innerhalb der jungen Generation zunehmend diejenigen den Ton angeben, die sich für solche Anliegen weniger interessieren. Dass eine junge, klimabewegte Generation dagegen allein schon durch ihre Existenz die Umwelt ruiniert, ist nicht ausgemacht. Mit einigen gezielten Maßnahmen kann man seinen Kohlenstoff-Fußabdruck deutlich verringern – ganz abgesehen von allgemeinen politischen Lösungen.
Was folgt aus der individuellen Sorge um das Kind?
Wie steht es aber mit dem subjektiven Erleben der zukünftigen Generationen – ist ihnen die zunehmende Klimakrise überhaupt zuzumuten? Wenn wir von der eigenen Erfahrung auf das Erleben anderer schließen, unterschätzen wir in der Regel deren Anpassungsleistungen. Wird jemand etwa durch einen Unfall querschnittsgelähmt, empfindet er oder sie das in der Tat als schweren Einschnitt. Doch Psychologen haben herausgefunden, dass die Betroffenen typischerweise ein Jahr nach dem Unfall kaum mehr eine Minderung der Lebensqualität empfinden, bei bleibender Beeinträchtigung. Noch anders sieht es bei denen aus, die sich von klein auf an die erschwerten Umstände anpassen.
Dass es angesichts der Klimakrise für zukünftige Generationen besser wäre, gar nicht geboren zu werden, ist also weniger plausibel, als es scheinen mag. Dass man das Leben als sinnlos empfindet, wenn es härter wird, gilt in dieser Allgemeinheit nur in besonders schweren Fällen, wenn überhaupt. Gewiss sollten wir besondere Härten reduzieren. Doch ob das Leben eines Menschen allgemein sinnvoll ist und Wert hat, bleibt letztlich eine andere Frage als die, ob es angenehm ist. Neue Erfahrungen der Gemeinschaft und des Zusammenhalts oder der Einsatz für Gerechtigkeit können etwa die Erfahrung des Sinns verstärken.
Hoffnung in den Krisen
In christlichen Gemeinschaften machen Menschen immer wieder solche Erfahrungen von Gemeinschaft und Zusammenarbeit, auch in schweren Situationen. Aus solchen Erlebnissen speist sich auch die Hoffnung, dass Gott den zukünftigen Generationen ebenfalls seinen Segen schenken wird. So kann man auch in diese krisengeschüttelte Welt noch guten Gewissens Kinder setzen.
Daraus folgt nicht, dass die Kirchen Menschen dazu aufrufen sollten, Kinder zu bekommen. Kinderlosigkeit kann, auch außerhalb einer besonderen geistlichen Berufung, eine legitime Option sein. Wenn man sich dagegen bereits ein Kind wünscht, sollte man sich durch die Bedenken, die ich hier kritisch diskutiert habe, nicht umstimmen lassen.
Eigentlich geht es um die Zukunftsangst
An einem anderen Punkt aber werden meine Argumente voraussichtlich wenig ausrichten. Denn viele Menschen, die sich angesichts der Zukunftsaussichten gegen Kinder entscheiden, äußern noch ein anderes Motiv: die Zukunftsangst. Aus Zukunftsangst kleben sich Protestler auf Kreuzungen fest, und aus Zukunftsangst überdenken manche ihren Kinderwunsch kritisch.
Viele dürften die Erfahrung kennen, dass auch gute Vernunftargumente ein starkes Angstgefühl nicht entkräften können. Und so besteht das Problem, das Kirchen mit dem Wunsch der Kinderlosigkeit haben, nicht in der Kinderlosigkeit selbst, sondern vielmehr in dieser Zukunftsangst. Wie auch immer sich junge Menschen zum Thema Kinderwunsch verhalten: Aus Sicht der christlichen Ethik besteht das eigentliche Problem darin, dass es den christlichen Gemeinden anscheinend nicht gelingt, das Gottesvertrauen und die Hoffnung zu vermitteln, die vielen jungen Menschen die Zukunftsangst nehmen würde.