epd: Frau Haberer, Sie hatten viele verschiedene Aufgaben - wo haben Sie am meisten Gegenwind erfahren?
Johanna Haberer: Gegenwind gab es bei dem Versuch, als Rundfunkbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mehr Vielfalt in die religiöse Landschaft dieses Landes zu bringen. Ich hatte gehofft, dass ich es hinbekomme, dass nicht nur Juden und Christen, sondern auch Muslime eine Stimme in öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bekommen. Ich hatte als Rundfunkbeauftragte dazu Aufsätze geschrieben und war im guten Gespräch mit dem damaligen EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber. Bis dann 2001 der 11. September einbrach. Da gab es keine Chance mehr, bei den Sendern zu sagen: Wir öffnen uns für einen Fürsprecher des muslimischen Glaubens, der den religiösen Horizont der Muslime erklärt, damit wir teilhaben können an der Vielfalt der Weltsichten und damit nicht die Muslime in diesem Land eine Art religiöses "undercover"- Leben weiterführen.
Die Kirchen befinden sich in der Gesellschaft deutlich auf dem Rückzug - wie sollten sie damit umgehen?
Haberer: Professor Bernd Raffelhüschen, der die Untersuchung über die Kirchenmitgliedschaft verantwortete, hat mir gegenüber immer wieder betont, dass seine Ergebnisse in der Presse verkürzt rübergekommen seien. Die Aussage war: Wenn ihr so weitermacht wie bisher, dann wird der Einbruch der Kirchenmitgliedschaft so kommen, wie vorausberechnet. Und nicht: Es wird so kommen.
"Totgesagte leben länger"
Die Aussage, dass die Kirche auf dem Rückzug ist, höre ich, seit ich Theologie studiert habe. Demnach sollte die Kirche schon längst tot sein. Aber Totgesagte leben länger. Ich glaube, dass es eine große Sehnsucht nach religiösen Deutungsmustern in unserer Gesellschaft gibt. Das hat man in der Corona-Krise gesehen, an den Millionen - Einschaltquoten der Fernsehgottesdienste und der Radiogottesdienste und der Nachfrage nach spiritueller Begleitung.
Im Übrigen ist der Rückzug der Kirche möglicherweise an den Zahlen der Kirchenbesucher und der Mitglieder zu erleben, aber nicht beim Interesse der Menschen an geistlicher Begleitung in den Medien. Das zumindest erfahre ich vom Bayerischen Rundfunk. Seit Jahrzehnten hören rund eine Million der Morgenfeier zu, und es gab unglaubliche Reaktionen auf die Gottesdienste, die während der Corona-Zeit übertragen wurden. Also die mediale Wahrnehmung der Kirche, die ist gefragt und gewünscht von vielen Menschen. Allerdings muss Kirche im Bereich der digitalen Welt aufholen, damit sie ihre Sichtbarkeit nicht verliert.
Muss sich das Theologiestudium an den Hochschulen verändern?
Haberer: Wir haben beim Theologiestudium die riesige Schwelle der drei Sprachen, die jeder lernen muss. Ich könnte mir vorstellen, dass wir für verschiedene Berufsziele im Theologiestudium zu einer Modularisierung kommen, also dass nicht jede und jeder Latein, Griechisch und Hebräisch lernen muss. Das dauert in der Regel fünf oder sechs Semester. Wenn die Theologie das modularisierte System etwas entschiedener gestaltet, könnte etwa jemand, der im Neuen Testament promovieren will, noch ausführlich Griechisch lernen. Wir haben ein sehr verschultes Theologiestudium, mit Sprachen und Pro-Seminaren, dann kommen die Hauptseminare und dann irgendwann darf man ein bisschen frei spielen in der Theologie. Ich denke, Theologie muss auch mit dem Herzen studiert werden und dazu gehört Freiheit.
Verändert sich auch die Christlichen Publizistik in Erlangen?
Haberer: Meine Professur, die früher Christliche Publizistik hieß und jetzt mit dem Namen "Medienkommunikation, Medienethik und digitale Theologie" ausgeschrieben ist, wird vermutlich noch stärker in die praktische Theologie hineinwachsen. Die Theologiestudierenden werden dann schon an der Uni lernen, sich als geistliche Personen im digitalen Raum zu präsentieren und als Repräsentanten der Kirche medial gelenkig werden. Ich hoffe, dass meine Nachfolgerin oder mein Nachfolger in der Lage ist, dies in das Erlanger Studienangebot hineinzuschreiben und dass die Kirche diesen Teil der universitären Ausbildung auch weiterhin unterstützt.
"Mit dem gleichen Personal müssen wir immer mehr machen."
Pfarrer und Pfarrerin ist ein öffentlicher Beruf. Es gibt von dem Medienwissenschaftler Pörksen den Ausdruck der "redaktionellen Gesellschaft". Das heißt, alle Bürgerinnen und Bürger müssten journalistische und medienethische Kenntnisse haben in dieser digitalen Welt. Und darauf bereiten wir die künftigen Theologinnen und Pfarrer zu wenig vor. Jeder muss hier eine reflektierte Bildung bekommen. Das ersetzt keinesfalls den persönlichen Geburtstagsgruß und auch nicht die Postkarte oder Mail, aber diese Art der digitalen Kommunikation der Kirche kann auf jeden Fall die kirchliche Bindung stabilisieren. Und das heißt, dass wir leider mit dem gleichen Personal immer mehr machen müssen. Oder man konzentriert sich.
Wie soll das aussehen?
