Der erlösende Satz fällt um kurz nach 20 Uhr. "Wenn ihr Lust habt, können wir jetzt den Salat anrichten", sagt Kursleiterin Cornelia Ermes, und alle Kochwütigen um sie herum atmen spürbar auf. Elf Frauen und ein Mann dürfen nun gleich essen, was sie in den vergangenen zwei Stunden mit viel Liebe und Mühe zubereitet haben.
Sie haben gemeinsam Pilze geschnitten, Orangen filetiert und Nüsse aller Art zerkleinert. Sie haben geschmort, glasiert und gebacken. Ihr Ziel an diesem Abend im Advent in der Evangelischen Familien-Bildungsstätte Hannover mit Ökotrophologin Ermes: ein vegetarisches Weihnachtsmenü.
"Ich war gerade mit meinem Mann in einem richtig guten Restaurant", sagt Ermes, die seit 30 Jahren Kochkurse und Ernährungsberatung anbietet. "Aber es hat mich enttäuscht, wie wenig kreativ da ein Gericht ohne Fleisch angeboten wurde."
Kaum kreativ sind beim Weihnachtsessen laut einer repräsentativen Befragung für den Lebensmittelverband Deutschland auch die meisten Deutschen: Wie in den Vorjahren bleibt auch 2022 der Kartoffelsalat mit Würstchen an Heiligabend bei 29 Prozent der Befragten der Favorit.
Traditionen prägen den Speisezettel
"Einfache Gerichte erlauben es eben, zwei schöne Dinge miteinander zu verbinden: Essen und Geschenke auspacken", erläutert Professor Guido Fuchs, Leiter des Instituts für Liturgie- und Alltagskultur in Hildesheim. An den Feiertagen, an denen viele Familien gemeinsam festlich essen, wollen in diesem Jahr 41 Prozent der Befragten Geflügel zubereiten. 16 Prozent bevorzugen Rinder- oder Schweinebraten und zwölf Prozent Wild.
Alternativen zum traditionellen Weihnachtsessen wollen die zwölf Lernwilligen in der geräumigen Küche der Bildungsstätte entdecken. Auf den Arbeitsflächen liegen Rezeptzettel und Zutaten bereit - und dann geht es los: Es werden Messer geschwungen, Pfannen geschwenkt und Avocados fachgerecht zerlegt. Bald schon riecht es verlockend nach gerösteten Cashew-Kernen.
Den Braten kneten
Ein Duft, der den Abend nachhaltig prägen wird. Denn Nüsse sind eine wesentliche Zutat des vegetarischen Weihnachtsmenüs: Pinienkerne im Salat, Cashew-Kerne in der rein pflanzlichen Mousse au chocolat. Und auch die Hauptspeise beim vegetarischen Festtagsmenü, der Braten, besteht aus einem Nuss-Mix.
Beim Kneten des pflanzlichen Hauptgangs muss sich Uwe Voigt ordentlich ins Zeug legen. "Das ist echt harte Arbeit", stöhnt der einzige Mann im Kurs. "Frikadellenteig ist dagegen leicht gemacht." Kursleiterin Cornelia Ermes gibt den Tipp: "Wenn Du es mit Wasser bestreichst und dann mit den Fingen ganz glatt drückst, kannst Du es hinterher wie einen Braten schneiden."
Noch fehlen die Ideen
Ganz ohne Fleisch leben - das könnte sich der Hobbybäcker nicht vorstellen: "Ein Schnitzel schmeckt eben schon wie ein Schnitzel. Das kann man nicht ganz ersetzen." Seine Frau und er äßen aber deutlich weniger Fleisch als früher, sagt der 58-Jährige. Gemüse spiele immer mehr eine Hauptrolle auf ihrem Speiseplan. "Ich merke bloß: Dafür fehlen mir die Ideen. Die erhoffe ich mir von diesem Kurs."
Die Freude am vegetarischen Kochen ist spürbar in der Kochgruppe - aber die Statistik gibt den Trend zum pflanzlichen Menü nicht her: Laut Umfrage des Lebensmittelverbandes kochen 2022 nur vier Prozent der Befragten ein vegetarisches und nur ein Prozent ein veganes Hauptgericht zum Fest - jeweils ein Prozent weniger als 2020.
"Ich koche zu Hause auch bislang schon viel mit Gemüse", sagt Bettina Nebe, während sie abwechselnd Kürbis- und Rosenkohl-Stücke aufspießt. "Aber mein Sohn und mein Mann essen einfach gern Fleisch." Immerhin: Die 58-Jährige und ihr Mann werden in diesem Jahr am ersten Weihnachtsfeiertag die heimische Essenstradition - Wildschwein mit Rotkohl und Klößen - durchbrechen.
Stattdessen brunchen die Nebes mit Obstsalat, Antipasti und einer Rote-Bete-Suppe. "Ich war schon mehrfach bei Kursen und kann einiges davon im Alltag umsetzen", sagt sie. "Man kocht ja schließlich nicht nur an Weihnachten."