Haberer: Seit bestimmt 20 Jahren sage ich, dass wir versuchen sollten, uns in der Publizistik zu konzentrieren und die dauerhafte Unterbesetzung der christlichen und kirchlichen Publizistik durch das Zusammenfassen der vielen Kompetenzen an vielen Orten zu lösen. Ich halte es für den falschen Weg, an unterschiedlichen Stellen das Gleiche zu machen, anstatt sich zusammenzutun und neu zu sortieren.
"Von der finnischen Kirche lernen"
Wir können da von der finnischen Kirche sehr viel lernen. Die finnische Kirche ist praktisch durchdigitalisiert. Jeder Pfarrer und jede Pfarrerin verfügt über die nötige technische Ausstattung und kann damit umgehen. Wir müssen einfach Neues lernen. Hebräisch hilft nicht, wenn ich anfangen muss, eine Kamera zu schwenken.
Ist der landeskirchliche Prozess "Profil und Konzentration" dabei hilfreich?
Haberer: Was die publizistischen Fragen betrifft, bin ich da nicht eingebunden. Diese Idee von Profil und der Konzentration wäre die Einflugschneise, um an verschiedensten Stellschrauben zu drehen. In der Publizistik müssen die Kompetenzen neu verteilt werden. Wir sollten genau schauen, wie viel Personal in der Öffentlichkeitsarbeit und in der Publizistik tätig ist und uns dann fragen, wer kann was und wie können wir das neu organisieren? Dafür müssten aber Öffentlichkeitsarbeit, Pressestellen, Dekanate und Landeskirche um der Sache willen nicht nebeneinander herarbeiten, sondern sehr bewusst zusammen.
Bei den Theologen und Juristinnen, die die Kirche regieren, ist die Hochachtung vor den Kompetenzen, die man braucht, um in der Öffentlichkeit zu agieren, leider etwas schwach ausgeprägt. Die spielentscheidende Rolle von publizistischen Kompetenzen der Kirche in diesen Zeiten darf man nicht unterschätzen. Dass dieses Agieren in der medialen Öffentlichkeit ein ganz anderes Berufsfeld ist als Gemeindepfarrerin zum Beispiel, wo man ganz andere Dinge können muss, das verdient Hochachtung. Und dieses Bewusstsein hat sich in den ganzen 70 Nachkriegsjahren noch immer nicht richtig herausgebildet.
Welches Profil braucht der nächste Landesbischof oder die nächste Landesbischöfin in Bayern?
Haberer: Diese Person sollte verweisen können auf Fachleute und sich dem Mechanismus der Presse entziehen, die immer nur den Bischof oder die Bischöfin hören will. Es muss für eine evangelische Kirche um den Versuch gehen, die Vielfalt des Protestantismus und der Ämter zu präsentieren, durch Moderation und Verweis auf andere Sprecherinnen und Sprecher unserer Kirche.
Neue Person im Bischofsamt "müsste Person eine Seelsorge-Künstlerin sein"
Dann müsste diese Person eine Seelsorge-Künstlerin sein, die zuhören kann. Und eine ermutigende Figur, damit ein Ruck durch die hängenden Köpfe unserer Kirchenleute geht und sie Freude an ihrem Beruf haben und nicht den roten Zahlen oder fortlaufenden Menschen hinterher weinen. Die politische Anwaltschaft sollte die Kirche erweitern. Und die alten Instrumente der Kirche, wie zum Beispiel Besuche und Gespräche - persönlich und virtuell. Ich denke an den Kasualien - Taufe, Beerdigungen, Trauungen - hängt die Zukunft der Kirche.
Wenn Sie vor knapp 24 Jahren gewählt worden wären als Landesbischöfin, was wäre heute anders in der Kirche?
"Sonst wird die Evangelische Kirche bei Suchmaschinen in der Aufmerksamkeit nach unten durchgereicht."
Haberer: Das ist eine Hätte-Hätte-Fahrradkette-Frage! Aber eines weiß ich: Ich hätte auf jeden Fall den Ausbau und die Konzentration der publizistischen Instrumente der Kirche durchgesetzt. Da dürfen wir nicht sparen, weil die Evangelische Kirche sonst bei Suchmaschinen in der Aufmerksamkeit nach unten durchgereicht wird. Ach, wir hatten ja lauter gute Bischöfe. Ich hätte vielleicht noch für ein bisschen mehr Spaß und Humor gesorgt.
Fällt Ihnen der Abschied von der Berufstätigkeit jetzt schwer?
Haberer: Mir fällt der Abschied im Augenblick überhaupt nicht schwer. Es war in den letzten Jahren total schön, weil ich wunderbare Mitarbeiterinnen und Kollegen hatte. Und dann habe ich diesen Podcast und bin mit der EKD im Gespräch, ob ich nicht vielleicht die eine oder andere Auslandsvakanz übernehme...
"Wir müssen uns da als christliche Repräsentanten völlig neu aufstellen."
Ich bin froh, dass ich den Medienwandel so nah erleben durfte. Wir leben in einer digitalen Welt und müssen uns da als christliche Repräsentanten völlig neu aufstellen. Die ganze Welt hat sich gedreht. Ich war Anfang der Achtzigerjahre dabei, als die privaten Medien eingeführt wurden und jetzt das Digitale. Dieses riesige Thema, wie die evangelische Kirche auf die Digitalisierung intelligent reagiert, das sollen jetzt die schlauen Leute der nächsten Generation machen. Deswegen bin ich nicht traurig, zu gehen.